Max Brym: Roter Widerstand in der bayerischen Provinz. Romeon, Jüchen 2021, 108 Seiten, 11,95 Euro
Max Brym ist vielleicht dem einen oder anderen Leser durch das Buch »Mao in der bayerischen Provinz« bekannt, in dem er nicht ohne Ironie beschreibt, wie er als Sprössling einer bürgerlichen Familie und Maoist in den 70ern die bayerische Provinz im sogenannten Chemiedreieck aufmischte. Jetzt hat er zum Widerstand gegen den deutschen Faschismus genau in dieser Region mit dem Zentrum Burghausen recherchiert und viel interessantes Material zutage gefördert.
Er zeigt, dass selbst – oder gerade – in der Provinz KPD und SPD den aufkommenden und den etablierten Nazifaschismus trotz der tiefen Spaltung der Arbeiterbewegung bis zu einem gewissen Grad gemeinsam bekämpften. In den Zentren der Arbeiterbewegung schien keine Einheit mehr möglich. Etwas anders lief es, so Brym, in der bayerischen Provinz. Er beginnt das Buch mit einer Einführung in die Facetten des »roten Burghausen«.
Im April 1919 entstand die bayerische Räterepublik. Auch Burghausen schloss sich an. Nach dem Sieg der Gegenrevolution löste sich der Arbeiter- und Soldatenrat auf. Während des Kapp-Putsches wurde gestreikt. Doch in München ließ sich die nach rechts immer kapitulationsbereite SPD-Regierung von den Rechten vertreiben. Während des Naziputsches in München im November 1923 versuchten Nazis auch in Burghausen das Rathaus zu besetzen, aber KPD-Anhänger verhinderten das und vertrieben sie. Was heute auch viele Burghausener nicht mehr wissen: Die KPD war stark hier, insbesondere im Betrieb der Wacker-Chemie. Eine ihre interessanten Führungsfiguren hieß Alois Haxpointner.
Bis 1929/30 war die NSDAP in Burghausen und Umland nur eine Splitterpartei; jetzt gewann sie immer mehr Wähler, meist aus dem Bürgertum und dem bäuerlichen Milieu. In Burghausen gelang es ihr noch weniger als anderswo, Arbeiter auf ihre Seite zu ziehen. In Burghausen und Umgebung bekamen SPD und KPD zusammen bis 1933 weit mehr Stimmen als die NSDAP. In der Stadt trauten sich die Nazis bis zur »Machtergreifung« nachts kaum auf die Straße. Gegen sie hielten die Mitglieder von KPD und SPD zusammen. Es gelang den Nazis nicht, KPD- oder SPD-Versammlungen zu sprengen. Im Gegenteil. Im Sommer 1932 luden die Nazis die Gewerkschaften zu einer Veranstaltung im Gasthaus »Glöckelhofer« ein, wo sie sich als Sozialisten präsentieren wollten. Doch KPD- und SPD-Genossen hatten sich im Saal des Wirtshauses schon verteilt. Die Nazis, darunter auch schon SS-Männer, wurden mächtig verprügelt. Die Landespolizei rettete die Faschisten, von denen viele im Krankenhaus landeten.
Nach dem Januar 1933 drifteten die Arbeiterparteien wieder auseinander. Die KPD hatte sich durch die RGO-Politik von vielen gewerkschaftlich organisierten Arbeitern entfremdet; die SPD gab sich kriecherisch legalistisch. Bis zum März führten die Kommunisten noch handgreifliche Auseinandersetzungen mit den Nazis; dann wurden die führenden Leute verhaftet, darunter auch Haxpointner. 1938 gab es noch Sabotageaktionen, doch 1939 endete faktisch der organisierte, mit der organisierten Arbeiterbewegung vor 1933 verbundene Widerstand.
Brym betont, wenn SPD und KPD überall zumindest bei der Abwehr der Nazis zusammengehalten und Schlachten wie im Wirtshaus »Glöckelhofer« deutschlandweit geschlagen hätten, der Faschismus hätte besiegt werden können. Burghausen zeigt, dass die Arbeiterparteien gar nicht so weit davon entfernt waren.
Aus Junge Welt vom 29.11.21 https://www.jungewelt.de/artikel/415499.geschichte-der-arbeiterbewegung-nazis-im-krankenhaus.html
Film " Das rote Burghausen"
Der Film orientiert sich stark an meinem Buch " Roter Widerstand in der bayerischen Provinz" Das Buch ist überall erhältlich.
Zur Geschichte der Arbeiterbewegung
Oskar Quengels Auftrag. - Für Kippenberger bei General von Schleicher.
Roman von Max Brym
Vorwort: Ein Haus in der Kirchgasse
In Berlin in einem Haus in der Kirchgasse wurden kürzlich die Böden erneuert. Arbeiter entdeckten beim Herausreißen in einer Bodendiele ein leicht vergilbtes Bündel. In dem Bündel steckte ein Text mit der Überschrift: “Brief an meinen Vater“.
Ein Arbeiter wollte das Notizbuch mit dem Text entsorgen, ein anderer meinte, „man sollte sich das nochmal anschauen“, denn der Text ist maschinengeschrieben und leicht lesbar. Das Büchlein endet im Jahr 1937.
Nun bin ich im Besitz des Schriftstückes und werde es publizieren. Denn diese Briefe an seinen Vater, stammen von einem gewissen Oskar Quengel, von dem wir nicht genau wissen, ob er so hieß und ob es ihn wirklich gab. Allerdings ist der Inhalt des Schriftstückes zeitgeschichtlich mehr als relevant. Oskar Quengel beschreibt seine Laufbahn als Doppelagent. Er arbeitete für den KPD-Funktionär Hans Kippenberger längere Zeit im Reichswehrministerium unter General von Schleicher. Nachdem General Schleicher als letzter Kanzler der Weimarer Republik durch Hitler und die nationalsozialistische Diktatur ersetzt worden war, wirkte Quengel weiterhin für den Nachrichtendienst der KPD. Er hatte unter anderem Verbindungen in die oberste SA-Führung. Quengel blieb immer ein Linker. Er war der Meinung durch seine Tätigkeit als Doppelagent der Weltrevolution wichtige Dienste zu erweisen. In der Emigration in Paris wurde Quengel dann jedoch vom Militärapparat der KPD abgehängt und in illegalen Rundbriefen als Renegat bezeichnet.
Das Leben Oskar Quengels endete im Selbstmord. Vorher machte er sich in dem gefundenen Brief an seinen Vater Luft. Sein Vater war ebenfalls ein Anhänger der KPD und lebte damals in Berlin Neukölln in der Kirchgasse. Wie der Text dorthin gelangte, wird ein Rätsel bleiben. Wir geben hier der fiktiven oder realen Gestalt von Oskar Quengel ausgiebigen Raum, um der heutigen Generation etwas über die damalige dramatische deutsche Geschichte zu erzählen.
Für Kippenberger bei General von Schleicher - Briefe an meinen Vater
Mein lieber Vater! Ich muss dir einfach schreiben. Wir schreiben jetzt den Juni 1937 und ich bin ausgelaugt und am Ende Wieder konnte ich kaum schlafen und wenn ich schlafe sehe ich Tote oder diejenigen, um deren Leben ich mich sorge. Meine Nerven spielen verrückt. Ich träume von Hans Kippenberger, Leo Roth, Heinz Neumann, Leo Trotzki oder dem General von Schleicher. Du wirst dich sich sicher fragen, wieso mein Denken um ein solches Potpourri unterschiedlichster Personen kreist und mich martert. Ich bin dir in der Tat einige Erklärungen schuldig. Vorher solltest du wissen, dass ich dich immer respektiert und dein großzügiges Arbeiterherz und deine Gesinnung geschätzt habe und teilte, auch wenn du seit 1915 nur noch spärlich Nachrichten von mir erhalten hast. Du hast dich als kleiner KPD-Funktionär sicher gefragt, was dein Sohn so treibt und warum wir keinen intensiven Kontakt hatten. Ich will dir alles erklären und dir Mut geben, damit du und meine geliebte Mutter, die faschistische Nacht übersteht. Meine Nerven hingegen liegen blank. Bitte verzeih´ mir, dein Sohn, den du oft ein Nervenbündel nanntest, kann nicht mehr. In dieser Nacht werde ich mein Leben beenden.
Meine Geschichte
Ich arbeitete mit Herz und Hand im „Geheimen“ für die Ziele, die uns einst Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Lenin wiesen. Allerdings tat ich das an einer Stelle, die nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen durfte. Ab Anfang 1929 arbeitete ich für den Militärapparat der KPD in geheimer Mission im Reichswehrministerium. Ich war direkt dem Leiter des Nachrichten- und Militärapparats der KPD, Hans Kippenberger, unterstellt. Damit die Abwehr der Reichswehr glaubte, ich würde für sie Dienste und Aufträge übernehmen, musste ich bestimmte Kontakte abbrechen. Offiziell war ich Mitarbeiter von Willi Münzenberg, dem Herausgeber der „Arbeiter Illustrierten Zeitung“. Die Abwehr der Reichswehr glaubte, ich wäre für sie dort tätig. Ende des Jahres 1928 sprach mich in gewisser Herr Rath in einem Lokal in Neukölln an. Er fragte, ob ich denn zufrieden sei mit meinem Leben, meiner Position und mit meinem Verdienst. Ich versuchte den Herrn abzuwimmeln, denn ich hatte den dringlichen Verdacht, dass er für die politische Polizei des preußischen Staates arbeitete. Ich erzählte die Geschichte meinem Vorgesetzten, dem bekannten kommunistischen Publizisten Willi Münzenberg. Münzenberg forderte mich umgehend auf, mich mit Hans Kippenberger, dem Leiter des Militärapparates der KPD zu treffen. Kippenberger war der festen Überzeugung, dass es sich um einen Spitzel handelte, der sich in unseren Verkehrslokalen herumtreibt. Er riet: „Triff dich mit ihm und versuche herauszubekommen, für wen dieser Herr arbeitet. Geh zum Schein auf eventuelle Angebote seinerseits ein. Und erstatte mir hinterher ausführlich Bericht.“ - Typisch Kippenberger dachte ich, sehr nett aber gleichzeitig entschieden und befehlsgewohnt. Im November 1928 besuchte ich dann täglich das Lokal in dem sich deine Ortsgruppe regelmäßig im Hinterzimmer traf. Nach knapp drei Wochen tauchte Herr Rath wieder auf und schlug vor, sich doch woanders zu treffen, wo es etwas ruhiger sei, um sich weiter zu unterhalten. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag in einem bekannten Kaffeehaus am Alex.
Rath warb mich an
Gegen 10:00 Uhr vormittags erschien Herr Rath.Mir fiel auf, dass es sich von der ganzen Art her um einen Offizier handeln musste. Er bestellte zwei Kaffee und zwei Cognac und begann sofort mich sehr charmant auszufragen. Offensichtlich hatte er sich sehr gut auf das Gespräch vorbereitet. Er wusste, dass ich drei ledige Kinder mit drei verschiedenen Frauen hatte. Das war etwas, Vater, was du mir mit Deiner proletarischen Vernunftmoral nie verzeihen konntest. Im Übrigen konnte ich es mir auch nicht verzeihen, aber lassen wir das. Ziemlich schnell gab sich der Herr als Offizier der Reichswehr zu erkennen und versuchte mir zu erklären, dass auch „die Reichswehr an guten Beziehungen mit der Sowjetunion interessiert sei.“ Er sagte: “Sie wissen doch sicher als alter Frontkämpfer aus dem Ersten Weltkrieg, dass General Seeckt mit den Russen zusammenarbeitete. Also warum sollen uns wir hier in Deutschland bekämpfen? Nebenbei gesagt gibt es auch innerhalb der Reichswehr durchaus sozialistische Strömungen und nicht nur reaktionäre Volltrottel.“ Auf meinen Einwand hin, wer das wohl sei, meinte er: „Die Leute um den Ihnen sicherlich bekannten General von Schleicher. Außerdem haben Sie bestimmt schon von der Querfront-Konzeption gehört. Es wäre doch schade, wenn wir Deutsche uns von der Entente dauernd gegeneinander aufhetzen ließen. Es geht darum, das Versailler Diktat zu brechen und nicht wertvolle Kraft im Kampf gegeneinander zu verschleudern.“ Natürlich ging ich nicht sofort auf all seine Argumente positiv ein. Selbstverständlich meldete ich Widerspruch an, denn alles andere wäre verdächtig gewesen. Der Herr Offizier hörte sich meine Ausführungen milde lächelnd an, übergab mir anschließend ein Briefkuvert und entfernte sich dann in typisch militärischer Manier. Vorher hatten wir noch ein Treffen in zwei Wochen zur selben Zeit am selben Ort verabredet. In dem Kuvert befanden sich 2000 Reichsmark sowie ein Zettel mit der Notiz: “Bezahlen Sie endlich etwas an die Frauen ihrer Kinder. Ein deutscher Patriot und Sozialist.“
Ein weiteres Treffen
Kurz vor Weihnachten trafen wir uns wieder und er fragte mich, ob ich mir sein Angebot bezüglich der Arbeit für die Reichswehr innerhalb der KPD im Interesse des Vaterlandes und des Sozialismus überlegt hätte. Natürlich hatte ich mir Gedanken gemacht, aber die Vorgehensweise gab mir Hans Kippenberger vor. Ich erzählte Herrn Rath von meinen persönlichen Problemen mit der Linie der KPD und auch von meinen Finanznöten. Sofort sprang Rath an und versprach, mich im Januar bei General Kurt von Schleicher einzuführen. Triumphierend bemerkte er: “Ich wusste doch, dass ein alter Frontkämpfer sich der Vernunft nicht entziehen kann.“ Er versuchte mir glaubhaft zu machen, dass es innerhalb der Reichswehr Kräfte gäbe, welche an einer Verständigung mit vernünftigen Leuten innerhalb der KPD interessiert seien. Gleichzeitig ließ er mich wissen, dass ich jetzt meine Alimente regelmäßig bezahlen könnte. Am Ende sogar mehr, falls sich meine Informationen für die Reichswehr wirklich lohnen.
Kippenbergers Plan
Am 23. Dezember 1928 erstattete ich meinem neuen Chef Hans Kippenberger Bericht. Kippenberger lehnte sich in dem mondänen Luxuslokal, in dem wir uns trafen sichtlich zufrieden zurück, zog an seiner unvermeidlichen Zigarette und meinte: “Das sind ja ganz ungeheure Aussichten. Allerdings glaube ich nicht, dass dich dieser Herr Rath umgehend bei Schleicher einführen wird. Du wirst den Herrn etwas liefern müssen. Wir werden ein Bauernopfer bringen müssen. Auch dein EK 2 aus dem Weltkrieg wird dich nicht so ganz einfach glaubwürdig machen.“ Ich fragte ihn, was unter einem Bauernopfer zu verstehen sei. Woraufhin Kippenberger meinte: “Wir haben einen unsicheren Kantonisten im Berliner Polizeipräsidium, der in unmittelbarer Umgebung des Oberbullen Isidor Weiß arbeitet. Dieser Typ bekam im Herbst 1923 Panik und wollte für uns arbeiten. Damals unterschrieb er eine Verpflichtungserklärung für unseren Apparat. Aber seit der Stabilisierung des Kapitalismus ab 1924 sind die Informationen, die dieser Typ und liefert praktisch wertlos. Wir lassen diesen Opportunisten hochgehen und du kannst die ganze Sache als guten Einstieg in die Abwehr der Reichswehr benutzen.“ Auf meine Frage, wie ich das belegen sollte, erklärte mir Kippenberger: „Wir haben im Grunewald einen toten Briefkasten. Dort legt dieser Müller immer seine sogenannten Informationen für uns ab. Ich werde dich informieren, wo diese Stelle ist und du kannst sie an Herrn Rath weitergeben.“
Kippenberger schmunzelte. Doch bei mir meldeten sich moralische Bedenken, die ich aber im Laufe des weiteren Gespräches beiseiteschob, denn bei der Arbeit im Dienste der Weltrevolution durfte die Moral nach meinem damaligen Dafürhalten keine besondere Rolle spielen. Kippenberger merkte mir mein Einverständnis an und lächelte zufrieden. Zum Ende unseres Gesprächs besprachen wir noch unsere künftigen Treffpunkte. Seltsamerweise nannte er mir einen kleinen Puff. “Keine Angst, die Lokalität hat einen Vorder- und einen Hinterausgang. Die Chefin sympathisiert mit uns. Du wirst dich in Zukunft an solche Treffpunkte und Örtlichkeiten gewöhnen müssen.“ Gut gelaunt bezahlte Kippenberger die Rechnung und ging. Nach einer Weile entfernte auch ich mich und ging zu meiner damaligen Freundin. Seit dem Weltkrieg oder anders ausgedrückt der Erziehung „vor Verdun“ war ich relativ beziehungsunfähig. Meine Freundinnen waren meist unpolitisch, blond und vollbusig. Immer wieder hatte ich seit Ende des Weltkriegs Albträume und flüchtete mich in irgendwelche weiblichen Schöße, was mir anscheinend half, die Gasangriffe und die Berge von Toten an der ehemaligen Westfront zu vergessen. Letzteres, mein lieber Vater, hast du nie verstanden, ich will das nicht vorwerfen will. Ich versuche nur mein Verhalten gegenüber Frauen zu erklären.
Herr Rat beißt an
Anfang Januar traf ich mich mit Herrn Rath wieder in dem vornehmen Kaffee. Herr Rath legte Wert auf diesem Ort, „damit wir keinem Roten über den Weg laufen“. Er fragte mich sofort, ob ich mich entschieden hätte für die patriotische und soziale Fraktion innerhalb der Reichswehr zu arbeiten. Ich bejahte. Wie es Kippenberger vorausgesehen hatte, genügte dem Herrn mein Einverständnis nicht. Er verlangte von mir als “alten Kriegskameraden“ einen Beweis, der glaubhaft sei, um mich den Herrn und speziell General von Schleicher zu empfehlen. Ich nannte ihm die Person Müller im Polizeipräsidium und nannte die Stelle, an der er seine Informationen für die KPD hinterlegte. Spitz fragte mich mein Gegenüber, wie ich an so eine brisante Information gekommen sei. Ich antwortete: “Willi Münzenberg prahlte öfters, er verfüge über geheimen Informationen aus dem Berliner Polizeipräsidium. Einmal habe ich ihn gefragt, ob er das beweisen könne Natürlich antwortete Münzenberg, er griff in seine Schublade und zog einige Brieflein hervor.“ - „Na wenn das alles stimmt“, sagte Rath, „dann haben Sie sich wirklich für uns gelohnt und ich kann sie mit dem Herrn General persönlich bekannt machen. Der General legt Wert auf Leute mit politischem Verstand und nicht nur auf Kommissköpfe.“ - Leutnant Rath bat sich zwei Wochen für das nächste Treffen aus. Er wolle eine Information überprüfen. Außerdem deutete er mir an, dass General Schleicher an mir sehr interessiert sei, denn er brauche Leute, die nicht nur Informationen über die KPD liefern, sondern die auch einen Kopf hätten und die Orientierung der KPD einschätzen könnten. „Also dann bis bald“, sagte Leutnant Rath beim Hinausgehen.
Arbeit bei General Schleicher
In der Zeitung las ich, dass General Schleicher am 29. Januar 1929 zum Generalmajor befördert worden war. Am 1. Februar 1929 wurde Schleicher durch seinen langjährigen Mentor Wilhelm Groener, der seit 1928 Reichswehrminister war, zu dessen Chef des Ministeramts ernannt. Dies entsprach in anderen Ministerien dem Posten eines Staatssekretärs. Damit war er der einzige Offizier in der preußisch-deutschen Geschichte in einer Spitzenposition, ohne je ein Front- oder Truppenkommando innegehabt zu haben. Faktisch wurde General von Schleicher dadurch zum Mitglied der von dem Sozialdemokraten Hermann Müller geführten Reichsregierung. Münzenberg sagte mir unter vier Augen: “Dieser Schleicher ist eine gefährliche politisierende Natter“. Mein Chef Kippenberger warnte mich vor diesem politischen Intriganten und forderte mich auf, vorsichtig zu sein. Endlich am 7. Februar 1929 meldete sich Herr Rath bei mir. Dieser Kerl besaß die Unverschämtheit mich einfach in meinem Büro im Verlag der „Arbeiter Illustrierten Zeitung“ anzurufen. Er teilte mir mit, dass morgen das Gespräch mit dem verehrten Herrn General stattfinden würde. Ich sagte zu und bedankte mich für das Lob wegen der Enttarnung des KPD-Informanten in der Berliner Polizei. General Schleicher wollte sich mit mir in einem separaten Raum im Hotel „Unter den Linden“ treffen. Der Reichswehragent Rath sagte, ich solle einfach ins Café des Hotels kommen er würde mich dann dem Herrn General vorstellen. Ich erschien pünktlich gegen 17:00 Uhr in der Hotelbar. Ebenso pünktlich erschien Herr Rath und klopfte mir anerkennend auf die Schulter. Umgehend verließen wir die Hotelbar und suchten ein Nebenzimmer auf. Dort saß der berühmte General. Als er mich sah, sprang er auf und begrüßte mich überaus höflich. In Zivil machte dieser Herr einen völlig unmilitärischen Eindruck auf mich, er war relativ klein und hatte kaum mehr Haare auf dem Kopf.
Sofort begann der Generalmajor zu schnattern. Er überhäufte mich mit Komplimenten und meinte, dass die Reichswehr mehr politische Kontakte und Informationen von intelligenten Leuten benötige. Zuerst wollte er von mir etwas über die Lage innerhalb der KPD wissen. Er fragte nach unterschiedlichen Strömungen und Fraktionen. Scheinbar bereitwillig gab ich Auskunft. Ich schilderte den Austritt bzw. Ausschluss der sogenannten „Parteirechten“ um Heinrich Brandler und August Thalheimer. Auf seine Frage: „Wie stark sind die Austritts und Ausschlusswellen gewesen?“ antwortete ich: “Ungefähr 6000 Leute gingen mit Brandler, darunter viele ältere Gründungsmitglieder der KPD, hauptsächlich Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionäre“. Auf die Frage, ob dies zu einer ernsthaften Spaltung der KPD führen könnte, meinte ich: “Nein, die KPD ist mittlerweile eine sehr junge Partei und die älteren Funktionäre gelten vielen als Opportunisten.“ Ich schilderte dem General, dass die Mitglieder und meisten Funktionäre mit den Beschlüssen des sechsten Weltkongresses der Komintern im wesentlichen einverstanden seien. Viele glauben tatsächlich an eine dritte Periode bzw. an die bevorstehende Revolution, einhergehend mit der Radikalisierung breiter Massen. Der General lächelte und bedeutete mir doch mit meinem Bericht fortzufahren. An einer Stelle unterbrach er mich und fragte nach der Rolle der „Versöhnler“ in der KPD. Dazu sagte ich, dass die „ Versöhnler“ um Ernst Meyer und Arthur Ewert zwar noch im ZK säßen, aber ihr Einfluss auf die jungen Mitglieder der KPD „sei beschränkt“. Schleicher grinste und erklärte: “Ich glaube die KPD macht sich selbst fertig. Erfahrene Leute werden als Opportunisten gebrandmarkt und ausgeschlossen, gut so.“ Freundlich nickte ich dem Herrn General zu. Letztendlich wollte er von mir noch wissen, inwieweit die Anstrengungen der KPD, die Reichswehr zu zersetzen, Erfolge hätten. Diese Frage war gefährlich. Dennoch konnte ich mit gutem Gewissen antworten: “Aber Herr Generalmajor sie wissen doch, dass die Reichswehr eine Berufsarmee ist und die wenigsten Soldaten aus einem Milieu stammen, welches für die KPD ansprechbar ist.“
Schleicher bat mich doch für das nächste Treffen etwas genauere Informationen über diesen Aspekt der kommunistischen Arbeit zu liefern. Letzteres sagte ich zu. Doch dann überraschte mich der General. Er erklärte feierlich: “Sie sind der richtige Mann, der mich in Sachen Kommunismus beraten kann. Bitte betrachten Sie sich als meinen persönlichen Mitarbeiter und nicht als Mitarbeiter der Abwehr. Ich benötige Leute mit politischem Instinkt und politischer Erfahrung. Sie scheinen mir der Richtige zu sein. Ich will mich unabhängig von Canaris informieren.“
Offensichtlich war Schleicher ein Spieler. Er ging davon aus, dass ihn seine persönliche Wirkung und sein Instinkt in die richtige Richtung lenken würden. Wir vereinbarten ein neues Treffen gegen Ende Februar und er forderte von mir, noch einige persönliche Daten von kommunistischen Spitzenfunktionären mitzubringen. Er reichte mir die Hand und ging. Der Handschlag war offensichtlich ein Vertrag zwischen mir und General Schleicher. Nachdem Schleicher gegangen war, begleitete mich Herr Rath noch auf die Straße und sagte: „Du hast den Herrn General von Schleicher im Handumdrehen überzeugt. Aber Vorsicht, ich passe auf dich auf und sorge dafür, dass alle Berichte exakt kontrolliert werden, denn der General ist oftmals ein bisschen zu voreilig.“ Bei diesen Worten lief es mir eiskalt über den Rücken.
Gespräch mit Kippenberger
Natürlich berichtete ich umgehend meinem Chef und eigentlichen Auftraggeber, Hans Kippenberger, von dem Termin mit General Schleicher. Kippenberger lobte mich und brachte zum Ausdruck, dass es für die KPD sehr wichtig sei, Informationen und Planungen aus der Reichswehrspitze direkt zu erfahren. Auf meine Frage, was ich dem General denn so alles liefern sollte, gab Kippenberger gab mir den Rat, eine Mischung aus bereits Bekanntem, aber auch Unbekanntem über die Führung der KPD zu liefern, sowie Neuigkeiten über unsere Opposition. In der Tat, die KPD hatte Anfang 1929 vielfältige Probleme. Im Oktober 1928 war unser Parteiführer Ernst Thälmann im Rahmen der so genannten Wittdorf- Affäre für etwas mehr als eine Woche von seinen Funktionen als KPD-Vorsitzender entbunden worden. In Hamburg hatte John Wittdorf, ein enger Vertrauter von Thälmann, Parteigelder unterschlagen und Thälmann hatte versucht, dies vor dem leitenden Gremium der Partei geheim zu halten. Die Versöhnler und die „Rechten“ versuchten diesen Vorgang zu nutzen, um Thälmann, der jeden Befehl Stalins ausführte, zu stürzen. Das konnte sich Stalin nicht gefallen lassen. Die Amtsenthebung Thälmanns wurde rückgängig gemacht und die Angelegenheit als Verschwörung der Rechten gegen die Beschlüsse des sechsten Weltkongresses der Komintern gewertet. Der Fall Wittdorf wurde nie richtig aufgeklärt. Klar war allerdings, wie schwach die Opposition gegen die Beschlüsse des sechsten Weltkongresses der Komintern innerhalb der KPD eigentlich war. Man benötigte letztendlich eine Affäre, um Beschlüsse des Weltkongresses in Frage zu stellen.
Mir persönlich waren die Beschlüsse des sechsten Weltkongresses der Komintern zu positivistisch und mechanistisch. Man ging man von dem Eintritt in die dritte Periode der revolutionären Weltbewegung aus. Der ungarische Wirtschaftswissenschaftler Eugen Varga prognostizierte im August 1928 das Ende des kurzen Aufschwungs des Kapitalismus und das Aufkommen einer neuen wirtschaftlichen Krise. Aufgrund dieser Analyse schlussfolgerte die Komintern, die Massen und die Arbeiterklasse würden beinahe automatisch nach links gehen. Man erklärte die Sozialdemokratie nicht nur zum Hauptfeind, sondern bezichtigte sie auch des Sozialfaschismus. Einheitsfrontaktionen mit den Sozialdemokraten wurde eine Absage erteilt. Besonders abenteuerlich waren die Beschlüsse in Bezug auf die Arbeit innerhalb der Gewerkschaften. Es wurde faktisch zu Gründung neuer Gewerkschaften auf revolutionärer Basis aufgerufen. Einwände der so genannten Rechten und der Versöhnler wurden als Opportunismus zurückgewiesen.
Diese Politik im Jahr 1928 kam mir mehr als bedenklich vor. Innerlich teilte ich die Argumente von Brandler und Meyer gegen diese abenteuerliche Politik. Die Oppositionellen innerhalb der KPD warnten vor einer Isolierung der Kommunisten in den Betrieben. Sie erteilten der Gründung revolutionärer Gewerkschaften eine klare Absage und verfolgten weiterhin die Strategie, dass die Kommunisten innerhalb der Einheitsgewerkschaft um Mehrheiten kämpfen müssen. Auch der Optimismus bezüglich der automatischen Linksentwicklung der Massen wurde von Ihnen nicht geteilt. Dennoch schloss ich mich in dieser Phase keiner innerparteilichen Oppositionsgruppe an. Dazu dürfte meine persönliche Freundschaft mit Heinz Neumann, dem jungen intellektuellen Kopf der KPD wesentlich beigetragen haben. Auch zu Willi Münzenberg hatte ich ein ausgesprochen gutes Verhältnis. Immer wieder bewunderte ich, wie der „rote Pressezar“ es verstand, mittels der „Arbeiter Illustrierten Zeitung“ ein Millionenpublikum anzusprechen. Münzenberg hatte auch kein Problem damit, parteilose linksgerichtete Künstler und Publizisten zu engagieren. Die „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ brachte Fotomontagen und hatte das Stilmittel der Reportage neu in die deutsche Presselandschaft eingeführt. Die AIZ wurde massenhaft von Arbeitern und Arbeiterinnen gekauft und gelesen. Mitglieder der KPD bezogen hauptsächlich das Parteiorgan “Die Rote Fahne“. Ich konnte mir eine Partei ohne Münzenberg & Neumann nicht vorstellen. Auch der alte Arbeiterfunktionär Hermann Remmele galt als eine der wichtigsten Führungsfiguren der Partei. Ich dachte damals, solange meine Freunde die Linie der Komintern vertreten, sind meine Zweifel letztendlich doch unbegründet.
Aber zurück zum Gespräch mit Kippenberger. Er gab mir den Auftrag, Schleicher eine passende Liste mit Wahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen zur übergeben. Ergo machte ich mich an die Arbeit.
Die Liste für General Schleicher
Ernst Meyer
Mehrere Wochen arbeitete ich an der Personalliste für General Schleicher. Ich begann mit Ernst Meyer. Nach meinem Erinnerungsvermögen schrieb ich über ihn: „Ernst Meyer ist innerhalb der KPD-Führung isoliert. Zudem ist er häufig krank und sensibel. Oft versteht er es, zu einer realistischen Beurteilung der Lage zu kommen. Sein Mitkämpfer Arthur Ewert ist zwar gesund, aber ohne Meyer, oft argumentativ und rhetorisch überfordert. Die Frau von Ernst Mayer ist die Witwe des kommunistischen Revolutionärs Eugen Levine. Im Apparat der KPD hat Mayer nur geringen Einfluss. In seiner Funktion als Parteivorsitzender 1922 kümmerte er sich nie um die Zusammenstellung der Kader innerhalb des Apparats. Er hat allerdings Sympathisanten und Mitkämpfer im Bereich der betrieblichen Gewerkschaftsarbeit. Fast die gesamte geschlossene hauptamtliche Fraktion, die in Berlin die INPREKORR (Internationale Pressekorrespondenz- Organ der kommunistischen Internationale) herausgibt, steht auf der Seite Ernst Meyers. Allerdings hegt Meyer keine besonderen Sympathien für ein Heinrich Brandler und seine Freunde. Auf dem Parteitag in Leipzig Anfang Januar 1923 wurde Ernst Meyer als Parteivorsitzender mit Wissen und Zustimmung der Komintern-Führung eiskalt von Brandler abserviert. Der blasse Intellektuelle Ernst Meyer schien den Kominternleuten nicht dazu geeignet, um den Arbeiterführer in Deutschland zu geben. Im Oktober 1923 als es zu den sogenannten Arbeiterregierungen in Thüringen und Sachsen kam, wandte sich Meyer dann gegen die Politik von Brandler und warf ihm Zögerlichkeit und Opportunismus vor. Die Kommunistische Internationale betrachtete diese Regierungen als Ausdruck wachsender Aktivität und Unzufriedenheit der Arbeitern und Arbeiterinnen. Aus Thüringen und Sachsen sollte der Startschuss für den deutschen Oktober erfolgen. Letztendlich wurde der Aufstand abgeblasen, nachdem Brandler auf einem Betriebsrätekongress in Chemnitz dazu keine Mehrheit erhalten hatte. Meyer warf - genau wie Trotzki - Brandler vor, sich von einem sozialdemokratisch dominierten Kongress abhängig gemacht zu haben, anstatt zur Tat zu schreiten. Auf der anderen Seite war Ernst Mayer entschiedener Gegner der Ultralinken, welche im Frühjahr 1924 die Partei eroberte. Meyer repräsentierte damals die so genannte Mittelgruppe innerhalb der KPD, auf die auch der damalige Vorsitzende der Komintern, Grigori J. Sinowjew, setzte.
Heinz Neumann
Über Heinz Neumann schrieb ich damals: “Er ist intellektuell dem Parteiführer Ernst Thälmann weit überlegen. Zudem verfügt er über ausgesprochen rhetorische Fähigkeiten. Genau betrachtet ist Heinz Neumann der Spiritus Rector innerhalb des Sekretariats der KPD. Bis dato erfreut er sich einer besonderen Wertschätzung durch Stalin. Heinz Neumann ist wendig und im Umgang mit so genannten Abweichlern nicht sonderlich zimperlich. Es kursiert das Gerücht, dass er alle wichtigen Reden für Ernst Thälmann schreibt. Die alte Generation, angeführt von Clara Zetkin und Wilhelm Pieck, steht Neumann mit einer gewissen Skepsis gegenüber. Neu ist, dass Neumann sich offensichtlich fest gebunden hat. Ob dies allerdings das Ende seiner zahllosen Frauenaffären bedeutet, bleibt abzuwarten. Bei aller Treue gegenüber Stalin ist und bleibt Neumann jedoch ein selbstständiger selbstbewusster Kopf.“
Hermann Remmele
Zusammen mit Thälmann und Neumann bildet Hermann Remmele, die eigentliche Führung der KPD. Remmele wird mit knapp 50 wegen seiner Erfahrung in der Bewegung sehr geschätzt. Den Opponenten Neumann fällt es schwer, die gegenwärtige Führung der KPD anzugreifen, da sie die Autoritätsperson Remmele deckt. In Wahrheit jedoch benötigt der Praktiker Remmele den wendigen Theoretiker Neumann, denn Remmele ist zwar ein guter, aber kein hervorragender Redner.
Ernst Thälmann
Ernst Thälmann hält sich viel darauf zugute, aus dem Proletariat zu stammen. Viele Arbeiter und Anhänger der KPD, speziell in Hamburg, sehen in ihm ihresgleichen. Die Rhetorik von Thälmann provoziert bei den Intellektuellen innerhalb der KPD des öfteren geradezu Verzweiflungszustände. Wenn Ernst Thälmann nicht vom Blatt abliest, passieren ihm immer wieder unmögliche verbale Schnitzer. Auf einer KPD Versammlung meinte er einmal allen Ernstes: “Die Frauen gehören mit den eigens dafür geschaffenen Organen bearbeitet.“ Natürlich macht sich die Parteiintelligenz über solche Ausrutscher lustig, aber solche Schnitzer schaden dem Arbeiterführer beim proletarischen Anhang nicht im Geringsten. Auch die Affäre im letzten Jahr führte bei vielen Arbeitern, die in Ernst Thälmann Ihrem Führer sehen zu Mitleid und sogar zur aktiven Solidarisierung. Bei allen Schwächen ist Ernst Thälmann ein nicht zu unterschätzendes Aushängeschild der Partei. Thälmann verfügt mittlerweile über viel organisatorische Erfahrung, doch schwankt er zwischen übersteigertem Selbstbewusstsein und Minderwertigkeitskomplexen.
Walter Ulbricht
Der Sachse Walter Ulbricht wird in der KPD nicht geliebt. Sein absoluter Pluspunkt ist seine ständige Betriebsamkeit und die Liebe zum Detail. Nicht umsonst hat er in der Partei den Spitznamen „Genosse Zelle“. Walter Ulbricht wird mit Sicherheit dem neuen Zentralkomitee angehören und dort wie immer einer der am besten Informierten sein. Seine Außenwirkung hingegen ist mehr als bescheiden. In seinen Jahren in Moskau (er war dort Vertreter der KPD bei der Komintern) hat er nicht auch nur ein bisschen russisch gelernt. Walter Ulbricht hat es geschafft, sich von allen seinen alten Freunden Heinrich Brandler und Thalheimer rechtzeitig zu distanzieren. Er wird als Aktivist im neuen Zentralkomitee mit Sicherheit benötigt.
Leo Flieg
Leo Flieg gehörte bis dato jeder KPD Führung an. Flieg ist ungeheuer fleißig und ein überzeugter Bolschewik, was man ihm ob seines blassen Aussehens und seiner schmächtigen Statur nicht zutraut. Vom Typ her würde er eher als Büroangestellter einer Versicherungsgesellschaft durchgehen. Dennoch ist Flieg ein überzeugter Revolutionär, der auch im Stande ist konspirativ zu arbeiten. Mit Heinz Neumann verbindet ihn eine enge Freundschaft. Leo Flieg gehört zum engen Freundeskreis des KPD Chef -Agitators Willi Münzenberg.
Willi Münzenberg
Willi Münzenberg ist nicht nur im Reichstag aktiv, sondern er leitet auch das umfassende KPD Propagandaunternehmen. Münzenberg gibt die „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ und organisiert publikumswirksam jeden Propagandafeldzug der KPD. In seinen Verlagshäusern erscheint die kleine Arbeiterbibliothek, die im Rotationsdruckverfahren hergestellt wird. Dadurch können die Werke von Marx, Engels und Lenin günstig angeboten werden. Daneben betreibt er ein florierendes Geschäft mit sowjetischen Filmen. Es dürfte bekannt sein, dass Münzenberg solche Filme gezielt einsetzt und des Öfteren - speziell während der Wahlkampagnen - Filme als rollende Kinos auch in den abgelegensten Landgemeinden zeigt. Münzenberg ist der fähigste Propagandist der KPD, seine rhetorischen Fähigkeiten sind nicht zu unterschätzen. In Privatgesprächen mit Intellektuellen, die der Partei nahe stehen, kann Münzenberg sehr charmant sein.
Hans Kippenberger
Wie Ihnen bekannt sein dürfte, leitet der ehemalige Leutnant Kippenberger den Abwehrapparat der KPD. Unter seiner Führung steht der Nachrichtendienst, sowie der militärische Zersetzungsapparat, kurz M-Apparat genannt. Hans Kippenberger ist Mitglied des Reichstages und versucht mit seinen Erkenntnissen die KPD Politik maßgeblich mitzugestalten. Gegenüber der Reichswehr hat sein Zersetzungsapparat aber bis dato nichts Wesentliches bewerkstelligt. Zwar gibt es einige KPD-Zeitungen für Reichswehrangehörige, diese verfehlen allerdings ihre Wirkung verfehlen. Dennoch hatte es Kippenberger offensichtlich geschafft, einige Informanten speziell innerhalb der preußischen Staatspolizei unterzubringen. Kippenberger umgibt sich mit jungen Leuten, die den Parteimitgliedern unbekannt sind und auch mir sind seine Mitarbeiter nicht namentlich bekannt.
General Schleicher ist zufrieden
Selbstverständlich, lieber Vater, lieferte ich Schleicher nur ein Konspekt des Geschriebenen sowie einige Informationen, die zum Teil aus fraktionellen Gründen weitergegeben werden sollten. Nachdem Herr Rath das Papier erhalten hat, wurde ich kurze Zeit darauf eingeladen, General Schleicher wie zuvor bereits in dem eleganten Nebenraum des Hotel Adlon zu treffen. Die „vibrierende“ Natter Schleicher begrüßte mich herzlichst. Mein Bericht schien ihm gefallen zu haben. Im Lauf des Gespräches wurde mir immer deutlicher, dass dieser deutsche Militarist sich selbst als politisches Genie und ausgesprochenen Menschenkenner betrachtete. Mit tiefem Blick in meine Augen teilte der General mir mit: “Jetzt bin ich endgültig davon überzeugt, wie nützlich Sie für mich sein können.“ Dann begann er zu monologisieren und legte nur noch Wert darauf, dass ich im zustimmend zunickte. Doch eröffneten sich mir aus Schleichers Monolog einige interessante Perspektiven. So war ihm die Unzufriedenheit mit der SPD-geführten Regierungskoalition anzumerken. Die Regierung Hermann Müller hatte ihr Wahlversprechen gebrochen und statt der Kinderspeisung Geld für den Panzerkreuzer A bewilligt. Damit war von Schleicher zufrieden, aber er meinte: “Ich hab die Schnauze voll davon, immer die Herren überzeugen zu müssen. Die Entscheidungen der Regierung dauern mir viel zu lange. Da lobe ich mir doch Josef Stalin, der einfach ohne irgendjemand zu fragen seinen Hauptkonkurrenten Leo Trotzki in die Türkei verbannen konnte.“ Zusätzlich äußerte er sich optimistisch bezüglich der neuen Führung in der Sowjetunion. Sinngemäß brachte er zum Ausdruck, dass deren Politik zwar abenteuerlich sei, es aber auf der anderen Seite doch nur um die ewigen Interessen von „Mütterchen Russland“ ginge. Gleichzeitig meinte er, dass sich die KPD in Deutschland maßlos selbst überschätze und sich mit ihrer Politik gegenüber der Sozialdemokratie langfristig isoliere.
Mit einigen kurzen Einwürfen billigte ich die Argumentation des Generals. Mein Verstand sagte mir, dass er in der Tat die Klassenlage und das Klassenbewusstsein in Deutschland realistischer einschätzte als die Führung der KPD. Gegen Ende des Treffens meinte General Schleicher: „Am 1. Mai ist was im Busch. Der SPD Polizeipräsident Zörgiebel bereitet etwas gegen die KPD vor. Ich hoffe der Kerl stellt sich nicht so blöde an wie das Weichei Severing ( SPD Innenminister von Preußen ).“ Mit diesen letzten Bemerkungen war ich entlassen und konnte gehen. Umgehend informierte ich einen Kurier Kippenbergers und bat um ein Gespräch.
Kippenberger lobte mich
Interessiert und amüsiert nahm Hans Kippenberger meinen Bericht zur Kenntnis. Er meinte, ich solle mich unbedingt noch mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Roten Frontkämpferbundes, Willi Leow, treffen. Verächtlich erklärte Kippenberger: „Informier´ diese Leuchte des antifaschistischen Kampfes und weis´ ihn daraufhin, dass es am 1. Mai knallen könnte.“
Anschließend trafen wir uns mit dem Genossen Leo Roth.“ Leo Roth war faktisch das Faktotum von Kippenberger im Abwehr und Nachrichtenapparat der Partei. Obwohl Roth noch ziemlich jung war, besaß er nachrichtendienstliche Qualitäten und war außerordentlich intelligent. Auch seine Wirkung auf Frauen war nicht zu unterschätzen, was im Bereich des Nachrichtendienstes unter Umständen sehr nützlich sein kann. Den Anweisungen gemäß traf ich mich zuerst mit Willi Leow, dem Stellvertreter von Ernst Thälmann im Roten Frontkämpferbund. Leow reagierte erfreut und optimistisch. Etwas naiv erklärte er: “Wenn die Sozialfaschisten der SPD etwas planen, werden ihnen unsere Kämpfer eine entsprechende Antwort erteilen“. Diese großkotzige Antwort des RFB Mannes beeindruckte mich nicht. Aber offensichtlich legte es die Partei bezüglich des 1. Mai 1929 auf eine direkte Konfrontation mit den von den Sozialdemokraten geleiteten preußischen Staatsorganen an. Am 1. Mai riefen die Vertreter des ADGB nur zu Saalveranstaltungen auf und verboten gleichzeitig jegliche öffentliche Mai- Demonstration. Für die KPD-Führung ebenso wie für die radikalisierten Schichten der Arbeiterklasse galt dies als Provokation und als nicht hinnehmbar. Einzig die Versöhnler um Ernst Meyer versuchten in dieser Situation eine taktische Antwort zu geben
Arthur Ewert unterbreitete dem ZK den Vorschlag, in die Saalkundgebungen des ADGB hineinzugehen und anschließend mit der Masse und so auch mit Sozialdemokraten am 1. Mai auf der Straße zu demonstrieren. Diese Vorschläge der sogenannten Versöhnler wurden als opportunistische Abweichung abgetan. Am 1. Mai demonstrierten der rote Wedding und das rote Neukölln. Insgesamt wurden an diesem Tag 33 Arbeiter und Arbeiterinnen von der Schutzpolizei unter Befehl des Sozialdemokraten Zörgiebel erschossen. Ich selbst, lieber Vater, nahm am Barrikadenkampf in Neukölln teil. Allerdings waren wir nicht darauf vorbereitet, die Polizei zurückzuschlagen. Das Ergebnis war - wie absehbar - eine ungeheure Radikalisierung der Anhängerschaft der KPD, die nun auch kaum mehr Einwendungen gegen die Theorie des Sozialfaschismus hatte. Der Schießbefehl des sozialdemokratischen Berliner Polizeipräsidenten isolierte mit einem Schlag die Position der Versöhnler. Im Juni 1929 fand im roten Wedding der zwölfte Parteitag der KPD statt. Die Atmosphäre des Parteitages an dem ich als Berichterstatter für die „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ und sozusagen in geheimer Mission für General Schleicher teilnahm war revolutionär, optimistisch und scheinbar kämpferisch. Ernst Thälmann sprach in seinem Rechenschaftsbericht von Sozialfaschisten, Zentrumsfaschisten und Nazifaschisten. Abgerechnet wurde mit jeder Art von Opposition innerhalb der KPD, welche faktisch als revisionistisch und konterrevolutionär definiert wurde. Mit sehr gemischten Gefühlen verließ ich den Parteitag. Mein Freund Heinz Neumann war wegen Krankheit nicht gekommen.
Unmittelbar nach dem Parteitag überbrachte mir der Agent Rath wieder eine Einladung zu Schleicher. Diesmal wollte er sich mit mir im Reichswehrministerium treffen. Meinen Einwand, „dass das doch etwas riskant sei und man mich dort sehen könnte“, wiegelte er schmunzelnd ab: “Kleb dir doch einen Bart an und setzte einen Hut auf. Die Wache wird dich mit dem Papier, das ich dir gebe ohne Probleme durchlassen.“ Am 29. Juni zeigte ich einem Wachhabenden das Papier und wurde umgehend zu General Schleicher geführt. Der General war enorm neugierig bezüglich der Beschlüsse des zwölften Parteitages der KPD. Ich merkte im Lauf des Gesprächs, dass er auf seine Art zufrieden mit dem Ablauf des Parteitages“ dieser Bolschewiken“ war und deutete immer wieder an, dass es „im deutschen Interesse sei, wenn sich die Spezialdemokraten der SPD mit der KPD weiter überwürfen“. An dem Gespräch nahm noch ein Herr teil, der mir am Schluss des Treffens als Bevollmächtigter der IG Farben vorgestellt wurde. Ich hatte sowieso schon den Eindruck gewonnen, dass Schleicher sich besonders gut mit den Vertretern der modernen Industrie aus Chemie- und Elektrokapital verstand, was für meinen Bericht an Hans Kippenberger nicht unwichtig war. Schleicher vermerkte besonders zufrieden den Auftritt von Paul Merker auf dem Parteitag. Merker hatte dort vehement die Theorie des Sozialfaschismus vertreten und den Aufbau separater Gewerkschaften eingefordert. Etwas ratlos verlies ich die Sitzung mit dem Generalmajor und dachte mir, „Verdammt, wie kann nur ein ehrlicher Kommunist wie Merker dem politischen General gefallen“-.
Mein Gespräch mit Kippenberger
Ich berichtete Kippenberger in aller Offenheit von dem Gespräch mit dem General. Ich hielt auch mit meine eigenen Bedenken gegen bestimmte Ausuferungen des zwölften Parteitages nicht hinter dem Berg. Dazu bemerkte Kippenberger süffisant: „ Auch die zaristische Ochrana fand einst die Spaltung der russischen Sozialdemokratie gut. Die Kommissköpfe können nur in einer Richtung denken. Für die ist jede Spaltung gut, ohne dass sie begreifen, dass eine Spaltung auf der Basis programmatische Klarheit, die revolutionären Kräfte stärkt.“ Nach dem Gespräch war ich wieder halbwegs zufrieden. Die politischen Gespräche bei einem Krankenbesuch bei Heinz Neumann bewegten sich in ähnlichem Rahmen. Ich sagte mir: „Halte Dich nicht für klüger als die anderen.“ Ich wollte weiter Vertrauen haben. Nebenbei gab mir Kippenberger wieder etwas Material für Schleichers Reichswehrapparat mit. Es handelte sich dabei um eine größtenteils gefälschte Dokumentation bezüglich der Weiterarbeit des mittlerweile verbotenen RFB.
Luise und ich
Im Frühjahr 1929 verknallte ich mich ernsthaft in die Genossin Luise, die ebenfalls für die „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ arbeitete. Luise war zuständig für das Akquirieren von Anzeigen vom kleinbürgerlichen Unternehmen. Sie sagte mir bei unserem ersten Treffen in einem Café, dass sie sehr wohl über meine früheren Liebschaften informiert sei. Dennoch machte sie mir ziemlich offen Hoffnungen. Der Rotschopf in unserer Redaktion gefiel nicht nur mir. Luise war sehr selbstbewusst und machte mir schnell klar, dass sie bestimme, wo es lang ginge. Es war an der Zeit, Luise ganz bürgerlich ins Restaurant und zum Kinobesuch einzuladen. Letzteres tat ich ein zwei Tage später und die kesse Luise sagte zu. Wir wurden ein Paar. Tatsächlich schaffte ich es, Luise bis 1933 treu zu bleiben. Schwierig war nur, dass ich Luise nicht über meine Arbeit für Kippenberger bei General Schleicher unterrichten durfte. Für Sie war ich ein ehrlicher Kommunist, der irgendwelche Parteiaufträge für den Apparat durchführte. Luise stammte aus einer Neuköllner Arbeiterfamilie und war ausgesprochen sprachbegabt. Sie sprach fließend Russisch, Französisch und Englisch. Mit mir sprach sie in starkem Berliner Dialekt. Im Laufe der Zeit erfuhr ich, dass sie für Münzenberg oft übersetzte und enge Kontakte zur Pankratowa, einer für die Komintern arbeitende Genossin hatte. Sie sah die Parteilinie wesentlich kritischer als ich. Sie glaubte nicht an den „ununterbrochenen revolutionären Aufschwung“, wie ihn die Komintern auf ihrem 6. Weltkongress propagierte. Zwar gaben der schwarze Freitag im Oktober 1929, der Zusammenbruch von Firmen, die Ruinierung des Kleinbürgertums, die einsetzenden Massenentlassungen in ökonomischer Hinsicht der Analyse der Komintern von 1928 Recht. Luise betonte aber immer wieder, dass es keinen „ politischen Automatismus“ gebe, wonach die Leute aus ökonomischen Gründen automatisch nach links gingen. Oft nannte sie mich einen hoffnungslosen Optimisten, welcher von Neumann angesteckt sei. Auch den 1. Mai in Berlin wertete Luise nicht als signifikantes Zeichen des „Sozialfaschismus“. Natürlich verurteilten wir beide den Polizeiterror in Berlin am 1. Mai 1929. Wir stritten uns. Im Nachhinein betrachtet lag Luise richtig.
Werner Scholem
Von Werner Scholem wusste ich nur, dass er 1924 und 1925 zur „linken Führung“ der KPD gehörte. Am Ende stand er sogar links von Ruth Fischer und Arkadi Maslow. Anschließend beteiligte sich der Bruder des jetzigen jüdischen Religionsphilosophen Gershom Scholem an der Gründung des linksoppositionellen „Leninbundes“, den er aber bald nach dessen Gründung 1928 wieder verließ. Er studierte Jura und arbeitete bei Gericht. Seine kommunistische Überzeugung gab er aber nicht auf. Selbst als Ausgeschlossener versuchte er der KPD zu helfen. Der sehr jüdisch aussehende Scholem war ein ziemlicher Schwerenöter. Er brachte es fertig, die beiden Töchter des Generals Hammerstein für die KPD anzuwerben. Kippenberger betrachtete die beiden Frauen zurecht als wichtige Informationsquelle für seinen Militärapparat. Die Töchter des Chefs der Heeresleitung als Informantinnen zu haben, war in der Tat etwas Außergewöhnliches. Kippenberger gab mir den Auftrag mich mit dem „ Opportunisten“ Scholem zu treffen. Im Café konferierte ich mit Scholem, der zwischenzeitlich ziemlich nahe an die kleine Gruppe von Leo Trotzki in Berlin herangerückt war. Über die beiden Frauen erzählte er mir nur Gutes. Scholem bekannte sich trotz aller Kritik an der Sowjetunion zu ihrer bedingungslosen Verteidigung. Ich konnte ihm nur mitteilen, dass er die Beziehungen zu den Frauen einstellen solle, denn er sei doch sehr bekannt. Scholem grinste und meinte: „Das hat sich auf persönlicher Ebene eh schon erledigt. Behandelt die Frauen anständig und vergesst nicht meine Dienste für die Weltrevolution.“ Da musste auch ich grinsen. Bis heute habe ich Werner Scholem in guter Erinnerung. Wir sollten im Jahr 1932 noch einmal miteinander zu tun haben.
Müller tritt zurück
Anfang des Jahres 1930 waren immer mehr sozialdemokratische Arbeiter mit „ihrem“ Kanzler Herrmann Müller unzufrieden. Ausgerechnet jetzt bei steigender Massenarbeitslosigkeit sollten die Arbeiter einseitig mehr Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bezahlen. Die sozialdemokratische Arbeiterbasis rebellierte und die Koalition mit Zentrum und DDP wurde beendet. Der blasse Asket, Katholik und Zentrumspolitiker Heinrich Brüning wurde Reichskanzler. Er konnte sich im Reichstag auf keine parlamentarische Mehrheit mehr stützen. Ab sofort setzte er auf ein rigides Sparprogramm zu Lasten der breiten Massen. Der Inhalt des Programms von Brüning bestand darin, die kapitalistische Krise nach unten abzuwälzen. Das Arbeitslosengeld wurde auf 26 Wochen beschränkt. Anschließend erhielten bei rasant steigender Arbeitslosigkeit die Arbeiter nur noch Brösel im Rahmen der „Wohlfahrtsunterstützung“. Der Hunger kehrte in die Arbeitersiedlungen zurück. Zuerst feuerten die Kapitalisten die kommunistischen Arbeiter, die ihnen oft durch die verhängnisvolle RGO-Politik namentlich bekannt waren. Die sozialdemokratisch orientierten ADGB Gewerkschaften hatten nichts dagegen, die „ lästigen Konkurrenten“ aus der Arbeit fliegen zu sehen. Im Gegenteil, in vielen Betrieben arbeiteten Unternehmer und sozialdemokratisch orientierte Gewerkschaftsbürokraten bei der Erstellung der Entlassungslisten zusammen. Die KPD wurde zunehmend zu einer Partei der Arbeitslosen, die jetzt viel Zeit hatten für die Verteilung von Flugblättern und zur Agitation. Die meist sozialdemokratisch orientierten Facharbeiter hatten eher Angst vor diesen ausgemergelten Gestalten und unterwarfen sich der „Fabrikdisziplin“.
General Schleicher hatte in der neuen Regierung weiterhin den Posten als „Leiter des Reichswehrministeriums“ inne. Er war der direkte politische Vertreter der Reichswehr unter Reichswehrminister General Groener.
KPD Politik vor dem 14. September 1930
Hans Kippenberger forderte mich im August 1930 wieder zu einem dringenden Gespräch auf. Er wollte mehr erfahren bezüglich der Absichten des politischen Generals. In der Tat, bis dato hatte ich grobe bekannte oder gefälschte Informationen an Schleicher geliefert. Es war unklar, ob Schleicher direkte Aktionen gegen die KPD plante. Der Wahlkampf der KPD war geprägt von ihrem Programm zur „Nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“. Die Gefahr, dass die Nazis hochkommen würden, war nicht zu unterschätzen. Zu Recht wurde gegen den Versailler Vertrag Stellung bezogen. Im Nachhinein betrachtet fehlte dem Dokument, das mein Freund Heinz Neumann ausgearbeitet hatte, der internationalistische Aspekt. Mit keinem Wort wurde in der Erklärung die Notwendigkeit einer europäischen sozialen Revolution erwähnt. Auch die Nazis wetterten gegen Versailles und nahmen die verzweifelten nationalistisch bornierten Kleinbürger ins Visier ihrer politischen Agitation. Der ehemalige Gefreite Hitler zog durchs Land und auch in Berlin machten sich die Faschisten unter ihrem Gauleiter Goebbels immer deutlicher bemerkbar. Die SA und die NSDAP mieden die noch immer die roten Bezirke Wedding und Neukölln. Unsere weiterhin existierenden RFB Gruppen ließen das nicht zu. Dennoch gehörten Straßenschlacht, Saalschlacht und politischer Mord zum Wahlkampf 1930. Die Faschisten wollten die Straße erobern. Dabei griffen sie sozialdemokratische Versammlungen, Lokale und Einrichtungen, den sozialdemokratisch dominierten Reichsbanner genauso an wie unsere KP-Formationen. Eigentlich wäre es doch vernünftig mit den Sozis gemeinsame Abwehrbündnisse gegen die Nazis zu schließen, schoss es mir damals durch den Kopf. Aber für uns waren die Sozialdemokraten ja „Sozialfaschisten“. Auf der anderen Seite schloss auch die sozialdemokratische Führung jedes Abkommen mit uns aus. Dabei waren die Plakatkleber der SPD und der KPD war in der Realität gleichermaßen von den SA- Schlägern und -Mördern bedroht.
Jetzt aber zurück zu meinem Auftrag. Ich traf mich wieder mit dem sauberen Herrn Rath und bat um ein Gespräch mit General von Schleicher. Rath wollte wissen, was denn so dringend sei. Ich erfand eine Geschichte. Aber der Ex Offizier Rath vertröstete mich auf einen Termin nach der Reichstagswahl am 14. September. Wie üblich bezahlte er das teure Frühstück im Café Kanzler.
Der 14.September
Am Wahltag lauschten wir in unserem Verkehrslokal in Neukölln gespannt den eintreffenden Wahlresultaten. Bis weit nach Mitternacht kamen Boten aus dem Karl- Liebknecht-Haus. Luise saß neben mir. Es zeichnete sich ab, dass unsere Partei deutlich zulegte. Von 3,4 Millionen Wählern stieg unser Stimmenanteil auf 4,6 Millionen Stimmen. In Berlin wurden wir zur stärksten Partei. Aber der Wahlerfolg der NSDAP stellte alles in den Schatten. Die Nazis gewannen erdrutschartig an Stimmen hinzu. Aus 800.000 Wählern im Jahr 1928 waren 6,4 Millionen Stimmen im September 1930 geworden. Der Genosse Kraus, ein alter Spartakist, der bei uns saß, meinte: „Das wird eine ernste Angelegenheit, jetzt werden sie noch stärker als bisher ihre SA aus ihren Vereinsheimen auf uns loslassen.“ Luise, die alte Versöhnlerin, stimmte ihm zu. Karl Becker hingegen aus dem Vorstand des KJVD war eher Optimist und meinte unter dem Beifall der Anderen: „Hitler ist zu schlagen, das war sein bester Tag, die Sozialfaschisten von der SPD bleiben der Hauptfeind“. Heftig widersprachen ihm Luise und der alte Kraus. Beide meinten, dass er es sich „zu einfach mache“. Ich hielt mich aus der Debatte heraus. Ein anderer Genosse meinte, „ wie hoch wir doch gewonnen haben“. Luise unterstützt vom Genossen Kraus sagte nur, dass unser Erfolg in keinem Verhältnis zum Erfolg der Nazis stehe. Die Debatte brachte nichts und ich schlug vor nach Hause zu gehen. Für meine Luise war ich nichts als ein „hirnloser Berufsoptimist“.
Von Erfolg zu Erfolg
Die Berichte in der „ Roten Fahne“ in den nächsten Tagen ähnelten einander. Immer wieder wurde unser Wahlsieg in den Vordergrund gestellt. Es gab keinerlei Andeutung die Linie zu ändern. Die SPD blieb der Hauptfeind. Es wurde so getan, als ob wir von „Erfolg zu Erfolg“ marschierten. In Wahrheit wurden wir zur Partei der Arbeitslosen. Die proletarisierten Schichten aus diesem Kleinbürgertum wollten sich nicht mit ihrem Schicksal abfinden und liefen Hitler hinterher. Sie bekamen in den SA-Heimen kostenlose Uniformen und warme Mahlzeiten. Dafür mussten Sie unsere Veranstaltungen und Genossen angreifen. Es herrschte Bürgerkrieg auf den Straßen. Ich besuchte damals öfter Heinz Neumann in seiner Privatwohnung. Am Wochenende ging es oft hinaus ins Grüne zusammen mit Heinz, seiner Frau Margarete, Willi Münzenberg und Leo Flieg. Hin und wieder begleitete uns auch Hermann Remmele mit seinem Sohn Helmuth. Der typische jüdische intellektuelle Städter Heinz Neumann hatte selten Auge und Ohr für die Schönheiten des Grunewaldes. Stets polemisierte er und forderte deutlichere militante Aktionen gegen die Nazis. Der erfahrenere Willi Münzenberg meinte dazu, dass man auch sozialdemokratische Arbeiter in den Widerstand mit einbeziehen müsste. Das war keine Streitfrage bei den Ausflügen. Niemals wurde die Generallinie kritisiert. Ziemlich deutlich war aber die Unzufriedenheit mit unserem Parteiführer Thälmann zu spüren .Oft hatte ich das Gefühl, dass Neumann keine Lust mehr hatte für ihn alle Reden zu schreiben. Leo Flieg, der das Büro Thälmanns leitete, gab immer mal wieder Anekdoten aus seiner Arbeit mit dem Parteivorsitzenden zum Besten. Remmele hingegen verteidigte Thälmann. Er meinte, er sei doch wichtig „in Bezug auf die Massen“. Dem wurde nicht widersprochen. Zunehmend hatte ich das Gefühl zu einer Clique zu gehören. Ohne Artikel zu verfassen, waren diese Genossen irgendwie unzufrieden. Bei Münzenberg hatte ich am deutlichsten das Gefühl, dass ihm die „ ultralinke Linie“ nicht gefiel. Sein Lebenswerk war dadurch gefährdet. Remmele gab offiziell den Optimisten, aber mit seiner langjährigen Erfahrung in der Arbeiterbewegung konnte er die Nazigefahr nicht übersehen. Wir sprachen bei unseren Ausflügen nicht nur von „ Erfolgen“. Aber der „Erfolg“ sowie der angeblich „ ununterbrochene revolutionäre Aufschwung“ wurden in allen Reden und Artikeln meiner Freunde wiedergegeben.
Im November 1930 wieder bei Schleicher
Herr Rath schickte mir einen Brief mit der Adresse der Praxis des Zahnarztes Dr. Hellmuth Elbrechter in der Brückenallee 14,, wo ich mich in Zukunft mit Schleicher treffen sollte. Der General schien nun auf mehr Konspiration zu setzen. Die Sekretärin Kippenbergers stellte mir über den Zahnarzt ein umfangreiches Dossier zusammen. Demnach gehörte Dr. Elbrechter zum engsten Kreis der Leute um Edgar Jung, dem prominentesten Vertreter der „konservativen Revolution“. Er hatte enge Kontakte zum sogenannten linken Flügel der NSDAP um Gregor Strasser, dessen Bruder Otto Strasser und zu dem in Bolivien weilenden Ernst Röhm. Die „Jungkonservativen“ waren eine Vereinigung rechter Intellektueller, welche die Vergangenheit verherrlichten, aber dennoch nicht auf die Rückkehr von Kaiser Wilhelm setzten. Diese Leute meinten, dass das alte Preußen der Inbegriff von sozialer Gerechtigkeit gewesen sei. Zu dem Kreis gehörte auch der Schriftsteller Ernst Jünger, der in seinem Roman „In Stahlgewittern“ das Kriegserlebnis abfeierte. Jünger schwadronierte von wahrer „Männlichkeit im Krieg“ und brachte es fertig, das Kriegserlebnis als „ Sozialismus“ auszugeben. Hans Zehrer gab die Zeitung „Die Tat“ heraus, in der ebenfalls der autoritäre preußische Staat verherrlicht wurde. Gleichzeitig sahen diese Leute den Gegensatz von links und rechts als überholt an und propagierten faktisch einen autoritären Ständestaat mit einer starken Person an der Spitze. Die Nazis waren diesen Leuten nicht vornehm genug.
Das Treffen beim Zahnarzt
Als getarnter Patient besuchte ich am 3. November 1930 die Zahnarztpraxis. Sofort wurde ich von der “Sprechstundenhelferin“ in einen eleganten Raum geführt. Schleicher war schon da und begrüßte mich freundlich. An dem Gespräch nahm auch der Zahnarzt teil. Zunächst setzte Schleicher auf freundliche Konversation, erkundigte sich nach meinen Lebensumständen und fragte mich, ob ich Geld benötige. Natürlich war ich mir meines Auftrages bewusst und sprach von meinen Geldsorgen. Der General meinte, „das lässt sich mit einem Scheck in den nächsten Tagen locker lösen. Herr Rath wird Ihnen den Scheck in Höhe von 2000 Reichsmark zukommen lassen.“ Schließlich kam Schleicher auf den Zweck unseres Treffens zu sprechen. Er bedauerte, dass die Nationalkonservativen nur ein Prozent erreicht hätten. Den Wahlerfolg der NSDAP versuchte er mit einem Schulterzucken abzutun. Ich hatte das Gefühl, dass der Zocker Schleicher mal wieder versuchte, aus der Situation das Beste zu machen. Mit Sicherheit hatte er Kontakte zu den Nazis. Er war wie immer voller Optimismus und fühlte sich wohl in der Rolle des politischen Drahtziehers. Auf seine Frage nach der neuesten Entwicklung in der KPD teilte ich nur bereits Bekanntes mit. Was nicht öffentlich bekannt war, war gezielte Fehlinformation, bzw. Köder. Ich berichtete vom Optimismus in der KPD und von der Einschätzung der führenden Kader der KPD, dass es sich bei der NSDAP nur um eine vorübergehende Erscheinung handeln würde. Der General nickte und grinste bezüglich dieser aktuellen Einschätzung der kommunistischen Partei. In mir brodelt es. In meinem Kopf spukte der Gedanke herum, wie relativ richtig der General die Entwicklungen in Deutschland im Gegensatz zur Führung der KPD und der Kommunistischen Internationale einschätzte. Dann wollte er wissen, wie hoch ich den Prozentsatz von Patrioten in der KPD und in deren Umfeld einschätzte. Ich sagte ihm, was allgemein bekannt war, nämlich dass die KPD zwar nationale Töne anschlug, aber in diesem Zusammenhang nicht mit der völkischen und der Nazi Partei konkurrieren könne. „Na ja“, meinte der General, es gäbe doch einige Überläufer in Richtung KPD, wie zum Beispiel „Beppo Römer“ und den Bruder von Ernst von Salomon. Das bestätigte ich, wies jedoch darauf hin, wie schwer es für die KPD sei mit ihrer Parole „Heil Moskau“ Überläufer aus dem nationalen Lager zu gewinnen. Der General und auch der Zahnarzt bescheinigten mir ein „helles politisches Köpfchen zu sein. Anschließend ging ich daran, einige Fragen zu stellen, die darauf hinausliefen, mehr über die Arbeit der Reichswehr innerhalb der KPD zu erfahren. Schleicher antwortete nur, dass sie natürlich noch mehr Leute innerhalb der KPD hätten. Dies ginge mich aber nichts an. Der Zahnarzt, persönlicher Freund des Generals, meinte dann, wie „schön es doch sein könnte, eines Tages die „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ von Willi Münzenberg als nationales Blatt auf dem Markt zu werfen“. Schleicher meinte nur, er habe natürlich seine Leute speziell im Presseapparat der KPD untergebracht, um im entscheidenden Moment auch von da her auf den nationalen präsidialen Konsens zu setzen. Mit Ernst Thälmann, den Schleicher als verstockten Hamburger Hafenarbeiter bezeichnete, könne man hingegen nicht arbeiten. Beide Herren schätzten den „Juden Neumann“ als gefährlich ein. Nach diesen Einlassungen wurde ich freundlich verabschiedet. Man versicherte mir, sich auf das nächste Treffen „zu freuen“.
Rapport bei Hans Kippenberger
Gleich am nächsten Tag traf ich mich mit Hans Kippenberger in unserem Café im Berliner Westen. Nach meinem Bericht meinte Kippenberger, es sei nötig, den gesamten Presseapparat der Partei sowie die Leute von Willi Münzenberg durch unseren Nachrichtenapparat genau zu überprüfen zu lassen. Leo Roth war auch dabei und nickte, was bedeutete, dass er den Auftrag übernehmen würde. Leider hatte Kippenberger kein Gespür für den politischen Realitätssinn Schleichers. Er meinte, gegenüber der NSDAP müsse der Kampf auf der Straße verschärft werden, „es gehe darum, die rote Einheitsfront zu schaffen.“ Einheitsfront war nach dem damaligen Verständnis der KPD ein Ultimatum an die sozialdemokratischen Arbeiter, sich der Führung der KPD zu unterwerfen. Einige Zeit später begriff ich wie weit sich die Kommunistische Partei dadurch von Erkenntnissen des dritten und vierten Weltkongresses der kommunistischen Internationale gelöst hatte. Kippenberger sagte noch, dass er Münzenberg bezüglich der Überprüfung seines Apparats informieren würde. Wir drei verstanden uns relativ gut und gingen dann dazu über einige allgemeinpolitischen Fragen zu diskutieren. Der junge attraktive Leo Roth bekam vor lauter Eifer gar nicht mit, wie sehr er im Visier weiblicher Blicke in unserem Café stand. Hans Kippenberger erzählte aus dem Reichstag, denn er war ja Abgeordneter. Die Nazis hatten die Eröffnung des Reichstages propagandistisch genutzt, um in voller Uniformierung im Parlament zu erscheinen und durch wildes Gebrüll auf sich aufmerksam zu machen. Kippenberger nannte die Fraktion der Nazis eine Ansammlung wildgewordener Spießer, Kleinbürger und sogar Mörder, wie der SA-Führer von Schlesien, Edmond Heines.
Kippenbergers Kommentar zu den Nazis war ein guter Witz: „Wisst ihr wie der richtige Arier aussieht? Groß wie Goebbels, schlank wie Göring und blond wie Hitler.“ Wir bogen uns vor Lachen. „Das muss ich Willi erzählen“ meinte ich, „der wird daraus sicher eine Fotomontage mit Text für die „ Arbeiter Illustrierte Zeitung“ machen.“- „Tu das“, sagte Leo Roth.
Luise und Anton Grylewicz
Das Jahr 1931 begann kalt. Ebenso kalt und unbarmherzig war die Sparpolitik von Reichskanzler Brüning. Der Regierung ging es nur noch darum auf Kosten der Arbeiter und der Armen, eine knallharte Sparpolitik durchzusetzen, um so den großen Konzernen den Druck auf ihre Profitraten, welcher durch die Krise entstandenen war, zu nehmen. Die Regierung Brüning stützte sich dabei entweder auf den Notverordnungsparagraphen des Reichspräsidenten oder auf die Tolerierung durch die Sozialdemokratie, welche Brüning als das kleinere Übel verglichen mit der der Nazibewegung ansah. Der Gewerkschaftsführer Fritz Tarnow vertrat die These, dass die Sozialdemokratie die Aufgabe hätte, „Arzt am Krankenbett“ des Kapitalismus zu sein. Es war völlig richtig, wenn Thälmann dazu aufrief, den Kapitalismus zu beerdigen, anstatt einen stinkenden Leichnam zu schminken und zu kostümieren. Allerdings war dadurch noch nicht die Frage geklärt, wie die Arbeiterbewegung mit dem Faschismus dem kleinbürgerlichen konterrevolutionären Produkt der Verzweiflung, umzugehen hätte. Jede Nacht und am helllichten Tag gab es Angriffe der SA- Banditen auf unsere Genossen und Genossinnen. Aber die Nazis griffen auch Sozialdemokraten und deren Einrichtungen an. Nächtelang diskutierte ich mit Luise die politische Situation im Lande. Eines Tages drückte sie mir Broschüren von Leo Trotzki in die Hand. Sie sagte unumwunden, dass er die Lage in Deutschland richtig verstünde und zur Einheitsfront aller Arbeiter gegen den Faschismus aufrief. Die Einheitsfront, die Trotzki einforderte sollte kein politisch-ideologisches Bündnis mit der Sozialdemokratie sein, sondern ganz im Gegenteil eine Politik, die darauf abzielte, sich darüber zu verständigen, wie und wann und mit welchen Mitteln die faschistischen Banden in ihre Schranken gewiesen werden könnten. Oft warf ich Luise in diesen Tagen und Wochen vor, von der Richtung der Versöhnler „in Richtung des antibolschewistischen Trotzkismus abzugleiten“. Die Broschüren von Trotzki hatten allerdings zur Folge, dass ich bis zum März 1931 sehr viel von ihm las und ins Grübeln kam. Der Herausgeber der Schriften Leo Trotzkis in Deutschland war ein gewisser Anton Grylewicz, ein ehemaliger KPD- Funktionär und früher Abgeordneter im preußischen Landtag. Die Gruppe nannte sich „Linke Opposition der KPD“ und gab die Zeitschrift „Permanente Revolution“ heraus. Offensichtlich hatte sich Luise der Gruppe angeschlossen und arbeitete weiterhin im Verlagshaus der „Arbeiter illustrierten Zeitung“. Eines Tages im März 1931 schlug sie mir vor, mich mit Grylewicz im Atzinger zu treffen. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, denn erstens interessierte mich der Termin, zweitens war ich es gewohnt, aufgrund meiner Funktion als Doppelagent mit verschiedenen Leuten zu sprechen. Damals hielt ich mir auf meine Schauspielkunst einiges zugute. An einem Freitagnachmittag im März 1931 marschierte ich mit Luise zu dem Treffen. Grylewicz war bereits da, als wir das Lokal betraten. An seinem Tisch saß ein mir unbekannter jüngerer Mann mit markantem Gesicht. Mir war sofort klar, dass es sich bei dem Partner von Grylewicz um keinen Deutschen handeln konnte. Wir nahmen Platz und stellten uns gegenseitig vor. Der junge Mann stellte sich als Leo Sedow vor. Sofort schoss mir durch den Kopf, dass ich hier mit dem Sohn von Leo Trotzki und dem Chef des deutschen Trotzkismus zusammen saß. Luise kannte offensichtlich beide ziemlich gut. Unser Gespräch begann etwas distanziert. Wir erörterten die allgemeinpolitische Lage. Dabei fiel mir auf, wie wichtig es Grylewicz war, zu betonen, er sei kein Gegner der KPD, sondern es ginge ihm darum, die Linie gerade in Bezug auf den Kampf gegen den Faschismus zu ändern. Leo Sedow meinte, dass sein Vater sich nach wie vor „zur Verteidigung des Arbeiterstaates Sowjetunion bekenne. Das Übel sei die dort herrschende Bürokratie und die von Stalin in der deutschen Partei eingesetzte Bürokratie.. Stundenlang saßen wir zusammen. Einiges von dem, was ich hörte, leuchtete mir ein. Unsere KPD isolierte sich durch ihren ultralinken Kurs zunehmend von der Masse der Arbeiter und Arbeiterinnen. Die RGO-Politik führte dazu, die Mehrheit der noch in den Betrieben Beschäftigten den sozialdemokratischen Ideologen und Bürokraten zu überlassen. Immer wieder stellte ich Fragen an den Leo Sedow, z.B. wie denn sein Vater die „Entwicklungen der Sowjetunion genauer einschätze“. Sedow sprach von einem Kampf um elementare Reformen in der UdSSR, den Sturz der Bürokratie, die Entfernung Stalins sowie die Rückkehr zur Arbeiterdemokratie. Scharf kritisierte er den momentan ablaufenden Fünfjahresplan, der zu einer entsetzlichen Hungersnot in der UdSSR geführt hatte. Er meinte: “Die bürokratische Bande hat keinerlei selbstständige Ideen, sondern sie bedient sich einmal linker und einmal rechter Ideen im Kampf um ihren Machterhalt.“ - Die gegebene Kollektivierung sei ein grausames Abenteuer, denn man könne ohne landwirtschaftliche Technik nicht einfach die Kollektivierung befehlen und unter der „Parole der Liquidierung des Kulakentums gleich noch den Mittel- und Kleinbauern mit liquidieren. Es herrscht momentan eine grausame Hungersnot in der Sowjetunion.“ Bezüglich der Lage in Deutschland betonte Grylewicz seine Gegnerschaft zum „Leninbund“, der von Hugo Urbahns, dem politischen Leiter des Hamburger Aufstandes von 1923, geführt wurde. Der 1928 gegründete „Leninbund“ hatte nach den Worten von Grylewicz, „die Verteidigung der Sowjetunion und den Kampf um die Reform der KPD aufgegeben, was unverantwortlich“ sei.
Beeindruckt verließ ich zusammen mit Luise das Lokal. Es war vieles angesprochen worden, was mich schon seit längerem beschäftigte. Aber völlig überzeugt war ich nicht. Ich hing viel zu sehr an Heinz Neumann und an seiner heimlichen Fraktion in der KPD.
Schleicher und der Volksentscheid
Im Frühjahr 1931 inszenierte die NSDAP einen so genannten Volksentscheid gegen die im Lande Preußen herrschende Sozialdemokratie unter Ministerpräsident Braun. Alles was rechts und verdorben war unterstütze dieses „Volksbegehren“. Bis zum Mai 1931 distanzierte sich die Kommunistische Partei Deutschlands klar von diesem Ansinnen der Rechtsradikalen. Unser Parteivorsitzender Thälmann bemerkte, dass man sich auf keinem Fall an dem von den Nazis initiierten Volksentscheid beteiligen dürfe. Auch von meinem Freund Heinz Neumann war nichts anderes zu hören. Aber offensichtlich hatte die deutsche Parteiführung nicht mit der Komintern-Führung gerechnet. Die Kommunistische Internationale befahl im Juni 1931, den Volksentscheid in einen „roten Volksentscheid“ gegen die Sozialfaschisten umzuwandeln. Selbstverständlich beugte sich unsere Führung dem Befehl der Komintern. Ernst Thälmann versuchte im Juli 1931 wieder einmal nach Hamburg zu entkommen. Heinz Neumann fuhr ihm nach und holte ihn zurück. Die „ehemaligen Versöhnler“ wie Heinrich Süßkind, machten Neumann für den Wahnsinnsbeschluss der Komintern verantwortlich. Dies war allerdings eine Fehleinschätzung. Neumann beugte sich nur Stalins Befehl. Intern beabsichtigte er in Deutschland irgendwie seine eigene Politik zu machen und letztendlich Stalin vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die Teilnahme am Volksentscheid war eine Katastrophe. Die Aktion wurde als Einheitsfront der Nazis mit den Kommunisten wahrgenommen. Die Masse der Mitglieder der KPD war schwer für die Kampagne zu gewinnen. Insgesamt stimmten etwas mehr als eine Million Kommunisten für den so genannten roten Volksentscheid. Dies stand in keinem Verhältnis zum Wählerpotenzial der KPD. Der Schwenk der Komintern fügte uns Kommunisten beträchtlichen Schaden zu. Die sozialdemokratische Propaganda von den „Kommunazis“ wirkte entsprechend. Die sozialdemokratische preußische Regierung hatte den Volksentscheid überstanden.
Nach längerer Pause kontaktierte mich Herr Rath. Ich sollte mich wieder in der berühmt-berüchtigten Zahnarztpraxis einfinden. An einem Tag Ende Juli 1931 gegen 15:00 Uhr traf ich in der Praxis General Schleicher in Begleitung eines Herrn, den ich von Bildern her kannte. Es handelte sich um den kleinen feisten SA-Führer Ernst Röhm. Schleicher erkannte sofort meine Verwirrung. Beruhigend trat er auf mich zu und sagte: “Wir können frei sprechen. Ernst Röhm ist so genauso ein Soldat wie wir alle zusammen und er ist auch ein Sozialist.“ Es fiel mir schwer in dem feisten Gesicht Ernst Röhms, in seinem ganzen Habitus irgendetwas Sozialistisches zu erkennen. Dennoch kann unser Gespräch in Gang. Schleicher machte einige Witze über die Politik der KPD und meinte, sie haben sich da etwas eingebrockt mit ihrem so genannten „roten Volksentscheid“. Dennoch waren beide vom Ausgang des Volksentscheides enttäuscht. Mit besonders starken Worten attackierte Röhm die sozialdemokratischen Bürokraten und die Juden in Preußen. Gleichwohl gab er den soldatischen Sozialisten. Er sagte wörtlich: „Nur Soldaten können Träger der deutschen Zukunft sein.“ Politiker seien allesamt “schmutzig“. Schleicher stimmte zu, meinte aber, indem er Napoleon zitierte, “mit Bajonetten kann man viel tun, nur schlecht auf ihnen sitzen.“ - Mir war klar, Schleicher ging es darum, für sein rechtes autoritäres Projekt eine Massenbasis zu gewinnen. Sowohl Röhm als auch Schleicher verachteten die Politiker und das Parlament, sie waren sich aber darüber im klaren, dass es ohne die „Kaffeehausschlawiner“ (so Röhm) nicht ginge.
Dann kam Schleicher zu seinem eigentlichen Anliegen. Er wollte wissen, ob wir in der Reichswehr in der nächsten Zeit noch mehrere Scheringers erleben werden. Bekanntlich hatte der auf der Festung Gallnow inhaftierte ehemalige Reichswehrleutnant Richard Scheringer durch Hans Kippenberger im Reichstag eine Erklärung verlesen lassen, wonach er sich der KPD „als Soldat der Revolution anschließt“. Meine Antwort darauf war, dass dies mit ziemlicher Sicherheit ein Einzelfall sei. Auch der „Aufbruchkreis“ um Beppo Römer habe nach meinem Kenntnisstand bis dato keinerlei große Wirkung auf Angehörige der Reichswehr erzielen können. Zufrieden lehnte sich der General zurück, doch er hatte noch ein paar Fragen parat. Er wollte wissen, welche Leute der Zersetzungsapparat der KPD innerhalb der Reichswehr habe. Ich nannte ihm einen gewissen Braun, Leutnant in Berlin. Schleicher war überzeugt, der sei doch Antikommunist. Dazu erklärte ich ihm, dass dies zum Spiel der KPD gehöre, um Leute in wichtigen Reichswehrfunktionen zu positionieren. Schleicher kündigte an den Fall prüfen und untersuchen zu lassen.
Anschließend schlug Ernst Röhm vor, in der Nähe mit einigen „hübschen Burschen“ noch etwas zu saufen“. Ich lehnte ab, schließlich widerspreche das den Regeln der Konspiration. Der dicke Röhm lachte und meinte: „Ja ja ich bin halt nur Soldat“. Schleicher fand mein Verhalten „sehr lobenswert“. Damit war ich entlassen.
Am Abend schrieb ich meinen Bericht für Hans Kippenberger. Leutnant Braun stellten wir bewusst als unseren angeblichen Agenten dar, „um die Reichswehr zu beschäftigen und zu verwirren“. Interessant an diesem Treffen war der enge Kontakt Schleichers zum Stabschef der SA. Das war ein Erkenntnisgewinn für unseren Abwehrapparat.
Die Unzufriedenheit von Heinz Neumann
Mitte August zog ich zusammen mit den „vier edlen Rittern“ Neumann, seiner Frau Margarete, Willi Münzenberg, Leo Flieg und Herman Remmele wieder hinaus in den Grunewald. Neumann berichtete auf dem Ausflug etwas verwirrt von einem Gespräch mit Stalin. Stalin habe ihm mitgeteilt, dass es unter Umständen „gar nicht so ungünstig wäre, Hitler in Deutschland an der Regierung zu haben, weil dadurch die Westmächte beschäftigt seien“. Der Bericht löste bei uns allen eine nicht geringe Empörung aus. Willi Münzenberg kam zu dem Schluss, dass dies unter Umständen die Politik des „roten Volksentscheides“ in Preußen erkläre. Neumann berichtete auch darüber, wie unzufrieden sein Busenfreund Besso Lominadse mit der Politik der Kollektivierung und mit Stalin persönlich sei. Überdenkt man unsere damaligen Diskussionen, so waren eigentlich die einer illegalen Oppositionsgruppe innerhalb der KPD. Der erfahrene Hermann Remmele bemerkte, dass es unmöglich sei, offen gegen die Komintern oder gar gegen Stalin zu opponieren. Es wurde besprochen, dass man einen engen Kreis in der Führung der KPD bilden müsse, um den Befehlsempfänger Thälmann zu isolieren und letztendlich verdeckt eine andere Politik zu betreiben. Neumann griff immer wieder die Parole von der Volksrevolution an, welche er selbst in unzähligen Artikeln propagiert hatte. Leo Flieg meinte, wie grob fahrlässig es doch sei, mit den Nazis in Sachen Nationalismus zu konkurrieren. Münzenberg lachte und meinte: „Leo, du hast wohl die letzte Schrift von Trotzki studiert, gegen den ich gerade ein Artikel „Im roten Aufbau“ schreiben werde“. Diese Opposition kam mir etwas fremd vor. Ich hielt sie für ein konspiratives Abenteuer. Dennoch glaubte ich, dass die Erfahrung von Münzenberg und Remmele in Verbindung mit dem Organisationsgenie Leo Flieg, sowie dem Draufgängertum von Heinz Neumann doch noch etwas bewirken könne, um die KPD vor dem Abgrund zu bewahren. Der Jugendverband KJVD mit Kurt Müller und Helmuth Remmele würde sein Wort im entscheidenden Moment in die Waagschale werfen. Dennoch hegte ich eine gewisse Skepsis gegenüber dieser geheimen Opposition.
Der Sturz von Heinrich Brüning
Im Frühjahr 1932 fanden die entscheidenden Wahlen vor dem Ende der Weimarer Republik statt. Im Juni 1932 zogen die Nazis mit 230 Abgeordneten in den Reichstag ein. Die KPD erreichte über 5 Millionen Stimmen, was von der Kommunistischen Internationale und der KPD Führung als Zeichen für den „ununterbrochenen revolutionären Aufschwung“ gewertet wurde. Natürlich waren die Stimmengewinne für die KPD wichtig, sie standen aber in keinem Verhältnis zu denen der Nazis. Die NSDAP stellte die stärkste Fraktion im Reichstag, sie eliminierte faktisch sämtliche Parteien des kleinbürgerlichen Mittelstandes. Ihr Wählerpotential erreichte auch Teile der Arbeitslosen, aber eine bestimmte Klientel an Angestellten war den Nazis auf den Leim gegangen. Besonders in bäuerlichen protestantischen Gegenden war der Wahlerfolg der Nazis überwältigend. Das katholische Zentrum hingegen wies eine gewisse Stabilität auf, genauso wie beiden Arbeiterparteien SPD und KPD. Luise erklärte zum Wahlerfolg der Nazis bei den Protestanten: „Die Evangelische Kirche ist eine Landeskirche, wohingegen die Katholiken ihren Führer bereits in Rom haben.“ Diese im Berliner Dialekt vorgetragene Analyse brachte mich zum Schmunzeln. Vorher standen aber die Wahlen zum Reichspräsidenten an. Der alte Hindenburg ließ sich noch einmal breitschlagen zu kandidieren. Mein „zweiter Chef“, General von Schleicher, unterstützte natürlich Hindenburg. Bei unseren Treffen machte er klar, wie „einfach es doch sei den Alten zu steuern“. Das Zentrum, speziell Reichskanzler Brüning, Teile des Stahlhelms, aber auch die SPD machten sich für Hindenburg stark. Die KPD stellte wieder Thälmann als Kandidaten auf. Die Nazis nominierten Hitler. Mein Nachbar in Neukölln, ein braves SPD-Mitglied, meinte dazu: „Jetzt sollen wir also den Generalfeldmarschall aus dem Weltkrieg als kleineres Übel wählen. Das mache ich nicht mit.“
Unsere Parole für Thälmann war: „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg“. Beide Wahlkämpfe waren vom Straßenterror durch die kurzweilig verbotene SA geprägt. Die Wahlaussage meiner Partei war richtig, aber immer wieder mahnte Luise an, dem Reichsbanner konkrete Vorschläge zu machen, um die Arbeitereinrichtungen gemeinsam zu verteidigen. Damals hatte ich einen ultralinken Rückfall und war taub gegen ihre vernünftigen – trotzkistischen – Vorschläge. Am Wahlabend gewann Hindenburg nochmals die Präsidentenwahl. Aber Hitler, „ein böhmischer Gefreiter“, wie ihn Hindenburg nannte, erreichte mehr als 13 Millionen Stimmen. Thälmann kam auf etwas mehr als 5 Millionen und Hindenburg hatte 18 Millionen. Der zweite Wahlgang am 10 April bescherte Hindenburg 53,1 % der Stimmen. Auf Hitler entfielen 36,8 % und auf Thälmann 10,2 %. Die Wahlbeteiligung beim zweiten Wahlgang lag mit 83,5 % etwas niedriger als beim ersten Durchgang. Der Aufstieg der Nazis war ungebrochen. Nur in Süddeutschland und im katholischen Rheinland erhielt Hindenburg wesentlich mehr Stimmen als Hitler. Dies war auf die Stabilität des katholischen Zentrums und der „Bayerischen Volkspartei“ (BVP) zurückzuführen.
Neumann wurde zwangsversetzt
Im April 1932 verlor Heinz Neumann seine Funktionen innerhalb der KPD. Er wurde durch die Komintern als Beauftragter nach Spanien zwangsversetzt. Hermann Remmele blieb zwar Politbüromitglied, verlor aber seine führende Stellung im Sekretariat. Von all diesen Dingen erfuhren die Mitglieder der KPD nichts. Offensichtlich hat sich der Streit im Sekretariat derart zugespitzt, weil Neumann sich weigerte weiterhin nur die zweite Geige hinter dem von ihm verachteten Parteiführer Thälmann zu spielen. Das alte Schlachtross Wilhelm Pieck rückte nun in die Spitze der KPD auf. Leo Flieg, sowie der unverzichtbare Willi Münzenberg behielten ihre Stellung. Zudem verzichtete man in der Parteipresse die Parole: “Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft.“ Denn diese Parole war sich ausdrücklich gegen die Faschisten und nicht gegen die „Sozialfaschisten“ gemünzt und diente dazu, die Gemeinsamkeiten zwischen sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitern zu betonen, auch wenn es keine Einheitsfront gab.
Meine Termine beim politischen Zahnarzt waren in diesem Frühjahr sehr häufig. Schleicher war offensichtlich über den Abgang von Heinz Neumann informiert und er konnte mit dieser Entwicklung durchaus etwas anfangen. Wörtlich erklärte er: „Der neue Stil der KPD mit den Nazis zu diskutieren, eröffnet uns neue Möglichkeiten.“ In diesem Zusammenhang fragte er mich: „Ist es denn nicht möglich, die Person Ernst Niekisch mit seinem „Widerstandskreis“ mehr in die Debatte innerhalb der KPD und in ihrem Umfeld einzuführen?“ - Nun wurde mir klar, dass der etwas unbeholfen wirkende Herr, der bei diesem Treffen noch dabei war Ernst Niekisch sein musste. Niekisch galt als so genannter Nationalbolschewist und warb für ein Bündnis mit Russland gegen den Westen. Außerdem unterstellte er speziell in seiner Broschüre „Hitler, ein deutsches Verhängnis“ dem Naziführer, von der „westlich weiblichen Dekadenz“, oder wie er es nannte „von Rom“ beeinflusst zu sein. Die kruden Thesen des ehemaligen Vorsitzenden der Münchner Räterepublik waren durchaus Diskussionsstoff im Kreis der elitären Anhänger der „Konservativen Revolution“. Ernst Niekisch persönlich trat verbindlich auf und versuchte stets die Aura des aufrechten Deutschen Revolutionärs zu verbreiten. Von ihm, wie von General von Schleicher wurde der Begriff „Querfront“ mehrmals verwendet. Offensichtlich hatte der General bereits neue Pläne und war dabei mittels Hindenburg Reichskanzler Brüning zu stürzen. Schleicher scherte sich nicht um die Meinung seines direkten Vorgesetzten des Generals Wilhelm Groener. Ende Juni war es dann so weit. Reichskanzler Brüning wurde entlassen. An seine Stelle trat der Hinterbänkler des Zentrums, Franz von Papen. Er bildete das so genannte „Kabinett der Barone“, welches fast ausschließlich aus Adeligen bestand. Schleicher wurde Reichswehrminister. Die Regierung Papen hatte im Parlament keinerlei Verankerung. Ich fragte mich, was Schleicher mit dieser Sache eigentlich beabsichtigte, denn seiner Konzeption der Querfront war das Kabinett der Barone alles andere als zuträglich. Schnell wurde klar, dass das Kabinett der Barone die Funktion hatte, die letzte Bastion der Sozialdemokratie in Preußen zu liquidieren. Per Dekret wurde die Regierung Braun/Severing im Juli 1932 entlassen.
Damit fiel die letzte und wichtigste Bastion der Weimarer Republik. Die Erklärung von Carl Severing: „Ich weiche nur der Gewalt“, war nichts als eine leere Floskel. Der preußische Innenminister ließ sich von einem Leutnant und drei Mann einfach aus seinen Amtsräumen entfernen. Die KPD rief zum Generalstreik auf. Auch die sozialdemokratischen Massen erwarteten in ihren Quartieren den Aufruf zum Kampf. Aber sie warteten vergebens. Der sozialdemokratische Parteivorstand mahnte zur Ruhe, Ordnung und Disziplin und kündigte eine Klage vor dem Staatsgerichtshof an. Meine Partei war nicht im Stande, die enttäuschten sozialdemokratischen Massen gegen den Widerstand ihres Parteivorstandes in den Kampf zu führen. Die Errichtung einer faktischen Diktatur in Preußen, sowie das Verhalten der Sozialdemokratie führten neuerlich zu ultralinken Fieberzuständen in der KPD. Statt sich zu fragen, wieso man unfähig war in den Betrieben zu mobilisieren und die sozialdemokratischen Arbeiter zu erreichen, wurde erneut zum verstärkten Kampf gegen die Sozialfaschisten aufgerufen. Nachdem Papen in einer Reichstagssitzung vergeblich mit einem Schriftsatz des Reichspräsidenten herumwedelte - es handelte sich wieder einmal um eine neue Notverordnung - löste sich der Reichstag im September 1932 auf. Für November wurden Neuwahlen zum Reichstag angesetzt. Wieder stand uns ein harter Wahlkampf bevor.
Bei General Bersin
Im Oktober 1932 bestellte mich Kippenberger wieder einmal zum Rapport. Dabei diskutierten wir die neuesten Entwicklungen. Kippenberger sprach davon, dass wir bereits eine “faschistische Diktatur“ hätten. Diese Logik erschien mir widersprüchlich, hatte sie doch den Effekt eine bonapartistisch reaktionäre Diktatur mit dem wirklichen Faschismus und seiner Massenbasis zu verwechseln. Kippenberger teilte mir mit, dass der sowjetische General Bersin mich zu sprechen wünsche, obwohl „ du nicht Mitglied der sowjetischen Militärauslandsaufklärung bist“.
Ich sollte Ende Oktober nach Moskau fliegen. Kippenberger händigte mir falsche Papiere auf den Namen Ernst Halter und das Flugticket aus. Am 21. Oktober flog ich in die Hauptstadt der „Werktätigen“. Am Flughafen holte mich ein sowjetischer Offizier, der hervorragend Deutsch sprach, ab und brachte mich ins Hotel. Erst am nächsten Tag stand ich dem Chef der Auslandsaufklärung der Roten Armee gegenüber. Das Treffen fand aus konspirativen Gründen in einer Datscha außerhalb Moskaus statt. General Bersin war ein sympathisch wirkender Mann mit offenem Gesicht. Er war alles andere als ein Dogmatiker oder Fanatiker, den Machtantritt des Faschismus wiegelte er als noch nicht vollzogen ab. Sein Interesse galt der Frage, welches Spiel die Reichswehr in politischer Hinsicht treibe. Er erwartete von mir keinerlei militärische Informationen, die auch nicht hätte bieten können, war aber sehr interessiert an meiner Charakterisierung des Generals von Schleicher und an dessen politischen Intrigen. Er fragte mich, welche Industriekreise Schleicher und seinem Umfeld besonders nahe stünden. Mir war klar geworden, dass hinter Schleicher und seiner Querfront im Wesentlichen die modernste deutsche Industrie, also Chemie und Elektrokapital, standen. Diese Fraktion innerhalb der Bourgeoisie setzte nicht unbedingt auf eine Konfrontation mit den Westmächten. Chemie und Elektrokapital hofften auf eine wirtschaftliche Erholung, um im Rahmen der friedlichen Konkurrenz Marktanteile in den westlichen Staaten zurückzugewinnen. Das alte Kapital hingegen, die Schwerindustrie und die Junker, waren zunehmend bereit, alles zu riskieren, selbst den Bürgerkrieg, um aus ihrer wirtschaftlichen Misere herauszukommen. Mein Bericht an den russischen General endete damit, dass ich die Ansicht vertrat, General von Schleicher setze auf einen Kompromiss innerhalb der Bourgeoisie und die Querfront solle die Massenbasis für sein Vorhaben liefern. Dann erkundigte General Bersin sich noch nach der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Dazu erklärte ich: “Die Krisenbewältigung der deutschen Bourgeoisie besteht darin, ein Drittel der Beschäftigten auf die Straße zu werfen. Ein Drittel muss Kurzarbeit und ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse in Kauf nehmen. Den regulär Beschäftigten wurde dank der „Zwangsschlichtung“ der Lohn um 10 bis 15% gekürzt. „All dem unterwirft sich der ADGB“ fasste ich die Situation zusammen. „Das Konzept besteht darin mit Hilfe von Lohnkürzungen und Preissenkungen, den Außenhandel anzukurbeln.“ - „Schleicher und seine angeblichen Sozialisten Visitenkarte setzen auf Massenverelendung, um die Reparationsverpflichtungen loszuwerden. Gleichzeitig wollen sie den Abzug vor allem des US-Kapitals kompensieren, um die deutsche Wirtschaft wieder „Deutsch“ zu machen. Die denken nicht daran, die Reichsmark abzuwerten, denn eine starke Reichsmark verringert die Auslandschulden. Schleicher gibt all das als notwendiges Konzept aus, um die Wirtschaft wieder zu konsolidieren. Wie Sie wissen, hat sich innerhalb von drei Jahren das Sozialprodukt um 40% verringert. Die wollen so weitermachen.“ General Bersin lächelte und forderte mich auf, ihm über einen Mittelsmann der sowjetischen Botschaft in Berlin weiter Informationen zukommen zu lassen. Er bat mich zu schreiben, was ich für wichtig hielt und nicht einfach die Parteipropaganda aus der „Roten Fahne“ zu wiederholen. Von Letzterem halte er nichts. Mein Eindruck von General Bersin war der allerbeste. Befriedigt und stolz flog ich zurück nach Berlin.
Neues Treffen mit Werner Scholem
Ende Oktober 1932 schleppte mich Luise zu einem neuen Treffen mit Werner Scholem in ein elegantes Café am Kurfürstendamm. Auf das Treffen war ich gespannt, denn die beiden Töchter des Generals von Hammerstein erwiesen sich nach Auskunft von Hans Kippenberger als wichtige Informationsquelle. Hatten sie doch die Gelegenheit in der Dienstwohnung des Chefs der obersten Heeresleitung jederzeit an geheime Dokumente heranzukommen. Außerdem interessierte mich persönlich, die politische Analyse unseres ehemaligen ultralinken Organisationssekretärs zur derzeitigen Lage.
Wir trafen Scholem beim Schreiben irgendwelcher Notizen in dem noblen Kaffeehaus an. Herzlich begrüßte er mich, besonders herzlich jedoch Luise, was mir überhaupt nicht gefiel. War ich etwa eifersüchtig auf den kleinen „Juden“. Aber ziemlich schnell ging mir auf, dass sich die Beziehung zwischen den beiden auf ihre tiefe politische Übereinstimmung bezog. Werner Scholem war mittlerweile geheimer Redakteur der trotzkistischen Zeitschrift “Permanente Revolution“ geworden. Mit einem gewissen süffisanten Lächeln wollte Scholem wissen, wie sich denn die beiden Hammerstein- Töchter so machten. Kurz angebunden meinte ich, „ja die beiden Frauen liefern uns wertvolle Informationen“ und sind „überzeugte Kommunistinnen“. Dann begann er über die allgemeine politische Lage zu dozieren. Nach seiner Meinung ging die Bourgeoisie dazu über, ihre politische Herrschaft aufzugeben, um dafür ökonomisch weiterhin unumschränkt zu herrschen. Die Konzerne und Banken nähmen sogar das Risiko eines Bürgerkrieges in kauf, wenn sich dadurch die Verwertungsbedingungen des Kapitals schlagartig verbesserten. Dafür steht nach Scholem - Hitler.
Eindringlich verlangte er von mir innerhalb der KPD dafür zu werben die Einheitsfront aller Arbeiter herzustellen, denn seiner Meinung nach, stelle der Faschismus einen Angriff auf alle Arbeiterorganisationen und auf jede Art von selbstständiger Arbeitstätigkeit dar. Dem geschulten Politiker konnte ich wenig entgegensetzen, noch dazu, da er viele meiner eigenen Bedenken bezüglich der Linie der KPD zum Ausdruck brachte. Dann fragte er mich nach dem Schicksal von Heinz Neumann, worauf ich nur antworten konnte, er sei „kominterniert“. Scholem erwiderte grinsend: „Dann hat man den Heinz wohl auf eine sinnlose Auslandsmission geschickt“. Dem konnte ich nichts entgegensetzen. Anschließend diskutierten wir über die Wahlchancen der KPD anlässlich der Reichstagswahlen am 6. November. Ich ging davon aus, dass die Nazis Stimmen verlieren werden, denn es könne auf die Dauer nicht gut gehen „allen alles zu versprechen“. Die Widersprüche innerhalb der Nazi-Partei werden zunehmen. Scholem und Luise nickten zustimmend. Dann kam der ein Einwand des „Ideologen“ Scholem: „Die Schwerindustrie hat zu viel in Hitler investiert, sie werden das Absacken ihrer Bewegung nicht hinnehmen“. Außerdem bereite sich die SA auf einen Marsch nach Berlin vor. Er wollte von mir wissen, inwieweit unsere Kampfverbände im Stande seien, diesem Marsch etwas entgegenzusetzen. Ich bezog mich auf Willi Leow, der immer wieder versicherte, dass seine Kampfverbände im Stande sein werden, das zu verhindern. „Der Willi ist ein ehrliches Großmaul“, bemerkte Scholem. Anschließend debattierten wir noch über die Entwicklung in der Sowjetunion und über das für Scholem sehr wichtige Problem „der Bürokratie“. Meine Sympathie für den Trotzkismus hielt sich immer noch in Grenzen, dennoch warnte ich Scholem, dass es in der Führung der linken Opposition in Leipzig zwei „nicht ganz saubere Brüder gebe“. Scholem dankte für diesen Hinweis und versprach wachsam zu sein.Wir verabschiedeten uns sehr herzlich. Es war auch kaum möglich, sich von Werner Scholem anders zu verabschieden, denn dieser Intellektuelle machte sein nicht gerade umwerfendes Aussehen mit einem einnehmenden Charme wett. Kein Wunder, dass er Erfolg bei den Frauen hatte.
Der November 1932
In Berlin ging vor den Reichstagswahlen am 6. November nichts mehr. Gegen den Willen der Gewerkschaftsbürokratie streikten die Berliner Verkehrsarbeiter gegen Lohnsenkungen. Weil sich nur knapp 70 % der Belegschaft für den Streik ausgesprochen hatten, lehnten die Sozialdemokraten einen Streik gegen Lohnsenkungen und Entlassungen in diesem Bereich ab. Unsere Partei rief dennoch zum Streik auf. Auch die Nazis im Betrieb mussten sich nach einigen Tagen an dem Streik „scheinbar“ beteiligen. Es ging Goebbels, dem diabolischen NS-Gauleiter von Berlin darum, den mühsam errungenen Einfluss auf Teile der Arbeiterschaft nicht zu verspielen. Die Teilnahme der Nazis am Streik hatte einzig und allein diese Funktion. Die sozialdemokratische Presse verleumdete den Streik als gemeinsame Aktion der Kommunisten und der Nazis gegen die Weimarer Republik. Das war nichts weiter als nackter und offener Arbeiterverrat. Der KPD-Leiter Walter Ulbricht meinte dazu völlig zutreffend, „dass es im Rahmen der Linie Klasse gegen Klasse darum geht, den Widerstand sämtlicher Arbeiter gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf ihre Schultern zu beenden“. Der Streik konnte und durfte auch nicht abgebrochen werden, nachdem die Nazis ebenfalls Streikposten aufgestellt hatten. Wenn dies geschehen wäre, wäre die NSBPO im Stande gewesen, jeden Streik durch ihre angebliche Teilnahme zu unterbinden. Auch ich stand Streikposten und beteiligte mich an der Demontage von Schienen. Berlin stand still und die Solidarität in der Bevölkerung mit den Streikenden war enorm groß. Schon nach kurzer Zeit begann die NSDAP ihre Streikposten abzuziehen. Aber ein Teil der enttäuschten Naziarbeiter nahm weiter an dem sechstägigen Streik teil. Am Ende musste der Streik abgebrochen werden, weil die Streikfront durch einen Streikbruch der Nazis bröckelte. Der Verkehrsarbeiterstreik ist im Nachhinein betrachtet ein zweischneidiges Schwert. Er zeigte zwar, dass es möglich war, einen Streik auch gegen den Willen der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokratie zu beginnen, aber ohne die Masse der sozialdemokratischen Arbeiter mit einzubeziehen musste die Aktion scheitern.
Am 6. November mit Luise im Karl Liebknecht Haus
Im Restaurant des Parteihauses verfolgten Luise und ich die Wahlergebnisse. Neben uns saß der sympathische und bescheidene ehemalige „Versöhnler“ Hugo Eberlein. Spätestens gegen Mitternacht brach sich immer größerer Jubel Bahn. Die Nazis hatten 2 Millionen Stimmen verloren und die KPD kam auf knapp 6 Millionen Stimmen. Der Hamburger Parteisekretär Hermann Schubert behauptete forsch: „Mit dem Resultat beginnt das Ende der Nazibewegung“. Gegen 1:00 Uhr nachts erschien unser Parteivorsitzender Ernst Thälmann. Im Lokal brandete Jubel auf. Thälmann verwies auf das großartige Ergebnis. Er war überzeugt, dass nun die Revolution kommen würde. Auch Hugo Eberlein war mit dem Wahlergebnis zufrieden, warnte aber doch in einem leisen Gespräch mit Luise vor zu großem Optimismus. Heinrich Süßkind (Ex- Versöhnler), der auch mit uns am Tisch saß, stimmte dem zu. Aber alle waren wir mit dem Wahlergebnis zufrieden. Die KPD erreichte 100 Reichstagsmandate, sowie mehr als 17 % der abgegebenen Stimmen im Reich. Die Stimmengewinne für die KPD kamen von den Sozialdemokraten, die Verluste der Nazis gingen zu Gunsten Alfred Hugenbergs Deutschnationaler Volkspartei DNVP. Kurz vor dem Aufbruch nach Hause passte mich mein Chef Hans Kippenberger noch ab. Er riet mir eindringlich in den nächsten Tagen zu versuchen einen Termin bei General Schleicher zu bekommen.
Der tatendurstige Schleicher
Am 11. November empfing mich Schleicher nachdem ich Herrn Rath kontaktiert hatte wieder in der Zahnarztpraxis. Der General schien bezüglich des Wahlergebnisses nicht sonderlich verwirrt oder angeschlagen zu sein. Die Natter Schleicher wisperte von neuen großen Plänen und deutete mir an, dass es so nicht weitergehen könne. Von Papen war Schleicher zufolge „nur eine unbedeutende Übergangserscheinung“. Das Problem sei nur, dass von Papen, „dieser hirnlose Herrenreiter“ das Vertrauen des „senilen“ Reichspräsidenten genieße. Irgendwie werde er das Problem lösen, deutete Schleicher an, „denn ich kann mit dem alten Herrn reden“. Das Problem seien der Sohn Oskar, Staatssekretär Meißner sowie die Freunde aus dem Junkertum im Umfeld des Reichspräsidenten. Der Einfluss dieser Leute auf Hindenburg sei besonders groß, wenn er auf seinem Gut Neudeck weile.
Dann wollte der politisierende General wissen, wie die Lage der KPD sei. Ich berichtete vom Optimismus innerhalb der Parteiführung. Die KPD glaubt, dass sich der Nazispuk bald erübrigen werde. Schleicher warf ein, „ähnlich sieht es ja die SPD Führung“ und fuhr dann fort: „Nur ich kann die Nazis ausschalten, indem ich sie einbinde“. Mein Minenspiel dazu schien eine gewisse Verwirrung auszudrücken. Der General begann dann monologisierend wieder sein berühmt-berüchtigtes Querfrontkonzept zu entwickeln. Er meinte, man müsse die Nazis aufspalten in einen vernünftigen sozialistischen Flügel um Gregor Strasser, welcher die Verblendeten um Hitler beiseiteschieben werde. Dann gehe es darum, patriotische Gewerkschafter zum Beispiel Theodor Leipart zu gewinnen sowie patriotisch völkische Abgeordnete wie den Grafen Reventlow. Die künftige Regierung müsse Autorität und Massenverankerung haben. „Geleitet wird das Ganze von mir und „den Leuten aus den verschiedenen Schattierungen der konservativen Revolution. Hinter uns steht, selbstverständlich das Heer und mein Freund General Kurt von Hammerstein. Allerdings ist mir dieser Hammerstein hin und wieder zu abenteuerlich. Er trägt sich mit dem Gedanken Leute wie Hitler, Göring und Goebbels in die Bendlerstraße zu locken und ihnen dort die Kugel zu geben. Das ist mir zu wild. Ich werde Kanzler, dann die Nazibewegung spalten und kooperationswillige Gewerkschafter in die Regierung mit einbeziehen.“ Das Konzept war klar. Der etwas übermüdet aussehende Schleicher wollte zudem wissen, wie wohl die KPD auf ihn als sozialen General reagieren würde? Ich entgegnete, er solle sich dabei keine allzu großen Hoffnungen machen, schließlich sei die KPD ist eine Klassenpartei. Schleicher lachte und entgegnete:“ Ja ja, eine Arbeiterpartei ohne Verankerung in den Betrieben, eine Partei der Arbeitslosen mit einem sinnlos aufgeblähten Apparat, der von außen finanziert wird. Wenn es mir gelingt, weite Teile der Gewerkschaften in mein Projekt mit einzubeziehen und die Nazibewegung über Strasser zu spalten, wird die KPD höchstens ein paar Demonstrationen durchführen und das war´s.“ Ich wies Schleicher daraufhin wie schwer es für ihn doch sein werde, “ den sozialen General zu geben“. Schleicher sagte dazu: „Ich werde den Osthilfe-Skandal nutzen, um den Junkern einige Millionen wieder abzunehmen. Dazu wird es ein breit angelegtes Arbeitsbeschaffungsprogramm geben. Unsere Bourgeoisie wird einsehen, dass es ihr mit mir solider und besser hergeht als mit diesem wildgewordenen Postkartenmaler aus Braunau am Inn.“
Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass Schleicher von der KPD keine größeren Widerstandsaktionen erwartete. Dennoch wies er mich an, ihm alles Neue aus der Partei umgehend zu berichten. Schleicher versuchte sich bei mir einzuschmeicheln, indem er wiederholt betonte, wie wichtig ich für ihn als politischer Berater sei. Zum Abschluss stellte er mir noch einige Fragen zu den so genannten Splittergruppen im Umfeld der KPD. Ich erklärte ihm, was allseits bekannt war; dass die trotzkistische Gruppe nur etwas über 1.000 Mitglieder habe, aber in Bruchsaal und Oranienburg dominiere und Einheitsfront- Aktionen zustande bringe. Schleicher meinte dazu, er sei richtig gewesen sei, dass die frühere sozialdemokratische Regierung Herrn Trotzki kein Einreisevisum für Deutschland erteilt habe. Dann berichtete ich noch über die Brandleristen mit ihren knapp 3000 Mitgliedern, die sich als KPD-Opposition bezeichnen. Allerdings sind wichtige Kader der KPD-Opposition mittlerweile in der neu gegründeten „Sozialistischen Arbeiterpartei darunter alte KPD Mitglieder wie Frölich und Walcher. Von all diesen allgemein bekannten Angelegenheiten, wie auch dem „Leninbund“ von Hugo Urbahns, berichtete ich dem General im Ton höchster Diskretion. Auf der Straße kaufte ich mir die „Schwarze Front“, die Zeitung von Otto Strasser, dem Bruder von Gregor Strasser. Die Schlagzeile lautete: „Her mit der Revolutionsregierung Schleicher, Gregor Strasser, Leipard, Graf Reventlow und Richard Scheringer.“ Es wurde also systematisch an einer Querfront-Regierung geschmiedet..
Schleicher wird Kanzler
Anfang Dezember 1932 war es soweit. Schleicher wurde Kanzler. Kurz zuvor war er wieder einmal militärisch befördert worden. In seinem Kabinett war aber nicht der von ihm umworbene Gregor Strasser. Strasser war nämlich von seinem Posten als Organisationsleiter der NSDAP zurückgetreten, um einen Posten beim Schering Konzern anzunehmen. Kippenberger teilte mir mit, dass ihm seine Informanten innerhalb der Nazi-Partei beschrieben hatten, wie man Strasser abserviert habe. Der Spaltungsversuch des“ sozialen Generals“ bezüglich der NSDAP scheiterte schon im Ansatz. Allerdings befand sich die Nazi-Partei in einer schweren inneren Krise. Die Parteikasse war leer, viele Mitglieder waren enttäuscht und deprimiert und Hitler drohte mit Selbstmord, falls sie Partei zerfällt. Dem Abwehrapparat der KPD übergab ich ein äußerst wichtiges und aufregendes Dokument, welches mir ein Vertrauter von Schleicher am 10. Dezember 1932 zuspielte. Der „Reichsverband der Deutschen Industrie“ forderte im November 1932 geschlossen von Hindenburg, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Dieser dringlichen Aufforderung faktisch der gesamten Front des deutschen Monopolkapitals mochte sich der greise Reichspräsident vorerst noch nicht beugen. Allerdings wurde er von seinem Junkerfreunden bearbeitet, doch den „Bolschewiken“ Schleicher“ zu entfernen. Die Rundfunkrede Schleichers zu Beginn seiner Kanzlerschaft verwirrte besonders die ostelbischen Junker. Schleicher sich als sozialer Politiker auf und versprach den Osthilfeskandal aufzuklären. Bekanntlich hatten die Junker in Mecklenburg-Vorpommern, Pommern und Ostpreußen Millionen an Hilfsgeldern für die Landwirtschaft kassiert und die Kleinbauern gingen leer aus. Im Palais des Reichspräsidenten wohnte weiterhin der entlassene Reichskanzler Franz von Papen und versuchte täglich den Reichspräsidenten über seinen Sohn Oskar zu beeinflussen. Ende 1932 war die Weimarer Republik zu einem reaktionären Intrigantenstadel verkommen. Herr von Rath erklärte mir bei einem unserer Treffen in einem Kaffeehaus am Alexanderplatz, dass der sozialdemokratische Parteivorstand sein Veto eingelegt gegen die Gedankenspiele der Gewerkschaftsspitze hat, sich an der Regierung Schleicher zu beteiligen. Natürlich bedauerte der Leutnant diese Entwicklung. Er erzählte mir wie dringlich es sei, zu einer Einigung speziell mit dem Chemie- und Elektrokapital zu kommen, welches nicht unbedingt auf die „Abenteuerkarte Hitler“ setze.
Neumann war an allem schuld
Ab November 1932 fand völlig überraschend innerhalb der KPD eine Kampagne gegen den längst entlassenen Heinz Neumann statt. Er wurden für Fehler im Kampf gegen den Sozialfaschismus verantwortlich gemacht. Die Kampagne gegen Neumann änderte allerdings nichts an der grundsätzlichen Orientierung der KPD. Nach wie vor wurde der Sozialfaschismus, die SPD, als Hauptfeind deklariert. Thälmann drosch Phrasen gegen das angebliche Sektierertum von Heinz Neumann. Diese Kampagne war billig und sinnlos. Es änderte sich nichts an der KPD Politik, vielmehr suchte man weiterhin einen Sündenbock für den nach wie vor nicht stattgefundenen revolutionären Durchbruch. Dieser Sündenbock war Heinz Neumann und die Führung des kommunistischen Jugendverbandes KJVD. Hermann Remmele wurde im Rahmen dieser Kampagne ebenfalls angegriffen. Niemand wagte es jedoch das Propagandagenie Willi Münzenberg zu attackieren. Das Feuer gegen Neumann zeigte den autokratischen Zustand der KPD auf. Der Angegriffene hatte nicht die Chance sich zu wehren und die Mitglieder wurden auch im Unklaren darüber gelassen, was sich Heinz Neumann eigentlich zu Schulden habe kommen lassen.
In Berlin ging man daran Wilhelm Florin zum neuen Führer des Berliner Proletariats aufzubauen. Thälmann meinte in einem Anflug von Realismus, dass Walter Ulbricht mittels seiner Daueraktivität die Berliner Parteifreunde überforderte. Ulbricht organisierte beinahe täglich Straßenaktionen, wodurch letztendlich deren Wirkung nachließ. Als technischer Sekretär des Politbüros wurde der Sachse Herbert Wehner im Führungskreis der KPD immer wichtiger. Hans Kippenberger hatte große Vorbehalte gegen Wehner, den einem Privatgespräch mit mir als „undurchschaubar“ charakterisierte. Gegen Ende der Weimarer Republik umgab sich Thälmann mit den talentierten Redakteuren Hirsch, Meyer und Birkenhauer. Dazu kam sein enger Mitarbeiter Alfred Kattner als „Postmeister“. Für die Sicherheit Thälmanns war der Abwehrapparat der KPD unter Hans Kippenberger zuständig. Oftmals beschwerte sich Kippenberger, wie unvorsichtig Thälmann sei und dass er nicht in den illegalen Wohnungen des Abwehrapparates schliefe. Kippenberger deutete an, dass der Parteiführer irgendwelche zarten Bande habe und sich in der Wohnung von bekannten KPD Mitgliedern aufhielt.
Das Jahr 1932 geht zu Ende
Ende des Jahres 1932 kurz vor Silvester bestellte mich Schleicher wieder in das Besprechungszimmer seines politisierenden Zahnarztes. Er fragte mich, was die KPD für 1933 plane. Ich berichtete ihm, was er eh schon wusste, dass die KPD ihn für einen Faschisten hielt und seine sozialen Parolen als billige Propaganda abtat. Der General lachte und meinte, er würde sich von mir doch mehr Neuigkeiten wünschen. Ich hielt dagegen und sagte, “die KPD-Politik ist halt etwas steril und ich kann nicht immer Neuigkeiten berichten“. Bewusst übertrieb ich allerdings im Auftrag Kippenbergers die illegalen Waffenvorräte der KPD. Im Gespräch fiel mir auf, dass der General irgendwie seine Spannkraft verloren hatte. Sein Gesicht wirkte ungesund. Der Zahnarzt meinte dann noch, ob ich der KPD-Presse unter Umständen nicht Protokolle und Meldungen „bezüglich der Entwicklung im Reichspräsidentenpalais und in bestimmten Industriekreisen“ zuspielen könnte. Letzteres bejahte ich und fragte, was denn anstehe. Der hinzugekommene Hans Zehrer meinte, dass sich Hitler im Januar im Haus des Bankiers Schröder mit bestimmten Industriellen und Bankiers treffen würde und es wäre gut, eine solche Meldung nicht in seiner, sondern auch in der Presse der Linken zu publizieren. Natürlich bejahte ich das, ich fand die Andeutungen ziemlich interessant. In dem Gespräch wurde mir zunehmend bewusst, welche Intriganten gegenwärtig tätig sind. Die entscheidenden Teile der Industrie stehen hinter dem kriselndem Naziprojekt. Offensichtlich nehmen Sie das Risiko eines Bürgerkriegs in Kauf. Die Bourgeoisie ist keine einheitlich denkende und handelnde Klasse, sondern innerhalb dieser Klasse gibt es Schwankungen und Differenzen. Und auf diese Schwankungen und Differenzen setzte der Zocker General von Schleicher. Gleichzeitig hatte er die Möglichkeit mit dem Chef der obersten Heeresleitung General Hammerstein faktisch einen Putsch durchzuführen. General Schleicher selbst meinte, “dass der Reichspräsident bei jedem zweiten Gespräch einschliefe und nicht mehr ganz dicht sei“. Hans Zehrer fragte mich wie die KPD auf einem Putsch und auf ein autoritäres System reagieren würde? Meine Antwort war, dass die KPD protestieren würde, aber keinen Generalstreik ausrufen könne, denn ihr „Einfluss in den Betrieb sei nur noch marginal“. Zufrieden lehnten sich die Herren zurück, dennoch sprach Schleicher von dem Risiko eines Aufstandes der SA. Daher müsse es nach Schleicher darum gehen, den SA-Chef Ernst Röhm von Hitler zu trennen. Die anderen Herren nannten dies eine seltsame und undurchführbare Aktion. Alle verachteten das den 175er Röhm. Mir drängte sich immer mehr der Verdacht auf, diese Herren wüssten nicht mehr, was sie tun sollen. Die Verwirrung bei den Leuten war groß. Sie waren in der Rolle des betrogenen Betrügers. Das Querfrontprojekt von Schleicher war faktisch gescheitert, seine Regierung bestand wie vorher das Kabinett Papen im wesentlichen aus Adeligen.
Die einzige realistische Option schien mir der Vorschlag des Generals Hammerstein zu sein, den Reichspräsidenten zu verhaften, ihn für unzurechnungsfähig zu erklären und die Naziführung zu inhaftieren oder zu erschließen. Nach meiner Einschätzung wäre mit einer Enthauptung der Nazi-Partei deren Einfluss schnell zu liquidieren. Aber Schleicher meinte immer noch, er könne mit politischen Tricks der Lage gerecht werden und hatte die unbegründete Angst, dass sich die Kampfverbände der KPD und der NSDAP gegen ihn verbünden würden.
Nach dem Termin mit den Herren fertigte ich eine Niederschrift für Hans Kippenberger an, in der ich folgendes zu Papier brachte: „Offensichtlich sieht die Mehrheit der Bourgeoisie das Experiment Schleicher als gescheitert an. Die Nazi-Bewegung wird von wesentlichen Teilen der Industrie und der Bankenwelt und von der Kamarilla im Präsidentenpalast unter der Führung des Herrn von Papen unterstützt. Es wird nur noch darum gerungen, wie und in welcher Zusammensetzung das Kabinett Schleicher, durch ein Kabinett Hitler ersetzt werden könnte. Die NSDAP befindet sich zwar in einer fundamentalen Krise, setzt aber auf Fritz Thyssen, Hugo Stinnes und andere. General Schleicher wird im neuen Jahr scheitern und durch ein Kabinett Hitler -Hugenberg ersetzt werden. Letzteres wäre die offene faschistische Diktatur. Dagegen können wir nur ankämpfen, indem wir dann der Sozialdemokratie ein Einheitsfrontangebot machen. Aber egal wie, wir müssen uns dem Kampf stellen. Der Hitler-Faschismus würde seine Kampfverbände umgehend auf alle Organisationen der Arbeiterbewegung loslassen. Dabei könnte er sich, wenn sich General Hammerstein nicht durchsetzt auf die Reichswehr und die Polizeiorgane stützen. Es steht uns ein Kampf auf Leben und Tod bevor.“ Kippenberger las meine Notizen, lobte mich, bemerkte aber ironisch,“ein bisschen trotzkistisch hören sich deine Einschätzungen an“. Dennoch versprach mir Kippenberger meine Erkenntnisse umgehend dem Politbüro vorzulegen.
Der 6. Januar 1933.
Am 6. Januar wurde ich wieder durch Schleicher in den Besprechungsraum des Zahnarztes Dr. Elbrechter geladen. Der Zahnarzt setzte „Kurtchen“ über die geheimen Verhandlungen von Hitler und Papen im Haus des Kölner Bankiers Kurt Freiherr von Schröder in Kenntnis. Dabei sagte er: „Fränzchen hat sie verraten“. Elbrechter ließ von Papen durch den pensionierten Hauptmann Johansson beschatten. Dadurch gelangte er an Fotoaufnahmen, welche das Treffen im Haus des Kölner Bankiers belegten. Auch mir wurden die Fotodokumente zugesteckt. Schleicher forderte mich auf, die Fotodokumente auch in der KPD Presse zu veröffentlichen. Am Tag des Treffens hatte Hans Zehrer einen Enthüllungsbericht – „Pappen und Hitler gegen Schleicher“ - in der „Täglichen Rundschau“ publiziert. Der Bericht war eine journalistische Meisterleistung. Elbrechter hatte in seiner Praxis Gerüchte gehört, dass Papen mit Hitler Tuchfühlung aufgenommen habe. Fortan wurde Papen beschattet. Das Gespräch war für mich äußerst interessant. Der Zahnarzt sowie Hans Zehrer, der ebenfalls anwesend war, schlugen Schleicher einen so genannten kalten Staatsstreich gegen den Reichspräsidenten vor, um eine Regierung Hitler, Papen zu verhindern. Schleicher sollte mit der roten Mappe den Reichstag auch ohne Unterschrift des Reichspräsidenten auflösen. Hans Zehrer meinte, „die Unterschrift des Herrn Reichspräsidenten werden wir uns später holen“. Letztendlich müssten natürlich Neuwahlen stattfinden. Die Herrn meinten, dass es möglich sei, Gregor Strasser mit Ernst Röhm zur versöhnen. Bei den bevorstehenden Neuwahlen sollte unter Führung von Gregor Strasser eine Konkurrenzkandidatur zu Hitler stattfinden. Immer wieder wurde ich gefragt, was ich denn davon hielte und ob die KPD ruhig bleibe. Ich konnte den Herren versichern, dass die KPD natürlich bei Neuwahlen wieder ein bestimmtes Stimmungsresultat erzielen würde, aber von ihr keine Gefahr ausginge. Vor allem der Zahnarzt nickte zufrieden. In meinem Kopf gab ich jedoch diesen Zockern und Intriganten keinerlei Chance mehr. Der Beweis dafür die Reaktion Schleichers. Er bat um eine 48-stündige Bedenkzeit. Zwei Tage später teilte mir Herr Rath mit, dass Schleicher den Vorschlag des Tatkreises „leider ablehnte“. Schleicher soll gesagt haben: „Als alter Soldat bin ich innerlich nicht in der Lage eine derartige Aktion gegen einen Feldmarschall durchzuführen.“
Damit war für mich am 7. Januar die Sache eigentlich erledigt und ich ging von einer unmittelbaren Machtergreifung der Faschisten aus. Mein wirklicher Chef Kippenberger sah es ähnlich, wobei er optimistisch meinte: „Hitler wird nur die letzte Stufe vor der proletarischen Machtergreifung sein.“ Diese Einschätzung konnte ich nicht teilen. Der Abwehrapparat von Kippenberger selbst wies darauf hin, wie unsinnig die Wahlkampagne der NSDAP in dem kleinen Land Lippe sei. Dort fanden am 15. Januar Landtagswahlen statt und alle NS-Größen wurden in das kleine Gebiet geschickt, um neuerlich ein gutes Wahlresultat zu erzielen. Das klappte, aber nur die aller dümmsten Kälber konnten davon ausgehen, dass damit das Desaster der NSDAP beendet war und die SA wurde immer ungeduldiger. Unsere Kampfeinheiten in Berlin waren faktisch in ständiger Alarmbereitschaft. In den letzten Wochen des Januars weilte Hitler im Hotel Kaiserhof und verhandelte mit diversen Herrn aus dem Umfeld des Reichspräsidenten, mit Herrn von Papen, mit Alfred Hugenberg und Industriellen. Viele Gespräche fanden auch in der Villa des obskuren Sektvertreters Joachim von Ribbentrop statt.
Gespannte Lage In Berlin
Am 22. Januar 1933 unternahm die NSDAP eine gewaltige Provokation gegenüber der KPD und ihren Anhängern. Unter dem massiven Schutz von Panzerwagen, Maschinengewehren und Tausenden von bewaffneten Polizisten marschierten 40.000 SA-Leute vor dem Karl-Liebknecht-Haus auf. Unsere Parteiführung unter Thälmann sowie das Politbüro verzichteten darauf, die Berliner Arbeiterschaft zu einer Gegendemonstration aufzurufen. Diese Haltung war eine schreckliche Niederlage für die Berliner Arbeiterschaft und die Kommunistische Partei. Luise meinte „das ist eine nicht wiedergutzumachende Niederlage und ein immenser Prestigeverlust in den Augen der Berliner Arbeiterschaft.“ Kippenberger erklärte dazu: “Wir konnten uns nicht den Nazis und der Staatsmacht entgegenstellen.“ Offiziell ging es der NSDAP darum eine Machtprobe mit der KPD durchzuführen. Es war deprimierend, wie unsere Genossen auf den Beschluss der Parteiführung reagierten. Einige gestandene Arbeiter weinten und meinten, „mit dieser Bande wären wir doch leicht fertig geworden“. Der Bülowplatz im Berliner Scheunenviertel war eine Hochburg unserer Partei, unmittelbar dahinter lag die Parteizentrale, das Karl-Liebknecht-Haus. Die Hitlerfaschisten wollten der Hochfinanz und der Öffentlichkeit beweisen, dass es ihnen möglich sein würde, die kommunistische Bewegung in Deutschland niederzuwerfen. Das war der Sinn des provisorischen Aufmarsches. Nach der Machtübertragung an die Faschisten konnte man in dem veröffentlichten Tagebuch von Propagandaminister Josef Goebbels lesen: „Die SA soll in Front vor dem Karl-Liebknecht-Haus stehen. Die Wilhelmstraße (also die Regierung Schleicher) schwankt; sie möchte es jetzt nicht zu einer letzten Auseinandersetzung kommen lassen, unterlässt aber angesichts der angespannten Lage und ihrer gefährdeten eigenen Situation das Verbot der Kundgebung … Peinlich wäre nur, wenn die Polizei diese Demonstration im letzten Augenblick verböte…(1)“ Ich fragte mich am 22. Januar, worauf die Passivität unserer Partei zurückzuführen sei. Mein Freund Hermann Remmele berichtete mir, dass zwei Tage vor der Naziprovokation im Politbüro über entsprechende Gegenmaßnahmen beraten wurde. Sämtliche Vorbereitungen waren getroffen, um die Berliner Arbeiterschaft zu mobilisieren und die Nazikundgebung zu zerschlagen. Remmele berichtete dann von einem Telegramm aus Moskau, welches am 20. Januar in der Parteizentrale einging. In dem Telegramm befahl die Kommunistische Internationale „auf jede Art von Gegendemonstration zu verzichten“. Remmele sagte, „nur ich bestand auf einer Gegenaktion, alle anderen beugten sich der telegrafische Anweisung“. Alle müssen konsterniert gewesen sein, aber nur Remmele blieb bei seiner revolutionären Haltung. Er verwies darauf, dass nur durch mutigen Widerstand das Schlimmste verhindert werden könnte. Leider setzten sich die konsternierten Thälmann, Ulbricht, Pieck und Florin durch. Der 22 Januar war für die KPD ein absolutes Desaster. Die KPD-Zentrale wurde geschlossen, alle Mitglieder und Angestellten sowie die Parteiführung verließen das Gebäude. Damit gestand man sich schon fast die Niederlage ein. Thälmann und unser Zentralkomitee waren völlig unfähig zu kämpfen. Es war niederschmetternd für unsere Genossen und Genossinnen zu sehen, wie sämtliche Rollläden an den Fenstern des Gebäudes heruntergelassen wurden und die Parteiführung sich davon machte. Die Nazis betrachteten den Tag als großen Sieg, obwohl sie nur 40.000 Leute unter Polizeischutz mobilisieren konnten. Immer wieder stellte ich mir die Frage, was letztendlich sie Motive von Stalin gewesen sein müssen eine Gegenaktion zu verhindern? Diese Frage beantworteten Ruth Fischer und Arkadi Maslow, die ich am 23. Januar zufällig in einem kleinen Café im Wedding traf. Unsere ehemalige Linke Parteiführerin, die damals als Sozialarbeiterin im Wedding tätig war, erklärte: „Stalin will in Ruhe den Sozialismus in einem Land aufbauen und ist von daher durchaus bereit die KPD zu opfern, denn er spekuliert darauf, dass die Nazis an der Macht zu nächst mal Konflikte mit dem Westen austragen werden.“ Ich konnte Ruth Fischer nichts entgegen. Thälmann und sein Politbüro hatten nicht die Courage, sich diesem verhängnisvollen Kurs den Moskau vorgab, zu widersetzen. Erst Tage später am 25. Januar rief die KPD Führung zu einer symbolischen Gegenkundgebung gegen den Naziaufmarsch am Bülowplatz auf. Schier endlos marschierten bei schneidender Kälte 130.000 Anhänger unserer Partei an der Parteiführung um Ernst Thälmann vorbei. Die Kundgebung verpuffte jedoch. Sie war nur symbolisch, dem Kampf gegen die Nazis wich man aus.
General Schleicher trat am 28. Januar zurück. Herr von Rath ließ mir ausrichten, dass ich mich am 3. Februar wieder in der Zahnarztpraxis einzufinden hätte. Auch diese Herren hatten ihr Spiel verloren. Viel entscheidender war aber die sich abzeichnende fundamentale Niederlage der Arbeiterbewegung. Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Der Kampf um die Macht war entschieden. Auch wenn sich einige bürgerliche Politiker noch einbildeten, Hitler für sich vereinnahmen zu können. Die KPD rief am 1. Februar zum Generalstreik gegen die offene faschistische Diktatur auf. Der Aufruf war richtig, aber aufgrund der fehlenden Verankerung in den Betrieben konnte nur die sozialdemokratisch dominierte Gewerkschaftsbewegung eine solche Aktion in Gang setzen. Die sozialdemokratischen Arbeiter waren durchaus kampfbereit und warteten auf das Signal zum Losschlagen. Auch der Reichsbanner sammelte sich zum Kampf. Dann erfolgte der irrsinnige sozialdemokratische verräterische Donnerschlag. Die SPD-Führung meinte, dass Hitler legal an die Macht gekommen sei und man abwarten müsse. Deprimiert aber diszipliniert beugten sich die sozialdemokratischen Arbeiter dem Verrat ihrer Führung. In einem Anflug von Realitätssinn versuchte die KPD jetzt auch auf Spitzenebene mit der SPD Führung über gemeinsame Widerstandsaktionen zu verhandeln. Am Eingang der SPD Parteizentrale wurde unser Fraktionsvorsitzender im Reichstag Ernst Torgler jedoch abgewiesen. Wie üblich versuchten die sozialdemokratischen Bonzen jedem Kampf und jedem Risiko aus dem Weg zu gehen. Damit begangen sie letztendlich Selbstmord. Nur der Chefredakteur des „Vorwärts“ Friedrich Stampfer sprach sich für Widerstandsaktionen zusammen mit den Kommunisten aus. Er blieb aber innerhalb der sozialdemokratischen Parteiführung isoliert. In der KPD-Führung bestand nur Hermann Remmele auf entschiedenen Widerstandsaktionen bis hin zum Einsatz von Waffen. Er hoffte durch solche Aktionen die sozialdemokratischen Arbeiter mitreißen zu können. Später sagte mir Remmele: “Auch eine Niederlage in einer militanten Aktion gegen die Hitler- Faschisten hätte unsere Partei besser überstanden als das passive kampflose Abtauchen in die Illegalität.“ Ich konnte ihm nur zustimmen.
Nach dem Machtantritt Hitlers
Luise und ich mischten uns unter die Menschenmenge, welche den riesigen Fackelzug der SA bestaunten. Wir erlebten Entsetzliches und Skurriles. Die verrückt gewordenen Kleinbürger Berlins jubelten frenetisch vor dem Fenster, an dem sich der neue Reichskanzler zeigte. Auch dem alten Hindenburg, welcher sich ans Fenster schleppte, wurde Beifall zuteil. Eine ältere Dame meinte zu mir Unter den Linden, dass jetzt eine neue Zeit beginne und vor allem “Wir Deutsche wieder eine Zukunft haben.“ Freundlich verabschiedete sich die Nazi-Oma von uns und wünschte alles Gute auf dem „gemeinsamen arischen Lebensweg.“ Luise war blass und meinte, wenn wir nicht sofort handeln werden diese Horden die Arbeiterbewegung in Stücke schlagen. Ich widersprach nicht. Unser Aufruf zum Generalstreik wurde von den Arbeitern müde zur Kenntnis genommen. Nachdem die Sozialdemokratie jede Widerstandsaktion vermied, gelang es nicht irgendwelche betrieblichen Aktionen gegen den Machtantritt der Nazis zu initiieren. Wir hatten nur noch knapp 10 % unserer Mitglieder in den Betrieben. Durch unsere RGO-Politik hatten wir uns faktisch selbst aus den Betrieben hinaus befördert. Ab Anfang Februar war unsere Parteizentrale geschlossen bzw. wurde geräumt. Nur noch ein Notdienst arbeitete im Karl Liebknecht Haus. Unsere Spitzenfunktionäre waren bereits in den ihnen zugeteilten illegalen Quartieren, die der Apparat von Hans Kippenberger in aller Regel als Wohn- und Arbeitsräume angelegt hatte. Dennoch verblieben viele Funktionäre in ihren privaten oder in ihren bekannten Wohnungen. Immer noch betrachteten die leitenden Kader der KPD den Machtantritt Hitlers als vorübergehendes Phänomen. Eine Woche nach Machtantritt Hitlers und der Errichtung der offenen Nazi-Diktatur in Deutschland versammelten sich am 7. Februar 1933 ca. 40 Mitglieder des ZK und andere leitende Genossen der Partei zu einer besonderen Tagung des Zentralkomitees im Lokal „Sporthaus Ziegenhals“. An der Vorbereitung dieser Tagung war auch ich beteiligt. Hans Kippenberger machte Einwendungen dagegen „so viele Genossen an einem Ort zusammenzuziehen.“ Die unmittelbare Vorbereitung der Tagung hatte Wehner übernommen, dem ich als Sicherungsposten vor dem Sporthaus unterstellt war. Auf abgesicherten konspirativen Wegen waren alle Teilnehmenden, unweit der Stadtgrenze von Berlin angekommen: Die Teilnehmer wurden zu verschiedenen Treffpunkten in Berlin bestellt und erhielten dort die Adresse einer neuen Anlaufstelle bei der Treptower Sternwarte. Von dort aus wurden sie in drei Gruppen als Angehörige eines Sportvereins in Reisebussen zum Tagungsort gefahren. Während der Tagung selbst sicherten wir die Umgebung des Lokals. Die Nazis sollten nichts von der Tagung mitbekommen. Knapp 40 KPD-Funktionäre, Mitglieder und Kandidaten des ZK, sowie, „Bezirkssekretäre und die Chefredakteure der wichtigsten Bezirkszeitungen“, nahmen an dieser illegalen ZK-Tagung teil. Die Teilnehmer kamen aus allen Teilen Deutschlands. Nach meiner Erinnerung begann die Tagung gegen 17 Uhr. Thälmann sprach wie üblich, als ob er im Sportpalast redete, sehr laut. Wir Wachposten bekamen jedes Wort mit. In seiner „Ziegenhalser Rede“ hatte der ehrliche Arbeiter aus Hamburg durchaus einige richtige Erkenntnisse zu bieten. Er sprach vom bevorstehenden „ Massenterror durch die offene faschistische Diktatur“ speziell gegen „ die Avantgarde des Proletariats“. Allerdings blieb er dabei, dass die Sozialdemokratie der Hauptfeind bleibe. Von einer Niederlage sprach unser Parteiführer nicht. Auch nicht von bewaffneten Widerstandsaktionen gegen die Nazis, wie sie Remmele, immer wieder eingefordert hatte. Ernst Thälmann sprach zwar von einer völlig neuen Lage und von der Notwendigkeit die „rote Einheitsfront“ herzustellen. Wie das zu geschehen hatte, darüber sprach unser ehrlicher „Teddy Thälmann“ nicht. Deutlich war zu hören, wie stark Thälmann von der Situation gepackt war. Mir fiel Heinz Neumann ein, der mir einmal sagte: „Teddy ist ein hervorragendes Aushängeschild der Partei. Er spricht die Sprache der Arbeiter, aber als Parteiführer ist er schlicht überfordert. “Plötzlich hieß es, dass sich verdächtige Gestalten im Umfeld des Tagungslokals herumtrieben. Ich meldete das Herbert Wehner, der dem Tagungsleiter Walter Ulbricht einen Zettel reichte. Daraufhin wurde gegen 20 Uhr die Tagung aufgelöst, noch bevor Thälmann seine Rede beenden konnte. Kippenbergers Apparat arbeitete hervorragend. Alle Teilnehmer konnten ungehindert das „Sporthaus Ziegenhals“ verlassen. Die SA im Verbund mit der Polizei rückte zwei Stunden zu spät an. Die Teilnehmer der Konferenz fuhren mit dem Boot Charlotte über den Krossinsee nach Schmöckwitz. Bei dieser Tagung sah ich Teddy zum letzten Mal.
Vor dem Reichstagsbrand
Trotz Schleichers Rücktritt kontaktierte mich am 15. Februar wieder Leutnant Rath. Offiziell hatte er keinen Auftraggeber mehr. Rath arbeitete für Schleicher und für den Ende Januar 1933 ebenfalls zurückgetretenen Ferdinand von Bredow, Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium und damit Stellvertreter Schleichers. Im Rahmen der konkurrierenden Abwehrapparate der Reichswehr war Bredow direkt Schleicher unterstellt. Zu Beginn unseres Gesprächs meinte Rath, dass er es durch ein Beziehungen geschafft hätte, zum Beraterkreis des SA -Führers Röhm zu gehören. Meine Skepsis war deutlich spürbar. Der Leutnant versuchte mich zu beruhigen und sagte, “wir bleiben Freunde, ab jetzt benötige ich Informationen für Ernst Röhm von Ihnen“. Selbstverständlich ließ ich mich auf das Spiel ein, denn wir konnten jede nur denkbare Information gebrauchen. Wir verabredeten unser Lokal als Treff beizubehalten und uns einmal die Woche zu sehen. Sollte einmal einer von uns keine Zeit haben, würde eine Nachricht beim Wirt des Lokals hinterlegt. Rath wollte von mir wissen „ob die KPD einen Aufstand plane.“ Dies verneinte ich natürlich. Am Schluss gab er mir noch den Rat, mich in den nächsten Wochen bedeckt zu halten, denn die SA und der Staat planten eine vernichtende Aktion gegen den Kommunismus. Umgehend erstattete ich Hans Kippenberger Bericht. Bei dem Treffen mit Kippenberger am 16. Februar wurde mir eine neue Identität verpasst. Kippenberger meinte, “zieh sofort aus der Kösliner Straße im Wedding aus, ich habe eine neue Wohnung für dich im vornehmen Charlottenburg, inklusive Sekretärin.“ Kippenberger steckte mir einen neuen Pass auf den Namen Hans Faber zu. Der Pass sah gut aus, unsere Fälscherwerkstatt arbeitete ausgezeichnet. Ab jetzt war ich Berliner Vertreter einer Haushaltswarenfabrik in Hamburg. Der Eigentümer des Betriebes sympathisierte mit uns und trug mich auch als Mitarbeiter in sein Betriebsverzeichnis ein. Auf meine Frage, was denn mit Luise passiert sei, antworte Kippenberger: “Diese Dame wirst du nicht mehr treffen.“ Meine Bestürzung war mir offensichtlich anzusehen. Aber Kippenberger beruhigte mich und sagte, “die hat hier eine Affäre mit einem stadtbekannten Trotzkisten, was unser toller Agent bis dato nicht mitbekommen hat.“ Das waren Neuigkeiten, damit musste man fertig werden. Mich störte dabei weniger der Trotzkismus als die Tatsache, dass mich meine ach so „treue“ Luise betrogen hatte. Später dachte ich mir, reg dich nicht auf, du Idiot, das hast du früher selbst mit vielen Frauen gemacht.
Meine Aufgabe war, weitere Informationen über den Klassenfeind zu sammeln und gleichzeitig am Aufbau des illegalen Apparates mitzuwirken. Die letzte Bemerkung von Kippenberger gab mir schwer zu denken. Mir schoss durch den Kopf, „die Nazis kündigen Aktionen gegen uns an und Kippenberger ist offensichtlich erst dabei den illegalen Apparat so richtig aufzubauen“. Für Improvisationen schien mir die Zeit doch etwas spät. Kippenberger war nicht überrascht über den Weg des Leutnants Rath und über die angekündigte faschistische Provokation. Kippenberger riet mir bei allem Risiko den Kontakt mit Rath zu halten, denn bekanntlich gibt es ja Differenzen innerhalb der Nazibewegung. Damit war ich entlassen. Ohne Frau, dafür mit einem neuen Pass und einer bereits eingerichteten Wohnung in der Schillerstraße, Berlin-Charlottenburg. Auch eine Sekretärin hatte ich namens Lieselotte. Sie war nach meinem Geschmack nicht gerade attraktiv, aber wahrscheinlich als Sekretärin und Mitarbeiterin geeignet. Außerdem durfte ich nur noch in besserem feinem Zwirn herumlaufen und mit einer Aktentasche, die mich als Vertreter durchgehen ließ.
Am Tag des Reichstagsbrandes war ich mit Herbert Wehner im Auftrag Kippenbergers im Lokal Aschinger. Unmittelbar nachdem wir das Lokal verlassen hatten, kamen uns Extrablattverkäufer entgegen und riefen die Schlagzeile aus; „Der Reichstag brennt“. Schnell versuchten wir noch den Vorsitzenden unserer Reichstagsfraktion Ernst Torgler zu erreichen. Sein Sekretär teilte uns mit, dass er sich auf die Polizeistation begeben habe, „um die Unschuld der KPD zu belegen“. Torgler saß schon seit längerem der Illusion auf, dass Rudolf Diels (* Chef der Preußischen politischen Polizei) auf unserer Seite stünde. Herbert Wehner nannte dies eine ausgesprochene politische Dummheit, hier musste ich dem mir unsympathischen Wehner ausnahmsweise Recht geben. Wir kehrten zurück in das Lokal, weil wir vermuteten dort im Lauf des Abends noch weitere Genossen und Genossinnen anzutreffen. Nach einiger Zeit kam auch Hans Kippenberger in seiner Begleitung wie fast immer Leo Roth. Es trafen Kuriere ein, wir teilten ihnen mit, sofort allen Mandats- und Funktionsträgern mitzuteilen, nicht zuhause zu übernachten. Dringlich sollten alle ihre illegalen Quartiere beziehen, dennoch fielen viele Kommunisten bereits in dieser Nacht in die Hand der faschistischen Mörder. Die KPD war diesem Moment trotz der noch anstehenden Reichstagswahlen am 5. März in tiefster Illegalität und dem faschistischen Terror ausgesetzt. Bereits am nächsten Tag fungierte die SA als Hilfspolizei. Tausende unserer besten Genossen wurden in ihre Verkehrslokale verschleppt, die zu Folterhöhlen ausgebaut waren. Mit Kippenberger war ich mir völlig einig, dass der Reichstagsbrand nichts anderes als eine faschistische Provokation darstellte, einen Anlass um die Mörder auf uns loszulassen. Leo Roth sagte: „Das erinnert mich an den römischen Kaiser Nero.“ In ganz Berlin tobte der faschistische Terror. Menschen wurden geschlagen, getreten, brutal gefoltert. Überall in Deutschland entstanden so genannte illegale Gefängnisse.
Thälmann verhaftet
Am späten Nachmittag des 3. März 1933 wurde Ernst Thälmann zusammen mit seinem persönlichen Sekretär Werner Hirsch, in der Wohnung der Eheleute Hans und Martha Kluczynski, in Berlin Charlottenburg (Lützower Straße 9) durch acht Beamte des Polizeireviers 121 festgenommen. Kippenberger erschien zusammen mit Rudi Schwarz am angegebenen Treff in einem eleganten Kaffee am Kurfürstendamm. Wir waren entsetzt und fassungslos. Wer hatte Thälmann denunziert und warum ist er nicht in das für ihn vorbereitete illegale Quartier in das Forsthaus bei Wendisch Buchholz abgereist. Der Abreisetermin war festgelegt. Zum ersten Mal erlebte ich Hans Kippenberger wirklich niedergeschlagenen.
Nach der Verhaftung von Thälmann und Hirsch, liefen auch noch die Redakteure Birkenhauer und Meyer, sowie der technische Mitarbeiter des ZK Alfred Kattner in die Falle. Sie wurden ebenfalls festgenommen. Obwohl wir in dem Kaffeehaus in unseren guten Anzügen eine gute Figur abgaben, sahen wir alle drei aus wie Leute, die gerade erschüttert von einer Beerdigung kamen. Kippenberger schimpfte weiter: „Warum ist er nicht schon früher abgereist. Es standen sechs illegale Quartiere für ihn bereit. Die Wohnung, in der er sich aufhielt, war kein vorbereitetes Quartier des M- Apparates.“
Kippenberger befürchtete, dass der Intrigant Wehner ihm die Schuld für die Verhaftung zuschieben würde. Meine Bemerkung „Thälmann war doch unvorsichtig genug sich bis zum 27. Februar in der Laubenkolonie Gatow aufzuhalten, wo er mit seiner markanten Erscheinung doch auffallen musste und jeder die kommunistische Familie Kluczynski kannte“ stieß auf Zustimmung. Rudi Schwarz meinte der Denunziant befinde sich wahrscheinlich in dem Schrebergartengelände. Mir wurde die Aufgabe zugeteilt den oder die Denunzianten festzustellen. Kippenberger übergab mir noch einen gefälschten Mitgliedsausweis der NSDAP. Am nächsten Tag machte ich mich auf den Weg in das Schrebergartengelände. Unterwegs las ich die Schlagzeilen der NS Presse, die jubelnd die Verhaftung des „Mörders Thälmann“, verkündeten. Bewaffnet mit meinem Handelskoffer versuchte ich so zu tun, als ob ich den Leuten irgendwelche kleinen Haushaltsartikel anzudrehen gedachte. Einige Kinder in der Kolonie erzählten mir, dass „Onkel Thälmann“ war vor kurzem hier“. Bestürzt nahm ich diese Erzählungen aus Kindermündern zur Kenntnis. Als Vertreter versuchte ich mein Glück zuerst bei den Gartennachbarn der Kluczynskis. Der unmittelbare Nachbar, ein gewisser Hermann Hilliges, hatte an meinen Produkten kein Interesse und versuchte mich abzuwimmeln. Dann probierte ich mein Glück mit einer politischen Debatte und bemerkte wie zufrieden man doch wegen der Verhaftung des Kommunistenchefs Thälmann sein könne. Hillges versuchte diese Bemerkung zu ignorieren und sich taub zu stellen. Dennoch bemerke ich seine Nervosität. Als „alter „Nationalsozialist“ versuchte ich mit ihm im Gespräch zu bleiben. Aber dies führte mich nicht weiter. Der Mann war sichtlich nervös und versuchte mich loszuwerden. Ein anderer Nachbar machte die Bemerkung, „was reden Sie mit dem Schwein“. Damit war für mich alles klar. Der Typ hatte unseren Parteiführer denunziert. Es gab zwar keinen endgültigen Beweis, aber die Sache war ziemlich eindeutig. Auch die herumstreunenden Kinder warnten mich vor dem „bösen Hermann Hilliges“. in der Gartenkolonie wohnten viele unserer Genossen und Genossinnen. Schleunigst mache ich mich aus dem Staub, denn sicherlich wurde Hermann Hilliges von den Nazis geschützt. Meine Ermittlungsergebnisse wurden umgehend Hans Kippenberger überbracht.
Treffen mit Hermann Remmele und Hermann Schubert
Ein weiblicher Kurier von Kippenberger teilte mir Ende März 1933 mit, dass ich mich mit dem eilig aus Hamburg nach Berlin gekommenen Hermann Schubert in dessen illegalem Quartier treffen sollte. Sofort drängte sich mir die Frage auf, was Schubert wohl von mir wolle.
Hermann Schubert musste fluchtartig Hamburg verlassen. Seine Sekretärin arbeitete jetzt direkt für die Gestapo in Hamburg, denunzierte Genossen und war sogar bei Folterungen dabei. Hermann Schubert konnte gerade noch entkommen und in Berlin Quartier beziehen. Der Arbeitertyp Schubert versuchte von mir Informationen zur aktuellen Lage sowie zu den Umständen der „erfolgreichen Verhaftungswelle“ zu bekommen. Ich hatte den Eindruck, Schubert meldete Ansprüche auf die Nachfolge Thälmanns an. Er umgab sich mit einem ihm ergebenen Kreis von Leuten und schimpfte nebenbei auf Ulbricht und den viel zu langsamen Jonny Schehr. Offensichtlich hatte der Kampf um die Nachfolge Thälmanns begonnen. Schubert wollte mit mir die Frage erörtern „inwieweit Straßenaktionen durch unsere Genossen und Genossinnen möglich seien“. Davor konnte ich ihn nur warnen, denn der Terrorapparat der Nazis funktionierte ganz ausgezeichnet. Schubert nahm meine Ausführungen zur Kenntnis und entließ mich mit freundlichem Lächeln. Anschließend eilte ich in das illegale Quartier von Hermann Remmele. Remmele saß beschäftigungslos in einer Wohnung in Berlin Pankow. Mir war bekannt wie sehr er den Kurs der Parteiführung missbilligte und auf einer illegalen Versammlung im Wedding zusammen mit Schlaffer den Parteikurs kritisierte. Remmele sprach von einer „Diktatur des wildgewordenen Kleinbürgertums und Lumpenproletariats“, sowie von einer Bourgeoisie, welche sich politisch entmündigen ließ, um ihre Profite zu steigern. Hermann Remmele ging von einer vernichtenden kampflosen Niederlage unserer Partei aus. Dem konnte und wollte ich nicht widersprechen. Dann diskutierten wir noch über die Rolle des Antisemitismus im Rahmen der faschistischen Herrschaft. Für den 1. April hatten die Nazis einen so genannten Judenboykott im gesamten Reich ausgerufen. Remmele meinte:“Die meinen es ernst mit ihrem Antisemitismus, die machen keinerlei Unterschied zwischen den Menschen jüdischer Herkunft“. In der Tat war Antisemitismus in Kombination mit Antikommunismus das entscheidende Schmiermittel der Nazibewegung. Wir hatten die Funktion des Antisemitismus deutlich unterschätzt. Am Ende teilte mir Hermann Remmele mit,“ dass er „bald abreisen werde“. Er warnte mich noch vor dem „Intriganten Wehner“. Offensichtlich hoffte Remmele, seine Situation in Moskau doch noch ändern zu können. Das war für mich eine illusionäre Vorstellung. Denn wer einmal bei Stalin in den „Fettnapf“ trat, war nach meinem Dafürhalten erledigt.
In Bayern auf dem Bauernhof
Leo Roth ( Viktor) gab mir den Auftrag nach Bayern zu dem ehemaligen Reichswehrleutnant Richard Scheringer zu reisen. Scheringer lebte nach seiner Haftentlassung auf seinem Gut in Kösching bei Ingolstadt. Mein Auftrag war Richard Scheringer davon zu überzeugen zu emigrieren, um vom Ausland her die Nazis zu bekämpfen. Zur Legitimation hatte ich ein Schreiben von Hans Kippenberger dabei. Nachdem ich in Ingolstadt angekommen war, begab ich mich in die ländliche Idylle. Der Leutnant und Großbauer Scheringer musterte mich etwas misstrauisch, aber nachdem ich ihm das Schreiben von Kippenberger übergeben hatte, war er sehr freundlich und lud mich in die bäuerliche Stube ein. Mir wurde bayerisches Bier gereicht und jede Menge an bäuerlicher Eigenproduktion. Nach dem Mal begaben wir uns auf einen Spaziergang in den Köschinger Forst. Meine Versuche Scheringer, für eine wichtige Rolle in der Emigration zu gewinnen stießen schnell auf harte Ablehnung. Meine Argumente, wonach illegale Arbeit für ihn unmöglich sei, konterte er geschickt aus. Er verwies mich darauf, dass er unter dem persönlichen Schutz seines Freunde, des SA Führers von Baden-Württemberg Hans Ludin stehe. Ludin war einst mit ihm Angeklagter im so genannten Ulmer Reichswehrprozess Ludin war in der Nazibewegung geblieben. Der Leutnant Scheringer setzte auf einen inneren Tumult, auf einen Sturz Hitlers durch unzufriedene Elemente aus der SA, was nach seinen Worten den Kommunisten wieder Handlungsmöglichkeiten erschlösse. Ich schüttelte den Kopf und verabschiedete mich traurig von dem ehrlichen und kämpferischen Bauern. Auf der Rückfahrt im Zug kam mir allerdings die Bemerkung des Herrn Rath in den Kopf, dass innerhalb der SA von einer „zweiten Revolution“ die Rede sei. Auch die Fragen des Herrn Rath, ob die KPD an ihrer Programmerklärung zur „Nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“ festhielte waren interessant. Dies interessierte angeblich besonders den Grafen Reventlow. Der Bauer aus der Nähe von Ingolstadt schien mir relativ gut unterrichtet zu sein über die Gärung innerhalb der SA. Viele wollten nicht nur Todschläger in den KZs sein und den Jubelclub bei Hitlerreden abgeben. Allerdings handelt es sich meiner Meinung nach um eine Kombination aus realer Unzufriedenheit an der SA Basis und dem Ehrgeiz von Typen wie Röhm, Karl Ernst und Heines, welche sich mit ihren Posten nicht zufrieden geben wollten. Aus diesem Grund spekulierten sie mit der Unzufriedenheit vieler einfacher SA-Leute. Bekanntlich wurden die großen Warenhäuser nicht enteignet, was viele kleine Krämer enttäuschte. Die Hitler Regierung bediente nur eine bestimmte Klientel, welche sich jüdische Geschäfte aneignen konnte. Der Bauer Scheringer tat mir leid, ich fürchtete um sein Leben. Aber so waren sie wohl die „Landsknechte“ auch wenn sie sich nach links bewegten.
Mit Viktor in Berlin
Mitte April gab Ulbricht die Losung aus „Rettet die Gewerkschaften“. An sich war die Losung richtig, kam aber viel zu spät. Die Arbeiterbewegung lag danieder, der Terror der Nazis hat bereits tausende Kader getroffen. Mitte April rief der ADGB unter Theodor Leipart zur Teilnahme am nazistischen „Tag der nationalen Arbeit“ auf. Unbedingt wollten die Bürokraten ihre Haut retten. Sie verwarfen jegliche selbständige Aktion der Arbeiterschaft. In diesen Tagen musste ich einen Brief Kippenbergers an den Reichsleiter der RGO unseren Genossen Fritz Schulte in seinem illegalen Quartier überbringen. Das Kennwort war „ braune Zahnbürsten“. Schulte war etwas verängstigt. Er betrachtete sein Quartier im Berliner Vorort Biesdorf als nicht gerade sicher. Nichts desto trotz gab er mir einen Flugblattentwurf für die RGO-Betriebsgruppen mit. Wieder wurden darin die „Sozialfaschisten der SPD“ zum Hauptfeind erklärt. Dies war zwar Ende April 1933 ziemlich daneben, aber dennoch nicht völlig unglaubwürdig. Der Form nach betrachtet, eilte die Sozialdemokratie auch jetzt noch von Arbeiterverrat zu Arbeiterverrat. Diesmal auf besonders perfide Art durch die ADGB Bürokratie. Am 1. Mai schlenderte ich mit Leo Roth (ab jetzt nenne ich ihn bei seinem Decknamen Viktor) durch das einstmals rote Berlin. Wir zwei Anzugsträger staunten nicht schlecht im Wedding und in Neukölln viele Hakenkreuzfahnen in den Fenstern zu sehen. Natürlich war uns klar, dass viele Fahnen nur zum Selbstschutz gehisst wurden. Es blieb aber festzuhalten, dass es einen politischen Einbruch der Nazis in die Reihen der Arbeiterschaft gegeben hatte. Dies wurde erzwungen durch Terror, sowie demagogische soziale Versprechungen. Dazu kam Resignation und Verzweiflung. Die Marschkolonnen zur Hitlerkundgebung aus den roten Stadtteilen Berlins waren schweigsam, es waren viele finstere Minen zu sehen. Wie anders hatten wir doch den 1. Mai in unserem Berlin in Erinnerung. Nachdem wir genug gesehen hatten, begab ich mich mit Viktor und seiner jungen Frau, der jüngsten Tochter des Generals von Hammerstein, Helga in ein Lokal am Bülowplatz. Wehmütig betrachteten wir unsere ehemalige Zentrale, das von der SA beschlagnahmte „Karl Liebknecht Haus“ gegenüber. Jetzt hieß unsere ehemalige Parteizentrale „Horst Wessel Haus“. Der Name war treffend und symbolisierte unsere Niederlage. Viktor kam dann ziemlich schnell auf den Zweck unseres Treffens zu sprechen und erklärte: “Ab jetzt hast du nur noch mit mir zu tun. Meide jeglichen Kontakt mit den alten Genossen. Du gehst nach Leipzig. Wir arbeiten dort an einem Buch über den Reichstagsbrand. Auf meine Empfehlung hin wirst du dort mit ausländischen Journalisten, sowie mit Diplomaten verkehren und Material für Münzenberg in Paris besorgen. Wir wollen die Prozessfarce die zum Reichstagsbrand geplant ist entlarven. Es geht darum, die Hintergründe der Naziprovokation offenzulegen. Außer mir wirst du nur noch hin und wieder Kontakt mit Herrmann Dünow vom Abwehrapparat unterhalten. Es gibt keine Treffen mehr mit Hans Kippenberger.“ Dann erfuhr ich noch eine ziemlich interessante Sache. Die ältere Tochter des Generals Hammerstein, die ehemalige Geliebte von Werner Scholem, Marie Luise hatte die Rede Hitlers am 3. Februar vor der Reichswehrgeneralität in der Bendlerstraße belauscht. In der Rede machte Hitler seine Aufrüstungs- und Kriegspläne deutlich. Nach Viktor ist das Dokument bereits in Moskau, sowie bei Münzenberg in Paris, der dort ein Komitee unter dem Namen „Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Reichstagsbrandes“ gegründet hatte. Niemand schien mir für diese Aufgabe geeigneter als das publizistische und propagandistische Genie Willi Münzenberg. Zum Schluss gab mir Viktor noch einige Instruktionen. In Leipzig sollte ich den möblierten Herrn, den Vertreter Hans Faber für Haushaltsartikel spielen. Ein Zimmer war bei einer unpolitischen älteren Dame in der Nähe des „Völkerschlachtdenkmals“ angemietet.
In Leipzig
Am 2. Mai 1933 setzte ich mich in den Zug, der vom Anhalter Bahnhof nach Leipzig fuhr. Gegenüber saß ein Herr mit dem Nazi-Parteiabzeichen. Freudig berichtete, der mehr als übergewichtige Koloss vom Verbot der Gewerkschaften. In der Tat, die Gewerkschaftsbürokratie hatte ihre Schuldigkeit getan. Ab dem heutigen Tag wurden alle Gewerkschaftshäuser besetzt und der „Deutschen Arbeitsfront“ DAF unterstellt. Erfreut berichtete mir der Herr im Abteil, dass es „zu keinerlei Widerstandsaktionen gekommen sei“. Ich meinte nur: “Auch der deutsche Arbeiter hat wohl begriffen, wie sehr der Führer auf seiner Seite steht“. Mein Kommentar wurde freundlich zur Kenntnis genommen. Nur eine mitreisende Frau blickte etwas traurig drein. In Leipzig angekommen machte ich mich sofort auf dem Weg zu dem Zimmer bei der Witwe. Ich wurde freundlich empfangen und zahlte die Mieter für drei Monate im Voraus.
Nun begann meine eigentliche Arbeit. Norman Ebbut, Korrespondent der „Londoner-Times“ und Sprecher der ausländischen Presse in Deutschland, traf sich mit mir in einem Café in der berühmtesten Gasse Leipzigs. Viktor hatte ihn als geheimen Berichterstatter für die KPD über den „Reichstagsbrandprozess“ gewinnen können. Der Engländer war freundlich und gut informiert. Er teilte mir mit, dass der Hellseher und Nazi Hanussen von den Nazis umgebracht worden sei. Bei einer seiner Sitzungen hatte er den bevorstehenden Reichstagsbrand vorhersagt. Gleichzeitig wies Ebbut mich daraufhin, welch eine dubiose Gestalt doch der Hauptangeklagte, Marinus von der Lubbe sei. Der Engländer war vom Apparat gut über die homosexuellen Neigungen des Holländers informiert worden. Wir sahen in dieser Eigenschaft ein Indiz dafür, dass von der Lubbe, mit der SA Führung verkehrte und von ihnen missbraucht wurde. Dabei hörte ich den Namen Dr. Bell zum ersten Mal. Dieser feine Herr gehörte zum engsten Kreis um Ernst Röhm, mittlerweile hatte er sich allerdings ins Ausland abgesetzt, offensichtlich weil er befürchtete aufgrund seiner internen Kenntnisse zum Opfer zu werden. Wir sprachen auch über den unterirdischen, Gang der vom Wohnsitz des Reichstagspräsidenten Hermann Göring in Reichstag führte. Für uns war klar, dass der Holländer unmöglich alleine den Reichstag angezündet haben konnte. Außerdem übergab ich Ebbut Informationen von Viktor aus denen hervorging, dass van der Lubbe niemals Mitglied einer kommunistischen Partei war. Diese Information war für den Journalisten „sehr sehr wichtig“. Zum Schluss erörterten wir noch wie man an die Anklageschrift gegen Dimitrow, Torgler und Genossen kommen könne. Nach unserer Meinung würde Viktor die Akten über seine Kanäle sicherlich beschaffen können. Meine Aufgabe bestand darin, mit Viktor und einem Genossen, der im US Konsulat in Leipzig arbeitete an weitere Informationen zu gelangen. Ich war nun wirklich mit Arbeit eingedeckt. Ganz nebenbei las ich den Bericht Fritz Heckerts am 1. April vor dem „Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale“ (EKKI). Der Bericht und die Resolution waren haarsträubend. Es war weiterhin die Rede von dem „nach wie vor bestehenden revolutionären Aufschwung“. Über diesem Bericht, den ich von Hermann Dünow bei einem Treffen in Leipzig erhalten hatte, konnte ich nur den Kopf schütteln. Den Bericht hatte ich. Mir fehlte in diesem Moment meine ehemalige Freundin Luise mit ihrem klugen politischen Kopf. Zu dieser Resolution hatte ich noch nichts von den Trotzkisten gelesen. Mein Ärger über diese Resolution war fürchterlich. Dennoch setzte ich meine Arbeit fort.
Neuerliches Treffen mit Herrn Rath
Nachdem ich drei Monate lang für Viktor in Leipzig die diversen Dokumente zum Reichstagsprozessbrandprozess auswertet hatte, erreichte mich Mitte Juli über Herrn Raths bekannte Berliner Adresse eine Einladung zu einem Treffen in Berlin wie üblich in dem uns beiden bekannten Kaffeehaus am Alexanderplatz. Vor der Abreise überdachte ich noch einmal die von uns bis jetzt geleistete Arbeit zum Prozess. Viktor war tatsächlich in den Besitz der Anklageschrift gelangt, die er sofort persönlich nach Paris zu Willi Münzenberg brachte. Im August sollte ein Buch unter dem Titel “Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror“ herauskommen. Wir meinten alle Hintergründe des Reichstagsbrandes geklärt zu haben. Unser Mitwisser Dr. Bell war mittlerweile in Österreich getötet worden. Über einen Kontakt zu einem ehemaligen Reichstagsabgeordneten der „Deutschnationalen Volkspartei“ war es Viktor gelungen an eine Denkschrift des Fraktionsvorsitzenden der DVP zu gelangen, in der schwere Zweifel an der offiziellen Darstellung des Reichstagsbrandes geäußert wurden. Einem Agenten unseres Apparates gelang es in der Schweiz den nationalsozialistischen „Dissidenten“ Otto Strasser anzuzapfen. Strasser hatte immer noch ausgezeichnete Kontakte in die Nazipartei hinein und Kontakte zu seinem Bruder Gregor Strasser. Aus den Dokumenten Strassers ging hervor, dass der Reichstagsbrand von Göring inszeniert und geplant worden war. Dabei bediente er sich der SA-Haudegen Edmund Heines und Karl Ernst. Der SA-Führer von Berlin, Karl Ernst, hatte eine Darstellung der Hintergründe des Reichstagsbrandprozesses in der Schweiz hinterlegt, um sich als Teilnehmer an dieser Aktion abzusichern. Münzenberg hatte also genügend Material, um ein propagandistisches Meisterwerk auf den Markt zu werfen. Immer wieder sah ich in Leipzig Parolen an den Wänden wie “die KPD lebt“ und ähnliches. Trotz des faschistischen Massenterrors und der Verhaftung zahlloser Funktionäre existierte unsere Partei noch immer. Das Ansinnen am 1.August öffentlich sogenannte Spontandemonstrationen durchzuführen, konnte ich hingegen nur verurteilen. Nach meinem Eindruck würde das zur neuerlichen Verhaftungswellen führen, aber einige wollten Beweise für die Richtigkeit ihrer Linie herbeizaubern. Dabei dachte ich besonders an Hermann Schubert und Fritz Schulte. Viktor berichtete mir, dass ein so genannter „Erbfolgekrieg“ um die Nachfolge Ernst Thälmanns innerhalb der Partei tobte. John Schehr war von Moskau zum Leiter der KPD in Deutschland bestimmt worden. Viktor machte deutlich, wie sehr er gegen Ulbricht und Wehner sei. Er und Kippenberger würden mit Schehr arbeiten. Schubert war nun ebenfalls abgereist und Schulte sollte im Herbst folgen. Bereits seit Mai waren Pieck, Dahlem und Florin Im Ausland. Viktor legte Wert darauf, den Abwehrapparat und den Militärapparat in einer gewissen Unabhängigkeit von der politischen Leitung der KPD zu halten. Das war durchaus logisch, denn bis dato waren den Nazis noch keine führenden Leute unseres Apparates in die Hände gefallen. Oftmals mussten wir ganze Bezirksleitungen, die schon im KZ waren, durch Leute aus unserem Nachrichtendienst ersetzen. Nach Viktor fehlte vielen Funktionären die „illegale Technik“.
Zudem gäbe es häufig Fälle von Verrat. Schubert konnte sich nur knapp der Verhaftung durch die Nazis entziehen. Der ehemalige politische Leiter von Ostpreußen und Pommern Kraus, hatte den Nazis faktisch die gesamte Parteiorganisation in seinen ehemaligen Bezirken als Provokateur ausgeliefert. Der ehemalige Hilfsredakteur der „Roten Fahne“ Lass aus Schlesien wurde ebenfalls zum Naziagenten. Wilhelm Hein ein ehemaliger Reichstagsabgeordneter hat im Berliner Norden nach kurzer Haft eine Bierkneipe eröffnet. Offensichtlich sollte er im Auftrag der Gestapo Arbeiter anlocken und Genossen ans Messer liefern. Viktors Arbeit war erfolgreich. Kurz vor meiner Reise nach Berlin nahm ich an einer Pressekonferenz im US-Konsulat in Leipzig teil. Dort berichtete Viktor höchstpersönlich den Journalisten über die Hintergründe des Reichstagsbrandes.
Also ab nach Berlin zu einem Treffen mit dem jetzigen Berater von Ernst Röhm, Leutnant Rath. Im Café in Berlin traf ich einen gut gelaunten Rath in schmucker SA Uniform an. Er wollte von mir wissen, “wie es in der KPD so ginge“. Wieder berichtete ich ihm allgemeines, die er sowieso wissen durfte. Zudem hatte ich ein Zuckerl für ihn parat. Viktor übergab mir ein Dokument aus dem hervorging, dass der SA Führer von Hannover, Viktor Lutze, im Auftrag von Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich, Informationen über die Vorgänge in der SA-Führung sammelte und sie Himmler hinterbrachte. Herr von Rath war sichtlich bestürzt, er sagte mir allerdings nichts über die Differenzen zwischen SA und SS. Er schimpfte über die Reaktionäre in der Reichswehrführung, welche nicht zulassen wollten, dass die SA zur Basis der künftigen Armee des Deutschen Reiches würde. Vom Sozialismus sprach von Rath allerdings nicht. Er wollte von mir nur wissen, ob Leutnant Scheringer noch Kontakt zur KPD habe. Dies konnte ich guten Gewissens verneinen. Offensichtlich trauten Sie dem SA Führer von Baden-Württemberg Ludin nicht so ganz. Bekanntlich war Ludin öfter zu Gast bei Scheringer auf dessen Bauernhof in Kösching bei Ingolstadt. Auf seine Frage, wer denn die KPD im Inland derzeit führe, antwortete ich „Wilhelm Florin“. Natürlich war das eine Lüge, denn Florin war bereits in der Emigration. Zum Schluss unseres Gespräches wollte er erfahren, ob viele getarnte KP-Leute in der SA seien. Darauf war meine Antwort, “nicht sehr viele sind aus echter Überzeugung zu euch übergetreten“. Beifällig nickte der Berater von Ernst Röhm. Er glaubte immer noch, dass ich für die politische Führung der kommunistischen Partei tätig sei. Ich sagte ihm: “Ich bekomme meine Anweisungen direkt aus Prag, denn dort ist die gesamte Führung der Kommunistischen Partei versammelt“. Etwas skeptisch fragte er nach dem Aufenthalt von Ulbricht und John Schehr. Wieder log ich ihn an und erklärte:“Schehr ist in Moskau und alle anderen sind in Prag.“ Dann wollte er wissen, wie ich meine Anweisungen erhielte. „Immer durch Kuriere des Zentralkomitees und ich weiß nicht, wo sich Wilhelm Florin aufhält“, war meine Antwort. Letztendlich war der Leutnant doch zufrieden und sagte mir zum Schluss etwas sehr Aufschlussreiches:“ Halten sie sich bereit für kommende Ereignisse und sorgen Sie mit dafür, dass der kommunistische Untergrund den Ereignissen zuschaut.“ Ich dachte mir meinen Teil und verließ das Lokal. In der Schillerstraße verfasse ich sofort einen Bericht für Viktor. Insgeheim hoffte ich, dass mein Bericht nicht missbraucht würde um angebliche „revolutionäre Strömungen innerhalb der SA auszumachen“. Es gab zwar jede Menge Unzufriedenheit und die Führung der SA spielte mit dieser Unzufriedenheit, um an die Posten zu gelangen die sie erstrebte.
Der Reichstagsbrandprozess
Am 21. September begann der Prozess zum Reichstagsbrand in Leipzig. Während dieser Zeit traf ich mich öfters mit dem britischen Journalisten Norman Ebbutt von der „Times“. Den den ganzen Herbst und Winter 1933 hindurch berichtete er mir immer wieder, wie abnormal das Verhalten des Holländers van der Lubbe sei. Genau erinnere ich mich noch als er mir mitteilte, dass der Holländer entweder verrückt sei, oder unter Drogen stünde. Wir beide waren der Meinung, der Holländer kapiere überhaupt nicht, welches Spiel mit ihm gespielt wurde. Ganz ausgezeichnet schlug sich Dimitrow in dem Prozess. Er brachte es fertig Hermann Göring im Zeugenstand so unter Druck zu setzen, dass dieser die Beherrschung verlor. Offen drohte der schwitzende Nazibonze dem Bulgaren Dimitrow. Darauf hin wurde der Prozess unterbrochen und der Göring durfte sich entfernen. Ein Gutachter kam im Verlauf des Prozesses zu dem Urteil, dass van der Lubbe, unmöglich der alleinige Täter sein könne; insbesondere die ausländische Öffentlichkeit blieb sehr skeptisch. Daran hatten wir einen nicht zu unterschätzenden Anteil. Immer wieder beschaffte Viktor Dokumente und spielte sie auch über mich den internationalen Pressevertretern zu.
Das Urteil, zu dem keine Revision möglich war, erging am 23. Dezember 1933. Obwohl das Gericht keinerlei Beweise für eine „kommunistischen Verschwörung“ hatte, wurde diese These aufrechterhalten. Die Angeklagten Torgler, Dimitrow, Popow und Tanew wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Der verwirrte Holländer van der Lubbe, wurde wegen Hochverrats in Tateinheit mit aufrührerischer Brandstiftung und versuchter einfacher Brandstiftung zum Tode und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Van der Lubbe wurde am 10. Januar 1934 durch die Guillotine hingerichtet. Besonders wichtig war für uns der Auftritt des Genossen Werner Hirsch. Er wies alle angeblichen Aussagen aus der Voruntersuchung zurück.
Da der Prozess im Radio übertragen wurde, war dies eine nicht zu unterschätzende Propaganda für den Kommunismus. Meine Zimmerwirtin in Leipzig sagte mir eines Tages, nachdem sie am Radio gesessen hatte, „der Dimitrow setzt denen ganz schön zu“. Mittlerweile hatte ich erfahren dass der verstorbene Mann meiner Hauswirtin ein einfacher kreuzbraver Sozialdemokrat gewesen war. Ich nickte nur und dachte mir, „es gibt doch noch anständige Menschen in Deutschland“.
Spitzel und Agenten in der KPD
Die Gestapo versuchte mittels Folter und verlockender Angebote immer mehr Spitzel in der KPD und in unserem Umfeld zu rekrutieren. Besonders möchte ich an Alfred Kattner, ehemals Postmeister der KPD, erinnern. Völlig überraschend entließ die Gestapo am 15. November 1933 den zusammen mit Ernst Thälmann verhafteten Alfred Kattner. Im Auftrag von Viktor fuhr ich nach Berlin. Meine Tarnung war noch nicht aufgeflogen. Bezüglich Kattners Entlassung tauchten viele Fragen auf. Viktor äußerte den Verdacht, dass Kattner im Spezialauftrag der Nazis unterwegs sei. Aus diesem Anlass kam ich in meiner Wohnung in Berlin mit Herbert Wehner und Hermann Dünow, dem jetzigen Inlandsleiter unserer Organisation zusammen. Auch Wehner zeigte sich bezüglich Kattner sehr skeptisch. Bereits am 9. November wurde John Schehr, der Nachfolger von Teddy Thälmann, in Berlin verhaftet. Kattner verfügte über viele interne Kenntnisse. . Dünow verteidigte Alfred Kattner als „alten Spartakisten, den er gut kenne“. Anfang Dezember traf sich Hermann Dünow mit Kattner. Er wurde von der Gestapo festgenommen. Kattner gelang es angeblich zu flüchten. Nachdem Anfang Januar Rudolf Schwarz ebenfalls nach einem Treffen mit Kattner festgenommen wurde, war der Fall ziemlich klar. In der Gestapo-Haft war Kattner, nachdem an den zuerst schwer gefoltert worden war, zum Angeber geworden. Viktor gab mir in meiner bürgerlichen Wohnungen in der Schillerstraße ein Kassiber von Ernst Thälmann zu lesen. Aus dem Dokument ging hervor, wie bei einer Gegenüberstellung Kattner als Belastungszeuge im geplanten Thälmann-Prozess auftreten sollte. Ich fragte Viktor, wie damit umgegangen werden soll? Mir wurde der Auftrag zuteil, einen Artikel für die illegale „Rote Fahne“ zu schreiben, in dem der Verräter Kattner bloßgestellt werden sollte. Den Auftrag erhielt ich von Viktor mit der Bemerkung, „du kannst schreiben, das hast du ja bei Münzenberg gelernt. Der Wehner kann nicht schreiben, sondern nur organisieren und reden.“ Im Fall Kattner musste ein Exempel statuiert werden. Der Verräter sollte liquidiert werden. Victor beschaffte die Waffe und beauftragte Hans Schwarz mit der Durchführung der Aktion. Am 1. Februar 1934 erschoss Hans Schwarz Kattner in dessen Wohnung in Berlin. In der folgenden Nacht wurden John Schehr und drei weitere Genossen – Eugen Schönhaar, Rudolf Schwarz und Erich Steinfurth – am Berliner Kilometerberg „auf der Flucht erschossen“. Mir gelang es über einen illegal tätigen Genossen bei der Berliner Polizei herauszufinden, dass der Berliner Polizeikommissar Bruno Sattler für die Ausführung der Mords verantwortlich war. Die Aktion gegen Kattner löste generell eine neue Terrorwelle gegen uns aus. Vielleicht nahmen sich damals einige Spitzel zurück, aber gewonnen hatten wir durch die Liquidierung von Kattner nichts. Unsere Partei war nach wie vor durchsetzt von Angebern und Überläufern. Ständig mussten die Bezirksleitungen im Reich ersetzt werden, meist durch Leute aus unserem Apparat. Im Februar 1934 setzte sich Viktor, dem die Gestapo dicht auf den Fersen war, nach Moskau ab. Hans Schwarz gelang es mit einem gefälschten Pass in Begleitung von Helga von Hammerstein außer Landes zukommen. Nachdem ich beide Flüchtlinge zum Zug begleitet hatte, kehrte ich in meine Wohnung zurück. Als Kontakt blieb mir nur eine gewisse Barbara, die irgendwie meine Nachrichten weitergeleitete.
Generell sollte ich mich darauf konzentrieren, die angeblich „revolutionäre Gärung“ innerhalb der SA zu beobachten. Gefragt waren meine Kontakte zum Röhm-Berater von Rath, der sich kurze Zeit darauf bei mir meldete. Wir trafen uns wieder in unserem Café am Alexanderplatz. Rath begrüßte mich mit der Bemerkung: “Euch gibt es ja noch, den Kattner habt ihr elegant aus dem Weg geräumt“. Natürlich wusste ich nichts genaues über dem Vorgang. Meine Erzählungen beschränken sich darauf, etwas von einem Befehl von Wilhelm Florin gehört zu haben. Rath wollte von mir wissen, wie sich die gegenwärtige Berliner Bezirksleitung der KPD zusammensetze. Darauf konnte und wollte ich ihm nicht antworten und ich bemerkte nur lakonisch, “wir arbeiten in Dreiergruppen und werden durch wechselnde Kuriere angeleitet“. Kein Wort erfuhr er über Lambert Horn und Otto Wahls. „Interessant, interessant“ bemerkte Rath und fing dann an, ziemlich ungehobelt auf die Reichswehr-Generalität zu schimpften. Im Lauf des Gespräches wurde immer deutlicher, dass sich der Konflikt zwischen den SA-Banditen und der Reichswehr Generalität, der so genannten „Reaktion“ verschärfte. Ernst Röhm wollte unbedingt Reichswehr-Minister werden, was ihm die Generalität und Hitler verweigerten. Herr von Rath gab mir den Auftrag, mich mit Ernst Niekisch in Nürnberg zu treffen. Der „Widerstandskreis“ um Niekisch existierte weiterhin Diese Leute konnten normal arbeiten. Im Auftrag Herrn von Raths sollte ich bei Ernst Niekisch vorfühlen, inwieweit sein Kreis bereit wäre, die SA in einer eventuellen Auseinandersetzung zu unterstützen. Gleichzeitig meinte mein „Auftraggeber“, es wäre nützlich die Kontakte von Niekisch zu „national orientierten Kommunisten“ festzuhalten.
Also besorgte ich mir eine Fahrkarte nach Nürnberg, um den Paradiesvogel Ernst Niekisch aufzusuchen. Die Fragestellung des Herrn Rath interessierte in Wirklichkeit auch unseren Apparat. In meinem Jackett hatte ich ein Empfehlungsschreiben der obersten SA- Führung.
Ernst Niekisch in Nürnberg
Im Restaurant „ Zur Baumwolle“ in der Nürnberger Innenstadt, Adlerstr. 18, erwartete mich an einem leicht versteckten Tisch, die Herren Niekisch, Tröger und Drexler. Damit hatte ich den Führungskreis dieser Gruppe vor mir. Niekisch schon etwas kahlköpfig führte das „große Wort“. Er gab vor, sich über einen direkten Kontakt zwischen seiner „ nationalbolschewistischen Gruppe“ und der SA- Führung zu freuen. Großkotzig sprach er über den notwendigen Kampf „ gegen Rom und Jerusalem“. Zu Röhm meinte er, „der ist ein ehrlicher Soldat und kein römisch verseuchtes Weichei.“ Mit letzterem war Hitler gemeint. Drexler wollte dann genaueres über den Konflikt mit der Reichswehr wissen. Ich sagte nur, „die SA muss die Basis der neuen Armee werden und mit dem deutschen Sozialismus ernst machen.“ Niekisch sagte zu, dass der „Widerstandskreis“ rund 1.000 Kader für den Konflikt bereitstellen könne und prahlte mit angeblichen Verbindungen zu „nationalen Kommunisten“. Von organisierten Verbindungen war mir nichts bekannt. Offensichtlich hatte ich einen talentierten Prahlhans vor mir, und zwar einen, der durchaus noch über enge Kontakte zu bekannten Akademikern aus den Reihen der „konservativen Revolution“ verfügte und zu ehemaligen Freikorpsführern. Die Reste des „Bundes Oberland“ hatten sich gegen Ende der „ Weimarer Republik“ dem Widerstandskreis angeschlossen. Niekisch versuchte sich als Theoretiker des kommenden Sturms auszugeben Nach seinen Worten „ist Röhm zwar ein schätzenswerter Soldat, aber kein wirklicher Politiker“. Tröger meinte noch, ich solle das auf keinem Fall „Röhm mitteilen“. Tröger fühlte sich etwas unwohl aufgrund der direkten Art seines „Chefs“. Dazu nickte ich und sagte: „ Ja Ernst Röhm ist in erster Linie Soldat“. Wir vereinbarten, in näherem Kontakt zu bleiben.
Nach meiner Abreise verfasste ich schon im Zug einen Bericht für Viktor. Diese Leute hatten für mich keine Perspektive. Ich glaubte auch nicht, dass es viele Sozialisten in der SA gäbe, die wir auf unsere Seite ziehen könnten. Dafür war unsere Niederlage zu groß. Tausende unserer Mitglieder waren im KZ, in der Emigration oder in der Illegalität. Die Masse der Arbeiter war zwar nicht nazistisch eingestellt, aber viele waren deprimiert und passiv. Ohne aktive Arbeiterbewegung musste eine mögliche Rebellion frustrierter Kleinbürger und Lumpenproletarier im Sande verlaufen. Mein Bericht entsprach zwar nicht der Generallinie, aber ich tat mir keinen Zwang an. Niekisch wurde von nationalistischen Akademikern unterstützt. Röhm hingegen von einem Millionenheer an Desperados. Möglich war für mich eine Nacht der langen Messer.
Bei Ernst Röhm
Ende Februar 1934 kontaktierte mich Leutnant Rath erneut. Nach einem Treffen mit ihm wurde mir die Spannung zwischen SA und NSDAP noch bewusster. Zwar hatte Hitler Röhm nach am 31. Dezember 1933 in einem herzlichen Schreiben für seine „unvergängliche(n) Dienste“ öffentlich gedankt. Aber Röhm, der Minister ohne Geschäftsbereich kam seinem Ziel „ Reichswehrminister“ zu werden nicht näher. Rath sagte mir im Kaffee: „ Wir sind der eigentliche Träger der Bewegung“. Nachdem ich Rath fragte, ob denn die „sozialistischen Bedürfnisse“ der Masse der SA Mitglieder berücksichtigt würden, antwortete der Berater des Stabschefs ausweichend: „Selbstverständlich“. Ich berichtete ihm von meinem Gespräch mit Niekisch. Rath war zufrieden, gleichzeitig hatte er eine Überraschung parat. Er wollte mich sofort dem Stabschef der SA im Hotel Kaiserhof vorstellen. Wir brachen auf. Der Portier rief Röhm in seinem Hotelzimmer an. Uns wurde mitgeteilt, dass wir noch eine Stunde zu warten hätten. Rath grinste und meinte: „ Er muss wohl erst noch seinen Knaben nach Hause schicken.“ Jeder wusste dass Röhm homosexuell war. Im Laufe der Zeit kamen Edmund Heines und der SA Führer von Berlin Karl Ernst, zu uns in die Hotelbar. Gemeinsam warteten wir. Finster musterte mich der Schläger Heines. Karl Ernst hingegen machte auf freundliche Konversation. In der Tat, Karl Ernst sah gut aus. Einige Zeitungen machten ihn zum „ Frauenschwarm“ im Reich. Im Frühjahr wollte Ernst heiraten. Dann lief ein Mann auf uns zu und unterhielt sich mit deutlich englischem Akzent mit Heines und Karl Ernst. Er war gut bekannt mit den Herren. Rath sagte: „Das ist ein Vertreter von Sir Henri Wilhelm August Deterding, Du siehst wir haben Beziehungen“. Daraufhin warf ihm Heines einen bösen Blick zu. Deterding war Hauptaktionär des Shell-Konzerns und einer der reichsten Männer der Welt. „Schöne Sozialisten“ dachte ich mir. Röhm hatte demzufolge kein „Schäferstündchen“ sondern ein Treffen mit einem Vertreter eines monopolistischen Energieunternehmens. Endlich wurden wir zum Stabschef vorgelassen. Der kleine fette Röhm mit dem zerhackten Gesicht war nicht gut gelaunt, obwohl er scheinbar freundlich mit mir sprach. Deutlich verärgert war er über den Reichskriegsminister Blomberg. Röhm machte mir seltsame Angebote. Er steigerte sich hinein und meinte, „meine SA hat 4. Millionen Kämpfer, die Partei hat nur Wirtshausbrüller und Ideologen.“ Auf meine Frage wie ich ihm zu Diensten sein könne sagte Röhm: „ Sorgen sie dafür, dass die KP ruhig bleibt. Wir werden mit oder ohne Hitler die Reaktion schlagen. Dann lobte Röhm seltsamerweise die „ KP Kämpfer“. Der ehemalige Hauptmann meinte, „bei euch sind wenigstens noch richtige Männer“. Röhm versuchte mir klar zu machen, dass „für nationale Kommunisten“ immer ein Platz in der SA ist“. Zwischendurch mischte sich Heines ein und forderte Röhm auf, „nicht so viel zu quatschen“. Ich hatte das Gefühl, dass mir Heines nicht wirklich traute. Aber Rath meinte „durch Quengel haben wir viele Informationen und Kontakte bekommen. Röhm muss sich also nicht zurückhalten.“ Daraufhin fuhr Röhm fort: „ Der dicke Göring muss weg. Er steckt mit der Reichswehr unter einer Decke. Von Goebbels weiß man nicht, wo er steht. Heß ist nur ein treuer Sekretär, der aber von Teilen der Industrie benutzt wird, um Hitler zu verwirren.“ Auf meine Frage, ob die SA denn keine Kontakte zur Industrie habe, antwortete nicht Röhm sondern sein Berater Rath: „Wir haben gute Kontakte zu Teilen des Chemie- und Elekrokapitals. Als alter Marxist dürfte ihnen doch klar sein, wie gespalten die Besitzenden in politischen Fragen sind.“ Das nickte ich ab. In meinem Kopf war der Bericht an Viktor über diese seltsamen „ Sozialisten“ schon fertig. Diese Leute wollen nur noch höhere Posten. Dabei versuchen sie die kleinbürgerliche Unzufriedenheit innerhalb der SA auszunützen und gleichzeitig probierten mit bestimmten Fraktionen des Finanzkapitals ins Geschäft zu kommen. Röhm sprach zum Abschluss noch über eine „ notwendige Querfront von echten Männern, wenn es darauf ankommt“. Dieser Appell an mich machte deutlich, dass ein offener Konflikt zwischen Röhm und dem, was er „ Reaktion“ nannte, bevorstand. In der Hotelbar lud mich Karl Ernst noch auf ein Glas Sekt ein. Ernst wollte wissen, ob ich noch Kontakte zu Münzenberg in Paris hätte. Ich bejahte das. Ernst war wohl weniger optimistisch als Röhm und Heines. Er verriet mir, dass er sich abgesichert habe. Auf meine Frage, was er damit sagen wolle, erklärte Karl Ernst: „Der Göring will mich umbringen. All das, was Münzenberg im Braunbuch geschrieben hat, stimmt. Ich habe alle Informationen und Dokumente zum Reichstagsbrand sicher deponiert. Wenn mir Göring etwas antut, bekommt Münzenberg das Material.“ Damit bekannte sich Ernst klar zur direkten Mittäterschaft am Reichstagsbrand. Im nächsten Moment flüsterte mir Karl Ernst zu meinem Erstaunen zu: „Dem Rath ist nicht zu trauen. Dieser Leutnant verkehrt mit Heydrich. Es ist möglich, dass er ein Doppelspiel betreibt.“
Nach den Aussagen von Karl Ernst, ist Röhm naiv und vertraut einfach dem gut aussehenden Leutnant. In diesem Zusammenhang zog ich meine Schlüsse und, informierte Bärbel, die mein Schriftstück an Viktor weiterleitete. In der Notiz schrieb ich über die zunehmenden Gegensätze zwischen der SA-Führung, der Hitler Regierung und der Reichswehr. Einer revolutionären Perspektive erteilte ich in dem Bericht eine deutliche Absage. Ich stellte klar, dass der momentane Fraktionskampf innerhalb des reaktionären Kleinbürgertums zunahm und sich beide Seiten, um die Gunst bestimmter industrieller Kreise bemühten. Ich wusste, dass meine Schlussfolgerungen bei Schubert und Schulte in der Emigration nicht gerade Begeisterungsstürme hervorrufen würden. Nichtsdestotrotz hielt ich mich an den Rat, den mir einst der Chef der russischen Aufklärung, General Bersin, gegeben hatte. Der Hinweis von Karl Ernst, über das mögliche Doppelspiel des Leutnants Rath konnte mir unter Umständen den Kopf retten.
Einige Wochen später
Viktor ließ mir übermitteln, ab sofort jeglichen Kontakt zu Leutnant Rath abzubrechen. Unser Nachrichten- Apparat hatte in Erfahrung gebracht, dass er beinahe täglich mit dem Chef des SD, Heydrich, konferierte. Mir wurde der Befehl erteilt, sofort meine Wohnung in Berlin zu verlassen und mich in Leipzig bei der bereits genannten Witwe wieder als Hausartikelvertreter Hans Faber unterzutauchen. Die Witwe war erfreut, mich wieder begrüßen zu dürfen. Wichtiger aber war, der Leutnant Rath kannte meine Adresse und meine Identität ab sofort nicht mehr. Mein Auftrag bestand darin, Material zu sammeln, alle möglichen Zeitungen zu lesen und einen Kontakt zu dem Planwirtschaftsexperten Meyer zu Schwabedissen herzustellen, der sich, wie ich hörte, bemühte innerhalb der SA so etwas wie sozialistische Gedanken zu verbreiten. Über Viktor kam der Kontakt zu Stande und so traf ich mich Anfang April 1934 mit dem Experten in einem Lokal am Frankfurter Hauptbahnhof. Schwabedissen war ein integrer sympathischer Mensch, als Intellektueller vertrat er die Position eines Planwirtschaftlers, der in nationalen, nicht in internationalen Kategorien dachte. Von daher erklärte sich auch seine Sympathie für Sowjetrussland bzw. für den Versuch, wie er es ausdrückte, den „Sozialismus auf nationaler Basis“ herzustellen. Nichtsdestotrotz das Gespräch war sehr interessant. Er glaubte, es sei möglich, die Masse der SA doch noch für einen Kampf gegen die „Reaktion und für den Sozialismus zu gewinnen“. Er lud mich ein im Mai 1934 an einem SA Führerlehrgang in Villingen teilzunehmen. Dort werde er über die Möglichkeiten des Sozialismus sprechen und mich dort als seinen persönlichen Sekretär ausgeben. Ich erfuhr, dass auch an der Tagung auch Leutnant Scheringer teilnehmen werde, den Meyer zu Schwabedissen als „ seinen persönlichen Freund“ bezeichnete
Ich war froh dem abgeschieden Dasein in meiner Leipziger Wohnung zumindest im Mai entrinnen zu können. Im Mai 1934 nahm der renitente Scheringer, der soeben seine Freundin Marianne geheiratet hatte, zusammen mit dem Planwirtschaftsexperten Meyer zu Schwabedissen an dem SA-Führerlehrgang in Villingen teil.
In Villingen
Hunderte von SA- Angehörigen versammelten sich in Villingen. In Dutzenden Referaten versuchte Meyer zu Schwabedissen, der versammelten Meute das Thema der politischen Ökonomie nahe zu bringen. Das ging nach meinem Dafürhalten daneben, denn die anwesenden SA- Führer waren geistig recht beschränkt und taten nur so als ob sie dem Gelehrten zuhören würden. Anders kam der ehemalige Leutnant Scheringer an. Er verstand die anwesenden SA- Rabauken im passenden Ton anzusprechen. Klar war aber auch, Scheringer hatte nichts mehr mit der KPD zu tun, er pokerte hoch im eigenen Auftrag. Es schien ihm darum zu gehen innere Unruhen zu erzeugen, um doch noch so etwas wie eine deutsche Revolution hinzubekommen. Er meinte, dass ein großer Kladderadatsch in Deutschland durchaus in unserem Interesse sei. Mit Aufmerksamkeit verfolgte ich, wie der SA-Führer vom Baden-Württemberg, Hans Ludin, seine Freundschaft mit Scheringer offen zur Schau stellte, obwohl dieser die Anwesenden nicht mit dem Hitlergruß begrüßte. Immer wieder hörte man von einzelnen Teilnehmern: “Wenn die Reaktion nicht kapituliert, heißt es wieder SA marschiert.“ Dennoch hatten die SA-Leute kein wirkliches politisches Programm. Sie erregten sich nur über Heß und von Papen, sowie über die „ Katholische Aktion“ von Erich Klausner. Die genannten sprachen vom „Ende der Revolution“. Komischerweise wurde Hitler auf dieser scheinbar oppositionellen Tagung von Kritik ausgenommen. Eine typische hanebüchene Erklärung dafür war: „Der Führer ist momentan mit den falschen Leuten zusammen, wenn er sieht, dass die SA marschiert, wird er sich auf die richtige Seite schlagen.“ - Was sich hier zusammenrottete, war kleinbürgerliche Enttäuschung ohne programmatische Zielsetzung. Dennoch konnte und musste letztendlich die faschistische Führung Konsequenzen ziehen. Auch Mussolini in Italien hatte einst seinen radikalen kleinbürgerlichen Anhang physisch liquidiert.
Im Juni machte Röhm einen entscheidenden Fehler. Er schickte seine SA in Urlaub. Gleichzeitig wurde in den SA-Organen großspurig angekündigt, dass „sich niemand der Illusion hinzugeben bräuchte, die SA würde aus dem Urlaub nicht zurückkehren“. Mir fiel ein, dass auch Danton in Urlaub ging, bevor er hingerichtet wurde.
In Bad Wiesee
Am 1. Juli sollte eine Führertagung der SA zusammen mit Hitler in Bad Wiessee stattfinden. Im Auftrag unseres Apparates stieg ich als vornehmer Herr einige Tage vorher in den BARTLMÄ - STUBEN in Rottach Egern ab, um die Situation zu beobachten. Am Aufstiegspunkt des Wallberges verkaufte ein illegaler Genosse im bayrischen Wichs Schmalzbrote an Touristen. Auf das Stichwort für „Viktor und Hans“ steckte er mir statt der eingewickelten Brote, einen kleinen handlichen Revolver zu. Ich bedankte mich für die Brote und ging in ein Kaffee im Ort, um Zeitung zu lesen. Nachdem ich ausführlich den „Völkischen Beobachter“ gelesen hatte, ging ich spazieren. Im Ort und an der Strandpromenade fiel mir eine Unzahl von Herren auf, welche nur schlecht als Touristen durchgingen. Es war klar, der Ort wimmelte von SA und SS Männern. Es war der Nachmittag des 30. Juni. Ich beschloss, nach Bad Wiessee zu wandern zur Pension Hanselbauer, wo sich die SA-Führer mit Hitler zu einer Aussprache treffen wollten. Röhm kurierte dort seit einigen Tagen seinen Rheumatismus aus. Es war mir klar, dass irgendetwas bevorstand. Am 25. Juni hatte Rudolf Heß im Radio von „Provokateuren“ gesprochen, die versuchten Volksgenossen gegeneinander aufzuhetzen und dieses „verbrecherische Spiel mit dem Ehrennamen einer zweiten Revolution zu bemänteln“. Die naiven SA- Leute hingegen glaubten an den „ Führer“ und wollten ihn vom Einfluss der Reichswehr, speziell des Generals Blomberg, befreien. Röhm war der einzige in der Naziführung, der es wagte Hitler zu widersprechen. Er hatte ihn ja auch entdeckt. Wenn Hitler brüllte, brüllte Röhm auch. Ich sah im Umfeld von Bad Wiessee keine bewaffneten SA-Leute. Dafür standen in den Nachbarlandkreisen SS-Formationen bereit und mir war von Sepp in Rottach- Egern eine Nachricht von Viktor zugesteckt worden, dass die Reichswehr in Alarmbereitschaft versetzt war. Die Reichswehr verteilte Waffen an die SS Gruppen. Ich spielte mit dem Gedanken, zu Röhm zu gehen und ihn zu warnen.
In diesem Moment kurz vor Bad Wiessee packte mich eine Hand an der Schulter. Ich erschrak. Es war Leutnant Rath in Zivil. „Na was macht denn unser Quengel hier, lange nicht gesehen. Sie treiben wohl ein Doppelspiel. Das wird ihnen nicht bekommen“. Rath war alleine. Ich sah wie er in seine Jacketttasche griff. Ich war schneller und erledigte mit einem Schuss mitten ins Herz diesen faschistischen Banditen. Zum Glück hatte ich die Waffe, warum auch immer, vorher entsichert und mit einem kleinen Schalldämpfer versehen. Den toten Rath schleppte ich in ein nahes Schilf und legte ihn ins Wasser. Es waren keine Touristen unterwegs. Sie ahnten wohl, dass etwas im Busch sei. Aber bald würden die Freunde von Rath ihn vermissen. Mein Herz klopfte, ich musste unauffällig türmen. Es war völlig unmöglich Röhm zu warnen. Mit ruhigem Schritt verließ ich die Uferpromenade. Niemand schien mich gesehen zu haben. Die Pistole warf ich ins Wasser. Trotz eines Umwegs kam ich pünktlich zum Abendessen in den BARTLMÄ – STUBEN an. Eine Kellnerin namens Maria servierte mir das Essen. Ich weiß nicht mehr was es war wegen in meiner Nervosität konnte ich kaum etwas zu mir nehmen. Aber diese Maria hatte ein Auge auf mich geworfen. Ich sprach sie an, ob sie heute Abend schon etwas vorhätte. Sie flüsterte mir ins Ohr „ ich kann nicht auf dein Zimmer kommen, komm doch zu mir in mein kleines Schlafzimmer im Nebengebäude.“ Das konnte meine Rettung sein. Die Gestapo würde den toten Rath bald finden. Sicher haben diese Leute irgendwo ein Foto von mir, dann hilft mir auch mein falscher Pass nichts mehr. Das Rendezvous konnte mich retten. Gegen 11 Uhr schlich ich zu Maria. Sie küsste mich sanft und sagte, „ du gehörst nicht zu der Bande die sich momentan im Hotel aufhält. Leg dich hin und ruh dich aus. Wenn du willst, werde ich dich verwöhnen“. Vater du kannst dir gar nicht vorstellen, wie glücklich ich war. Das Mädchen zog mich aus der Schlinge. Wir hatten Sex, denn Tod und Gefahr befeuern den Eros. Am nächsten Morgen bat ich Maria herauszufinden, ob etwas passiert sei. Nachdem sie den Gästen das Frühstück serviert hatte, kam sie gegen 10 Uhr zurück. Ihre Wangen glühten. Die Gestapo war im Haus und durchsuchte mein Zimmer. Alle wurden nach einem Hans Faber befragt. Aber auch die anderen Nachrichten verbreiteten sich schnell am Tegernsee. Die gesamte SA Führung soll gegen 6:30 Uhr morgens von Hitler verhaftet worden sein. Röhm wurde nach Stadelheim gebracht. Edmund Heines wurde mit seiner männlichen Geliebten im Bett erwischt. Angeblich knallte man Heines sofort ab. Hitler wurde von einem SS- Kommando unter Sepp Dietrich begleitet. Nur einen Augenblick soll es kritisch gewesen sein. Als ein Lastwagen mit der schwerbewaffneten Stabswache der obersten SA-Führung erschien, so entstand eine für Hitler gefährliche Situation. Durch scharfe Befehle gelang es ihm aber, die Stabswache zum Abzug zu bewegen. Die Leute im Gasthof, so erzählte mir Maria, bejubelten die „ Entschlossenheit des Führers“. Im Radio berichteten alle Sender von der Niederschlagung des Röhm- Putsches durch „den Führer persönlich“. Reichskriegsminister Blomberg dankte Hitler im Namen der Reichswehr. Ein anderer Sender nannte einige Namen der Hingerichteten. Darunter Karl Ernst, August Schneidhuber, Heines und den jungen Grafen Spreti. Mir schoss durch den Kopf, dass Ernst doch gar nicht in Bad Wiessee war, sondern mit seiner Braut eine Hochzeitsreise nach Madera antreten wollte. Wahrscheinlich wurden im ganzen Reich Leute erschossen, Konkurrenten beseitigt und alte Rechnungen beglichen. Maria sagte ungefragt, „du kannst solange in meinem Zimmer bleiben, wie du willst. Mein Mann war Kommunist und wurde von dem Angeber Estermann aus Wasserburg am Inn im letzten Jahr an die Gestapo verpfiffen. Dann bekam ich einen Brief aus Dachau, dass er leider verstorben sei. Einige Tage später schickte man mir seine Asche, anbei eine Rechnung. Bist du Kommunist?“ Ich verneinte nicht. Das Mädchen gab mir meinen Glauben an die Menschheit und die deutsche Arbeiterklasse zurück. Drei Tage versteckte ich mich in Marias Zimmer. Sie versorgte mich mit Essen und Getränken. Den ganzen Tag verbrachte ich vor dem leise gestellten Radio. Ein österreichischer Sender meldete, dass General von Schleicher, samt Gemahlin von einer „Mörderbande“ in seinem Haus erschossen worden sei. Der kranke Schleicher, mein „ehemaliger Chef“, fand so sein ruhmloses Ende. Von der Reichswehr war kein öffentlicher Protest zu vernehmen. Ermordet wurde der Sekretär des Herrn von Papen, Edgar Jung, sowie der Leiter der „ Katholischen Aktion“, Erich Klausner. Der windige von Papen, der sich in seiner Marburger Rede am 17. Juni gegen „ Willkür“ ausgesprochen hatte, scheint davon gekommen zu sein. Sicher wird der Herr die Ermordung seines Sekretärs hinnehmen und irgendeinen neuen Posten annehmen. Auch der ehemalige Generalstaatskommissar von Bayern Gustav Ritter von Kahr wurde ermordet. Der angebliche Putsch war eine schmierige Unterstellung. Röhm und seine Leute hatten in der Nacht vom 30. Juni gesoffen und rumgehurt. Ich vermerkte in meinen mir Notizen, dass sich Putschisten anders verhalten hätten. Aus keiner Meldung ging hervor, dass es irgendwo zu Kämpfen gekommen sei. Die von der KPD Führung erwartete Erhebung Viktor Lutze wurde zum neuen SA- Chef befördert. Die Mordaktionen wurden im Süden von Hitler und in Berlin von dem Göring. Die österreichischen Austrofaschisten waren gut unterrichtet. Ihr Radio brachte genaue Informationen.
Nun musste ich mir aber überlegen, wie ich mich aus dem Staub machen könne. In Deutschland konnte ich nicht mehr bleiben. Maria erklärte sich bereit Sepp, den Schmalzbrotverkäufer am Wallberg, zu kontaktieren. Am 4. Juli kaufte Maria bei Sepp ein Brot am Bergaufstieg und verwickelte Sepp in ein Gespräch. Dabei nannte sie die Stichworte „Hans und Viktor Dann gab es einen innigen Abschiedskuss, Viktor mit C“. Sepp sagte, er hole mich morgen früh um 6:40 Uhr mit dem Motorrad ab. Maria besorgte mir einen Rucksack und bayerische Bergkleidung. Wir liebten uns die ganze Nacht. Beim Abschied am Morgen weinte Maria und sagte: „Komm gut nach Österreich.“ Ich küsste sie und sagte: „Der Kommunismus siegt doch“.. Im bayerischen Wichs schwang ich mich auf das Motorrad. Sepp brauste los. Es ging in Richtung Wildbad Kreuth. Sepp kannte sich aus, er fuhr abgelegene Straßen. Der Anblick der Blauen Berge gefiel mir als Berliner Stadtkind. Hinter diesem Massiv liegt die Grenze zu Österreich. Sepp parkte das Motorrad unterhalb der Wolfsschlucht und versteckte das Rad im Wald. Der Anstieg von dort über die Siebenhüttenalm durch die Wolfsschlucht bis zum Sattel zwischen Schildenstein und Predigtstuhl war stellenweise seilgesichert Weitere Zustiege sind von der Gufferthütte möglich, erklärte mir Sepp, aber dort gehen wir nicht lang, weil wir dort Polizisten und Nazis in die Hände laufen, die zu ihren Freunden nach Österreich wollten. Nach einigen Stunden anstrengender Kletterei blickten wir nach unten. Sepp sagte: „Genosse geh einfach hier runter, wir sind schon in Austria“. Er grinste und schüttelte mir kräftig die Hand. Was für wunderbare Menschen es doch gibt. Unter mir lag die Gemeinde Achenkirch ein beschauliches Dorf an der Grenze. In dem beschaulichem Nest gab es nur einen Gasthof, aber mit Gästezimmer. Freundlich begrüßte der Wirt mich als „Reichsdeutschen“. Offensichtlich war der Provinzgastronom Nazi und sah in mir einen Gesinnungsgenossen. Nach kurzem Gequatsche zog ich mich auf das Zimmer zurück, packte meinen Anzug aus und schlief ein. Am nächsten Tag verabschiedete ich mich mit „ Heil Hitler“ und fuhr mit verschiedenen Bussen nach Innsbruck. Mir war klar, ich musste ins Saarland zu Viktor. Der Zug brachte mich ohne Probleme nach Zürich. Den Schweizer Polizisten war der Haftbefehl gegen Hans Faber noch unbekannt. An der Grenze zeigte ich den Pass und den Geschäftsausweis des Hamburger Haushaltsartikelherstellers und wurde durchgewunken. In Zürich buchte ich ein Zugticket nach Paris. Bewusst mied ich den Weg über Freiburg nach Straßburg. Der Umweg war sicherer. Ich hatte noch genügend Reichsmark und reiste erster Klasse. Das war unauffälliger, denn in der ersten. Klasse ging man leichter als Vertreter und Geschäftsmann durch. Von Paris aus fuhr ich nach Saarbrücken.
Kampf um die Saar
Dort tobte der Kampf um das Saarland. Hungrig und müde kam ich am 10. Juli in Saarbrücken an. Am Bahnhof empfing mich der Jugendfunktionär Erich Honecker. Der junge Mann nannte das Stichwort „Viktor mit C“. Gemeinsam fuhren wir in den Neunkirchner Stadtteil Wiebelskirchen in die Kuchenbergerstr. 88. In dem Haus der Familie Honecker erwartete mich zu meinem Entsetzen nicht Viktor, sondern der Herbert Wehner alias „Kurt Funk“. Ohne sich um meine Müdigkeit zu kümmern, erläuterte mir Wehner, welche Aufgaben mir im „ Kampf um die Saar“ zufielen. Anfang 1935 ging das Saarstatut zu Ende. Frankreich musste die 1920 in Versailles festgelegte Regelung bezüglich des Saarlandes dulden. Nach 15 Jahren sollte der Status des geklärt werden. Bei der Volksabstimmung im Januar 1935 wurden drei Fragen gestellt. 1. Anschluss an das Deutsche Reich 2. Anschluss an Frankreich. 3. Erhalt des Völkerbundmandats sprich „ Status- Quo“. Wehner schimpfte in unflätig vor allem auf Schubert und Schulte. In der Tat das Politbüro gab bis vor kurzem die völlig realitätsblinde Losung aus: „Für eine rote Saar in einem roten Rätedeutschland“. Gezwungenermaßen musste ich Wehner Recht geben. Nach einer dreistündigen Belehrung und Befragung konnte er endlich erkennen, dass ich Schlaf benötigte. Über die Ereignisse in Bad Wiessee verweigerte ich die Auskunft und sagte: „ Ich werde den Bericht nur an Viktor und Kippenberger geben.“ Woraufhin Wehner zynisch meinte, „der Hans ist eh schon fast erledigt“. Trotz meiner Müdigkeit wurde mir bewusst, wie sehr Wehner, mit seinem sächsischen Landsmann Ulbricht, daran arbeitete, alle alten Kader zu entfernen. Müde und leicht depressiv schlurfte ich in die Schlafkammer, welche die Mutter von Erich Honecker für mich hergerichtet hatte. Nach fast eineinhalbtägigem Dauerschlaf wurde ich sanft von Honeckers Mutter geweckt. Sie flüsterte: „Sie haben Besuch. Außerdem gibt es Kaffee und Original saarländischen Apfelkuchen“ In der Wohnküche fiel ich Viktor in die Arme. Wie immer verbreitete Victor sofort gute Laune. Leo Roth (Viktor) hatte Anfang 1934 die Waffe zur Ermordung des von der Gestapo „umgedrehten“ Alfred Kattner besorgt, anschließend unseren Genossen Hans Schwarz mit einem gefälschten Pass versehen und ihn in Begleitung seiner Freundin Helga von Hammerstein außer Landes gebracht. Sehr lebendig berichtete Victor von seiner Flucht und wie „toll“ Amsterdam sei.
Leo Roth war über Holland nach Moskau gereist und arbeitete dort unter dem Tarnnamen "Ernst Hesse" an der „M-Schule der Komintern in Moskau. Jetzt ist er Abwehrleiter der KPD im Saarland. Für Wehner besorgte er einen Journalistenausweis und eine sichere Unterkunft. Dennoch war er auf Wehner nicht gut zu sprechen. Er ließ durchblicken, wie sehr er ihn verachtete. Viktor war einer der fähigsten Organisator, den ich je kennengelernt hatte. Damals leitete er die Arbeit des Kippenberger- Apparats in diesem Abschnitt. Seine Verbindungen waren ausgezeichnet. Er hatte Kontakte zu Sozialdemokraten, katholischen Zentrumsleuten und selbstverständlich zu Agenten in der „Deutschen Front“ der Nazis. Wie immer nutzte er Kontakte zu bürgerlichen französischen und britischen Journalisten. Viktor war beseelt von seiner revolutionären Aktivität. Er war noch jung, hatte enorme Spannkraft und eine schnelle Auffassungsgabe.
Ich erzählte, was ich so alles erlebt hatte und Viktor sagte dazu: „Du hast tolle Arbeit geleistet, aber was fangen wir jetzt mit dir an. Du bist verbrannt und benötigst neue Papiere.“ Klar, weder unter Quengel noch unter Faber konnte ich weiter arbeiten. Viktor händigte mir einen neuen Pass, einen Presseausweis und andere Papiere aus. Mein Name war jetzt Ernst Schulz, geboren in Straßburg. Offiziell war ich nun Korrespondent für die englische „Times“ zur Berichterstattung im Saarland. Das konnte gut gehen, denn wegen meiner mutmaßlichen Teilnahme am Hamburger Aufstand im Oktober 1923 war ich von 1924 bis 1925 in der Haft und hatte dort englisch und französisch gelernt. Die falschen Papiere waren gut und sauber hergestellt. Zu meiner Aufgabe als Journalist gehörte es, Informationen von allen Seiten zu beschaffen.
Schon am nächsten Tag übergab mir ein mit uns sympathisierender Journalist aus Paris brisantes Material. Daraus ging hervor, dass Hitler der französischen Regierung vorschlug, die Zukunft der Saar durch eine freundschaftliche Vereinbarung zwischen beiden Regierungen zu regeln und auf die Volksabstimmung zu verzichten Das Saargebiet sollte wieder Deutschland angeschlossen werden und durch einen Wirtschaftsvertrag sollte geregelt werden, dass die französische Industrie die Bodenschätze an der Saar wie bisher ausbeuten dürfe. Natürlich lehnte die französische Regierung ab. Sie wertete das Angebot Hitlers vielmehr als Zeichen der „ Schwäche“. Diese Einschätzung teilte sie mit einigen Kadern der KPD. Offen wurde jetzt dafür geworben, gemeinsam mit der Sozialdemokratie für den Status Quo zu kämpfen. Diese praktische Umorientierung teilten auch von Schulte, Schubert und Florin, bezüglich Ulbrichts und Piecks Haltung herrschte Skepsis. Gemeinsam mit Wehner versuchten sie mit bürgerlichen antinazistischen Politikern ins Gespräch zu kommen. Viktor meinte, „diese Leute sind dabei die sozialistische Orientierung aufzugeben“. In der Tat, die Politiker an der Saar waren nur noch der Schatten der Bourgeoisie. Sie vertraten nichts und niemanden mehr außer sich selbst. Dieser Schatten des Bürgertums verlangte allerdings, dass die KPD ihre sozialistische Programmatik und Praxis änderte. Viktor gab mir den Auftrag, die Stimmung unter den Kleinbürgern, sowie innerhalb der „Deutschen Front“ zu erkunden. Zuerst musste ich mir ein Bild über die Lage verschaffen. Honecker besorgte mir Unterlagen. In der Reichskanzlei in Berlin unterbreitete Hitler und dem Industriellen Hermann Röchlin den Plan, die NSDAP im Saarland offiziell aufzulösen Zwei Monate später am 15. Juli 1933 wurde bekannt, dass sich Zentrum, DSVP, DNVP, Wirtschaftspartei und die NSDAP-Saar zusammenschließen wollten. Die Deutsche Front wurde der Leitung von Alois Spaniol unterstellt. In der ersten Deutschen Front waren alle Parteien selbstständig organisiert, was den Ambitionen des Pfälzischen Gauleiters Josef Bürckel widersprach. Erst Ende September und Anfang Oktober 1933 lösten sich schließlich alle bürgerlichen Parteien außer der NSDAP auf. Damit war die NSDAP die „ Deutsche Front“, obwohl sie nicht als solche in Erscheinung trat. Spaniol ging auf Konfrontation mit Bürckel, da er die NSDAP weiter als Partei an der Spitze der DF haben wollte. Bürckel wollte die Nazis aber aus der Schusslinie nehmen. Er spekulierte auf Schichten, die sich durch den Straßenkampf der SA abschrecken ließen. Im Winter 1933 gab Spaniol einer schwedischen Zeitung ein Interview, in dem er „Hitler als Messias“ bezeichnete. Das ermöglichte dem „moderaten Nazi Bürckel“ Spaniol ins Abseits zu drängen. Am 26. Februar 1934 wurde die NSDAP im Saarland aufgelöst - vor allem auch um das Ausland zu „beruhigen“. An die Spitze der „Deutschen Front“ trat der Jakob Pirro. Er war ein Vertrauter Bürckels und diesem direkt unterstellt. Im Wesentlichen handelte die „ Deutsche Front“ wie die Nazipartei in Deutschland. Alles wurde direkt von Bürckels Zentrale in Neustadt an der Weinstraße bestimmt. Nur zur Tarnung saßen bürgerliche Politiker in der Zentrale der „ Deutschen Front“. Der Einfluss der bürgerlichen Politiker innerhalb der „ Deutschen Front“ war marginal. Die Genossen Ulbricht und Wehner jagten demzufolge einer Schimäre hinterher, wenn sie im Saarkampf nach bürgerlichen Politikern Ausschau hielten. Für mich war entscheidend, wie wir mit dem trotz aller zur Schau gestellter „ Mäßigung“ der Nazis die „Deutsche Front“ bekämpfen konnten. Die Nazis versuchten unsere Veranstaltungen zu sprengen, unsere Plakate abzureißen. Sie schmeichelten der Arbeiterklasse an der Saar und versprachen „Arbeit und Brot“. Ihre zentralen Parolen waren „Deutsch ist die Saar, immerdar!“ und „Heim ins Reich!“
In Saarbrücken traf ich mich mit einem unserer Agenten innerhalb der „ Deutschen Front“. Es ging darum die Finanzierung der Naziaktivitäten und die Struktur ihres Terrorapparates zu erfassen. Im Alten Haus in Saarbrückens dörflichem Stadtteil St. Arnual, traf ich den Genossen „Hans“. Hans war ein feiner schmaler Intellektueller, der in Berlin Philosophie studiert hatte. Dort wurde der gebürtige Saarbrücker 1930 vom Apparat Kippenbergers angeworben. Jetzt gab er sich als deutscher Patriot aus und arbeitete im Sekretariat von Landesleiter Jakob Pirro. Hans gab mir genaue Informationen über den Geldfluss an die Nazis im Saarland. Ich hatte die „ Times“ bei mir und er fragte nach „Viktor mit C“. Aus der Erzählung und den Dokumenten ging hervor: Am 18. Juli 1934 wurde Bürckel offiziell von Goebbels beauftragt, die Propaganda für die Abstimmung durchzuführen. Bürckel riss fast die gesamte Arbeit an sich. Beratend war nur noch das auswärtige Amt mit seinem Saar Referat in Berlin tätig. Zur Finanzierung der Propaganda flossen Zuschüsse in Millionenhöhe aus dem Reich und Gelder der Industrie speziell von Emil Kirdorf und Hugo Stinnes. Aus propagandistischen Zwecken sammelten im Reich auch das Winterhilfswerk, die „Deutsche Arbeitsfront“, die Frauenschaft usw. Hans reichte mir die Zahlungsbelege und Bilanzen der „ Deutschen Front“ in einer Zeitung über den Tisch. Dann berichtete er über die Terrorstrukturen der Nazis im Saarland und die Verflechtung der Nazis mit der örtlichen Polizei und Justiz. Es gelang der Deutschen Front vor der Saarabstimmung ein fast lückenloses System von geheimdienstlichen Aktivitäten und rechtem Terror im Saargebiet zu etablieren. Schlimme SS und SA Schläger aus dem Reich wurden ins Saarland geschickt. Die Polizeistation in Saarbrücken, sagte Hans, ist „faktisch jetzt schon ein Gestapo Hauptquertier. Die DF konnte ein eigenes System von Polizei und Beamten in hohen Positionen im Saargebiet installieren. Faschistische Gewalttaten wurden zum Teil durch die Exekutivorgane, aber auch durch die Gerichte gedeckt.“ Hans zufolge hielten die Nazis „Herrmann Schubert und Ernst Wollweber für die entscheidenden Kräfte der KPD im Saarland“. Diese Information beruhigte mich fast schon wieder. Denn Schubert war in Moskau und Ernst Wollweber in Skandinavien. Es schien Viktor gelungen zu sein unseren hauptamtlichen Apparat „ gut abzuschirmen“. Ich begab mich zurück ins Hotel in der Innenstadt von Saarbrücken. Dort residierte ich als Auslandsjournalist mit deutschen Wurzeln. Zum Glück war mein Berliner Dialekt nicht besonders ausgeprägt. Im Oktober besuchte ich eine Veranstaltung der „Deutschen Front“ auf dem zentralen Platz in Saarbrücken. Tausende waren gekommen. Die Redner waren gut geschult, mit jeder Menge Phrasen ausgestattet. Sie lockten auch die Arbeiter mit der „zurückgehenden Arbeitslosigkeit“ im Reich. Unsere Gegendemonstration angeführt von Max Reimann war schwach. Nur wenige hundert nahmen teil. Die Nazischläger im Bündnis mit der Polizei machten mit unseren Leuten „ „kurzen Prozess“. Es gab Verletzte und fast einen Toten. Mir drängte sich der Gedanke auf, dass wir keine Chance gegen die Nazischläger und Demagogen hatten. Die Nazis verschwiegen, dass im Dritten Reich die Arbeitslosigkeit nur zurückging wegen der Aufrüstung im Verbund mit Zwangsarbeit. Dieser schuldenfinanzierte Prozess musste zur gewaltsamen Politik nach außen führen. Auf der Kundgebung wurde ich ausgesprochen höflich behandelt. Eine blonde Nazinixe kümmerte sich um mich. Ich war ja ein respektabler Herr, ein Deutscher, der in England aufgewachsen ist und für die „Times“ arbeitete. Das Fräulein Hannelore kümmerte sich sehr um mich. Sie versuchte nach der Kundgebung im Kaffee – ich war immer Kaffehaussüchtig- in mir den Arier anzusprechen. Sie donnerte gegen das Unrecht von Versailles. Im Laufe des Gesprächs drängte sich mir der Verdacht auf, dass sie vielleicht für den SD arbeitete. Sie schwärmte vom „jungen schneidigen Heydrich“. Auf meine Frage was mit den Kommunisten und Sozialdemokraten nach der Rückkehr in Reich an der Saar passieren würde, antwortete diese Hannelore. „ Dasselbe wie im Reich, die Kommune wird doch eh nur noch von jüdischen Intellektuellen geführt, die bekommen nützliche Arbeit. Die verwirrten Arbeiter hingegen akzeptieren den Führer freiwillig.“ Damit war alles gesagt. Ich schrieb meinen Bericht an Viktor. In diesen Tagen gingen einige Naziläden hoch. Es gab eine Serie von Bombenanschlägen auf Nazieinrichtungen im Saarland. Wehner beschuldigte Viktor bei einem Treff mit mir für diese Akte des „individuellen Terrors“ verantwortlich zu sein. Ich sagte nichts dazu. In Wahrheit freuten sich unsere drangsalierten Arbeiter über diese Gegenaktionen. Wehner beschuldigte Viktor immer noch ein „Ultralinker“ zu sein und sich nicht von Maslow und Ruth Fischer gelöst zu haben usw. (Der 1911 geborene Viktor war 1928 kurz im Leninbund) Das Begehren Wehners meine schriftlichen Dokumente zu erhalten, lehnte ich mit der Begründung ab, er sei kein Mitglied des Politbüros. Zudem sei ich Viktor und Kippenberger unterstellt. Wutentbrannt zog Wehner von dannen. Am Schluss sagte er noch: „ Euch allen wird es so ergehen wie Neumann und Remmele“. Mit „allen“ meinte Wehner, Kippenberger, Schubert, Schulte, Leo Flieg, sowie Franz Dahlem.
Der 13. Januar 1935. Die Saarabstimmung
Gespannt erwarteten wir in der Wohnung der Familie Honecker das Resultat der „Saarabstimmung“ ab. Außer den Honeckers und mir waren auch Viktor und Max Reimann bei. Im Lauf des Abends wurde das Desaster für uns immer deutlicher. 90,8 Prozent der Saarländer votierten für den Anschluss an das Deutsche Reich, 8,8 Prozent für die Selbständigkeit der Saar und 0,4 Prozent für den Anschluss an Frankreich. Das Resultat war niederschmetternd. Nur noch der Kernbestand der KPD und der SPD votierte gegen Hitler für den Status Quo bzw. für die Selbständigkeit des Saarlandes. Die Nazis hatten einen überwältigenden Sieg errungen. Der sogenannte „nationale Sozialismus“ hatte auch die Masse der Arbeiter und Arbeiterinnen im Saarland verführt. Sofort begann Viktor die kommenden Aufgaben anzusprechen. Reimann sollte ins Ruhrgebiet zurückkehren, um dort bestimmte illegale KPD-Zellen in den Großbetrieben anzuleiten. Zu mir sagte Viktor, „wir müssen Pieck und Ulbricht in Paris informieren. Alle bekannten Gesichter unserer Partei müssen sich absetzen. Wir sollten nicht bis zum 1. März hier auf den Einmarsch der Nazis warten.“ Anschließend ging es noch um die Fortsetzung der Arbeit im Saarland. Viktor meinte, „wir müssen hier ab sofort auf die Illegalität umschalten. Alle zentralen Personen müssen verschwinden. Durch Emissäre werden die kleinen Zellen vom Ausland her angeleitet.“ Alle waren einverstanden. Der junge mittelmäßig talentierte Erich sollte in Berlin am Neuaufbau des KJVD arbeiten. Viktor hatte schon die Papiere für den jungen Mann. Wir begannen also unsere Koffer zu packen. Meine Abreise am 15. Januar war kein Problem. Als „ Berichterstatter“ der „Times“ war meine Arbeit beendet. Ohne Probleme reiste ich mit dem Zug nach Paris und bezog im Hotel „Lutetia“ ich ein vornehmes Zimmer. Das Hotel war ein bekannter Treffpunkt der deutschen Emigration. Auf den Hotelfluren traf ich Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und andere. Ein Portier erklärte mir, dass auch Willi Münzenberg öfter hier verkehrte. Der Portier war mit ziemlicher Sicherheit Kommunist. Er wollte den bürgerlich-demokratischen Journalisten aus England mit Münzenberg zusammenbringen. Er bemerkte nicht, wie sehr ich mich freute. Am Tag darauf bekam ich eine Nachricht von Viktor. Er teilte mir die Adresse eines Restaurants in der Nähe des Hotels mit, wo am 21. Februar ein Treffen mit Pieck, Ulbricht und dem unvermeidlichen Kurt Funk, alias Herbert Wehner, stattfand. Sofort ergriff Ulbricht mit seinem starken sächsischen Dialekt das Wort. Er machte ohne Umschweife Schubert und Schulte für die Niederlage an der Saar verantwortlich und war der Meinung, „wenn wir früher uns für die Unabhängigkeit des Saarlandes ausgesprochen hätten, wären die Dinge anders gelaufen.“ Dies war eine perfide Argumentation. Statt der Realität ins Auge zu sehen, wurden wieder Fraktionskämpfe ausgefochten. Wehner unterstützte Ulbricht, während Pieck sich zurückhielt. Diese Bande ignorierte, dass wir alle zusammen am 30. Januar 1933 eine vernichtende Lied Niederlage erlitten hatten. Statt daraus die nötigen Schlussfolgerungen zu ziehen, wurde wieder einmal versucht, bestimmten Konkurrenten die Schuld in die Schuhe zu schieben. Selbstverständlich waren Schubert und Schulte keine Engel, aber dieser Ulbricht und dieser Wehner schon gleich gar nicht. So ganz nebenbei wurde auch noch auf unseren Chef Publizisten Willi Münzenberg geschimpft. Angeblich hatte er seine publizistischen Möglichkeiten nicht vollständig genutzt, um den Arbeitern „klarzumachen was Sache ist“. Angegriffen wurde auch Hans Kippenberger und sein “desolater Apparat“. Dieser Angriff richtete sich deutlich gegen Viktor, Kippenbergers engsten Mitarbeiter. Mir wurde bedeutet, dass ich mich Anfang März nach Moskau zu begeben hätte. Wilhelm Pieck murmelte etwas von „entscheidenden Veränderungen in der Linie der kommunistischen Internationale in absehbarer Zeit“. Nach dem Gespräch war klar, Viktor würde sich zusammen mit seiner Lebensgefährtin Helga von Hammerstein nach Amsterdam begeben, um von dort aus die Arbeit im westlichen Gebiet Deutschlands abzusichern. Mit ihm zusammen sollte Herbert Wehner, letzterer als politisch Verantwortlicher nach Holland abreisen. Als disziplinierter Mitarbeiter des Nachrichtenapparates unserer Partei des aufgelösten Abwehrapparates fügte ich mich diesen Anweisungen. Ich sollte Georgi Dimitrow bei der Vorbereitung seines Hauptreferates mit Informationen aus Deutschland versorgen. Es wurde angedeutet, dass Wilhelm Pieck den Rechenschaftsbericht für das EKKI am siebten Weltkongress der kommunistischen Internationale halten werde. Dafür brauchte er nicht mich als Mitarbeiter, er hatte ja den wendigen Theoretiker und Schreiber Fritz David. Aus der Besprechung ging deutlich hervor, wie sich die Kräfteverhältnisse innerhalb der kommunistischen Partei Deutschlands bereits verschoben hatten. Als zentrale Galionsfigur wurde Wilhelm Pieck angesehen. Im Hintergrund zog der Sachse Ulbricht die Fäden. Obwohl Ulbricht und Pieck noch keine Mehrheit im Politbüro hatten, wurden Schubert, Schulte, Florin aber auch Franz Dahlem zunehmend an den Rand gedrängt. Als zuverlässigen treuen Arbeiter benötigten alle meinen persönlichen Freund Leo Flieg. Ich hatte noch etwas Zeit in Paris und verbrachte fast zwei Tage lang mit Willi Münzenberg, der de facto schon in Ungnade gefallen war. Nicht weil er den Politikstil von Schubert und Schulte unterstützte, sondern weil er als Freund Neumanns und generell als unabhängiger Kopf galt. Willi Münzenberg sagte mir viel Wahres über die Politik der KPD. Sein Hauptkritikpunkt war, dass man 1933 nicht gekämpft habe. Nach Münzenberg sei eine „kampflose individuelle Niederlage wesentlich schlimmer als eine Niederlage im kollektiven Kampf“. Diese Kritik von Willi teilte ich vollständig. Kurz vor meiner Abreise versuchte ich noch meine Nerven zu beruhigen und meinem Trieb etwas Abhilfe zu verschaffen. Es gab elegante Puffs in Paris. Willi Münzenberg hatte mir dazu geraten, er meinte, “da muss ja was raus bei dir, lass dich besser in Moskau mit keinem Weibsbild ein, denn du weiß ja nicht, wer sie ist. Entweder sie ist eine Agentin oder eine Straßendirne und hinterher werden dir die Moralapostel das als bürgerlichen Fehltritt ankreiden.“ Am 14. März schiffte ich mich ein in Richtung Leningrad ein. Am 20. März erreichte ich Moskau, wo wurde ich von Gustav Schwab und von zwei Russen in Empfang genommen wurde. Man wies mir ein Zimmer im Hotel Lux zu. Alle hatten einen Passierschein, den sie dem Pförtner vorlegen mussten. Die Atmosphäre im Hotel in dem fast sämtliche Größen des internationalen Kommunismus einquartiert waren, war bedrückend. Der ehemalige deutsche „Versöhnler“ Heinrich Süßkind warnte mich vor Denunzianten, „denn seit dem Mord an Kirow im Dezember 1934 wird alles notiert. Stalin will endgültig mit jeder Art von freier Debatte Schluss machen.“
Der erste Termin bei Georgi Dimitrow
Täglich schlenderte ich durch Moskau und verbrachte meine Tage damit das Leben der einfachen Menschen zu beobachten. Leider musste ich immer wieder feststellen, dass ein ausgebeuteter Arbeiter im kapitalistischen Frankreich wesentlich besser lebte als die Masse der Menschen in der russischen Hauptstadt. Daneben fertigte ich Bericht um Bericht vor allen Dingen für Wilhelm Pieck an. Mir wurde offiziell mitgeteilt, Pieck sollte den Rechenschaftsbericht für das „Exekutiv Komitee der kommunistischen Internationale“ ( EKKI) auf dem geplanten siebten Weltkongress im Sommer 1935 halten. Eingehend befragte mich Pieck nach den Differenzen innerhalb der deutschen Monopolbourgeoisie. Es wurde immer deutlicher, dass die Kommunistische Internationale nicht daran dachte Selbstkritik zu betreiben, vielmehr würde ohne große Umschweife eine neue Strategie beschlossen Das Gespräch mit Dimitrow fand Ende April in seinem Amtsräumen in Moskau statt. Der sympathische Bulgare, der Held von Leipzig, befragte mich immer wieder nach Hinweisen für unterschiedliche Tendenzen innerhalb der deutschen Bourgeoisie. Damit konnte ich dienen und erzählte ihm, was e er eigentlich schon wissen müsste. Die deutsche Monopolbourgeoisie trat nach meinen Worten „nicht für aus Liebe Hitler ein“, sondern weil Hitler versprach, die Verwertungskrise des deutschen Kapitals elementar zu beseitigen. Damit ihre Profite wieder anstiegen, war die Bourgeoisie bereit sich politisch kaltstellen zu lassen, Hitler zerschlug jede Form organisierter Arbeiterbewegung, Hitler führte ein Programm der Hochrüstung durch, was letztendlich zum Kampf um die Neuaufteilung der Welt fühlen müsse. Immer wieder betonte ich die besondere Aggressivität des deutschen Imperialismus. Im letzen Punkt stimmte mir Dimitrow zu. Aber fast kindisch fragte er nach fortschrittlichen Fraktionen innerhalb der deutschen Bourgeoisie. Meine Antworten dazu befriedigten ihn nicht. Am Beispiel des IG-Farben Konzerns machte ich klar, wie sich die deutsche Bourgeoisie faktisch einmütig auf Hitler verständigte. Bis zum Jahr 1931 wurde der IG Farben Konzern, speziell von Goebbels als „AG- Isidor“ attackiert. Ab Frühjahr 1931 wurde diese Propaganda eingestellt. Auch die modernen Teile der Industrie, speziell Chemie- und Elektrokapital, waren nun bereit Hitler zu unterstützen. Denn bis zum Jahr 1931 waren diese Industriesparten von der Weltwirtschaftskrise bei weitem nicht so betroffen, wie die alten Industrien, aus Kohle und Stahl. Nachdem die Krise auch die „modernen Teile“ der Industrie betraf, einigte man sich kollektiv auf den „Risikofaktor“ Hitler. Immer wieder fragte mich Dimitrow „nach den direkten Formen der Herrschaftsausübung durch die reaktionären Fraktionen des Monopolkapitals“. Die Fragestellung irritierte mich und ich erklärte Dimitrow, dass die Bourgeoisie Hitler die Waffen für den Krieg produziert und dankbar ist, dass er die Arbeiterbewegung unterdrückt. Über direkte Formen der Herrschaftsausübung durch das Monopolkapital konnte ich ihm fast nichts sagen. Der Bulgare entließ mich ziemlich unzufrieden. Er wollte noch wissen, wie die Reichswehr auf die Ermordung des Generals Kurt von Schleicher reagiert habe. Bekanntlich reagierte die Reichswehr kaum, sie gab sich mit einer Entschuldigung Hitlers zufrieden. Die Mordbuben, die den General samt Gemahlin liquidierten hatten, wurden selbst liquidiert.
Wiedersehen mit Heinz Neumann
Mitte 1934 wurde Neumann in der Schweiz von der Fremdenpolizei verhaftet. Die deutschen Faschisten verlangten seine Auslieferung. Dies konnte jedoch verhindert werden. Allerdings gab es keine umfassende Kampagne für die Freiheit von Heinz Neumann außer dass Willi Münzenberg sich in Paris mit seinen publizistischen Möglichkeiten für ihn einsetzte. Im Januar 1934 übte Neumann “Selbstkritik“ gegenüber der „Kommunistischen Internationale“ und beschuldigte sich Neumann und Remmele faktisch “ einen gewissen Anteil am Sieg des Faschismus gehabt zu haben“. Neumann galt der Komintern nach wie vor als unsicherer Kantonist. Dennoch gelang es ihm über Frankreich im Frühjahr 1935 in die Sowjetunion auszureisen. Anfang Juli traf ich meinen Freund im Hotel Lux, wo er zu seinem eigenen Erstaunen zusammen mit seiner Frau Margarete untergebracht war. Heinz Neumann war in Moskau hauptsächlich aufgrund seiner Sprachbegabung mit Übersetzungsarbeiten beschäftigt. In die deutsche Politik durfte er sich nach eigenen Worten “ nicht einmischen“. Dennoch hoffte der Daueroptimist Neumann wieder Verwendung für die Arbeit in Deutschland zu finden. Er erzählte von einem Gespräch mit Manuilski, „der dies nicht ausgeschlossen hätte“. Ziemlich wütend steckte mir Neumann im Vertrauen wie sehr er den Denunzianten Wehner hasste. Herbert Wehner hatte, nachdem Remmele Deutschland verlassen hatte, in dessen Wohnung durch Genossen einem privaten Brief von Neumann an Remmele in die Finger bekommen. In diesem Brief forderte Neumann Remmele dazu auf, „ sei nicht Haase, sondern Liebknecht“. Der Brief diente seither als Beweis für die fraktionelle Tätigkeit der so genannten „Neumann Gruppe“. In den Dokumenten der Komintern wurde im Wesentlichen nur dieser eine Satz zitiert, aber seine Bedeutung völlig unterschlagen. Neumann forderte Remmele dazu auf, sich für den bewaffneten Widerstand gegen die Hitler-Faschisten einzusetzen. Letzteres spielte in der Kampagne gegen die „Neumann Gruppe“ keine Rolle. Aber durch die erzwungene Selbstkritik hatte sich Heinz Neumann selbst disqualifiziert. Ich gab ihm dies unverblümt zu verstehen, woraufhin er meinte, „ohne diese Art von Selbstkritik habe ich keinerlei Chance mehr in der Kommunistischen Internationale oder in der deutschen Partei eine Rolle zu spielen.“ Neumann interessierte sich für meine Gespräche mit Dimitrow. Wir waren uns einig, dass die Komintern ihre Linie elementar ändern würde. Uns war bewusst, wie sehr Stalin auf den treuen Bulgaren setzte und dass die Moskauer Führung ein Bündnis mit den Westmächten anstrebte, um Hitler in Schach zu halten und gleichzeitig den „Sieg des Sozialismus in einem Land zu vollenden“. Offen sprach ich davon wie sehr die Parteien der kommunistischen Internationale zu Sektionen des sowjetischen Außenministeriums degenerierten. Neumann mahnte mich vorsichtig zu sein, denn hier werde alles notiert und in den berühmten Kaderakten festgehalten. Bezüglich des künftigen Weltkongresses kamen wir zu der Einschätzung, dass nicht mehr der Kampf um den Sozialismus im Vordergrund stehen würde, sondern ein Bündnis mit den angeblich fortschrittlichen Teilen der Bourgeoisie. Immer häufiger und deutlicher tauchte der Begriff „Volksfront“ auf. Die alte Parole „Klasse gegen Klasse“ wurde fallen gelassen. Der Genosse Neumann meinte das in diesem Zusammenhang die „sächsische Fistelstimme“ Ulbricht arbeite daran die, Zusammensetzung des Politbüros der deutschen KPD entscheidend zu verändern. Schubert und Schulte führten zwar einen entschiedenen Kampf gegen Ulbricht und Wehner, aber dennoch sei damit zu rechnen, dass die Komintern einschreiten würde, um im Sinne Ulbrichts die deutsche Partei zu verändern. Das alte Schlachtross Pieck war nach Worten von Heinz nur dazu da, “die beiden Sachsen Wehner und Ulbricht zu decken“. Dennoch blieb Heinz Optimist. Woher er diesen Optimismus nahm war mir schleierhaft. Scheinbar nebenbei erzählte er mir Skurriles aus der Komintern. Heinz Neumann musste sich vor der Kontrollkommission der kommunistischen Internationale wegen seinem Beileidsbesuch bei der Frau des verstorbenen Besso Lominadse verantworten. Lominadse war ein guter alter und Freund von Heinz Neumann. Gemeinsam hatten arbeiteten sie in den zwanziger Jahren zusammengearbeitet und 1927 im Auftrag der Komintern den verheerenden und verlustreichen Aufstand in Kanton durchgeführt. Heinz vertraute mir an, dass Stalin „ Besso“ fallen gelassen habe wegen dessen Kritik an der Art und Weise der Kollektivierung. Anfang 1935 beging Lominadse Selbstmord. Nach seiner Ankunft in der Sowjetunion besuchte Heinz Neumann die Witwe seines alten Freundes. Dieser Besuch entging den Sowjetbehörden nicht. Er musste sich wegen des Besuchs besonders vor dem angeblichen Witzbold der Komintern, Manuilski, verantworten. Auf die Frage, warum er denn zur Witwe von Lominadse ging, antwortete Neumann wahrheitsgemäß: „Um ihr mein Beileid auszudrücken.“ Daraufhin fragte Manuilski: “Aber warum waren Sie denn gleich zweimal da?“. Wahrheitsgemäß berichtet Neumann, „weil ich meinen Regenschirm vergessen hatte“. Daraufhin brach das gesamte Gremium in schallendes Gelächter aus. Beim Abschied sagte mir Margarete, „pass auf dich auf und überlegte besonders, wem du was und wie sagst“. Den Ratschlag nahm ich mir zu Herzen. Seit dem Mord an Kirow herrschte eine gespannte Stimmung. Es sah so aus, als ob größere Sache bevorstehen würde. Es wurde wieder allumfassend Jagd auf Trotzkisten gemacht.
Berichte für Pieck und Dimitrow
Ab Anfang Juni musste ich Berichte für Pieck und Dimitrow für den 7. Weltkongress der „Kommunistischen Internationale“, welcher am 25. Juli 1935 in Moskau begann, anfertigen. Meine Aufgabe bestand darin, eine Art biographische Skizze der Nazifunktionäre abzuliefern und die Haltung der deutschen Bourgeoisie einzuschätzen. Meine langjährige Tätigkeit für General von Schleicher, empfahl mich offensichtlich für diese Arbeit. Im Haus der Komintern saß ich tage- und nächtelang mit Fritz David zusammen. David schrieb den Rechenschaftsbericht des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, welchen Pieck nur noch vorlesen musste. Es war seit Jahren üblich, dass Sekretäre und Adjutanten die Reden der Parteiführer schrieben. Seit langem war ich gegen diese Art von geistiger „ Leistungsproduktion.
Lieber Vater, ich habe hier etliche Passagen meiner damaligen Berichte für Dich abgeschrieben: „Hermann Göring ist nach Hitler der einflussreichste Naziführer. Göring verfügt über hervorragende Beziehungen zur Industrie. Er ist ein rücksichtsloser Gangster, der sich als Reinkarnation eines Renaissancemenschen gibt. Er ist ein Verbrecher, der danach strebt nicht nur Ämter anzuhäufen sondern auch Vermögen. Göring ist ordensbehangen, aber durchaus populär. Bezüglich der Wirtschaft scheint Göring am direktesten an der Aufrüstung zu arbeiten.“ Als Beispiel nannte ich den Aufbau der Luftwaffe unter seiner Leitung. Außerdem untersuchten Spezialisten im Auftrag Görings die seit 1919 bekannten Eisenerzvorkommen im Raum Salzgitter. Ein Professor Max Paschke versuchte zusammen mit seinem Assistenten Peetz ein Verfahren zu entwickeln, das es ermöglichen sollte, die kieselsäurehaltigen Eisenerze r großtechnisch zu verwerten. In meinem Bericht stand zu lesen: „Göring zielt in Sachen Kriegsvorbereitung auf eine gewisse Autonomie Deutschlands.“ Gleichzeitig verwies ich auf die Anstrengungen der IG-Farben in Deutschland synthetisches Benzin zu produzieren. Am Schluss des Kapitels über Göring meinte ich: „Es wird bald eine neue Regierungsinstanz unter Görings Leitung geben, welche die nichtrentable Kriegsvorbereitung in staatlichen Betrieben unter Görings Leitung in enger Zusammenarbeit mit privatem Kapital koordiniert. Ich hielt Göring nach Hitler für den gefährlichsten Nazi. Rudolf Hess hingegen spielte wie schon in Landsberg 1924 den getreuen Sekretär Hitlers. Über Goebbels schrieb ich: „Der Nazipropagandaminister ist ein rhetorisch brillanter Teufel. Seine Propaganda ist allumfassend. Er kontrolliert nicht nur die Presse und den Film, sondern er versucht für seine Propaganda zunehmend das Radio unter dem Namen des Volksempfängers zu nutzen.“ Besonders wichtig erschien meinen Auftraggebern die Rolle von Außenminister Konstantin von Neurath. Neurath war schon unter von Papen und General von Schleicher Außenminister und immer noch im Amt. Pieck meinte: „ Du weißt doch viel über ihn“. Ja, ich wusste einiges, sah aber Neurath auf dem absteigenden Ast. Ich hielt ihn war für einen prinzipienlosen adeligen Karrieristen aus Baden- Württemberg. Um meine These zu untermauern, schrieb ich: „Neurath informierte die Nazi-Parteiführung seinerzeit unter General von Schleicher über die konkreten Verhandlungen nicht nur mit Gregor Strasser. Konstantin von Neurath ließ Hermann Göring eine Information zukommen, wonach der ehemalige Chef der Abwehr der Reichswehr Ferdinand von Bredow genau über Görings geheime Verhandlungen mit von Schleicher informiert war. In einem Gespräch zeigte sich Göring damals durchaus nicht abgeneigt als Luftfahrtminister in das Kabinett Schleicher einzutreten. Aus diesem Grund ließ Hermann Göring, Ferdinand von Bredow am 1. Juli 1934 ermorden. Neurath stand und steht für den Klassendünkel des deutschen Adels - ohne jegliche charakterliche Festigkeit. Für Hitler ist er momentan noch wichtig als Aushängeschild für das Ausland. Aber Außenpolitik wird nicht nur von Neurath, sondern auch vom „Amt Ribbentrop“, der NSDAP-Auslandsorganisation und vom Amt „Rosenberg“ betrieben. Ich schilderte die Außenpolitik der Nazis als einen Akt verschiedener Instanzen mit sich überlappenden Kompetenzen der einzelnen Behörden. Am Ende ist dann Hitler der Schiedsrichter und entscheidet. In meinem Bericht konnte ich nichts darüber mitteilen, inwiefern die Vertreter der Großindustrie in die konkrete Gestaltung der deutschen Politik involviert waren. Selbstverständlich unterstützten sie als ökonomisch herrschende Klasse das Regime. Sie waren erfreut, dass ihre Profitraten deutlich stiegen und sie waren entzückt von dem Gedanken, dass Hitler den Kampf um die Neuaufteilung der Welt zu führen gedachte. Pieck und Dimitrow fragten immer wieder nach einer Art von geheimem Ausschuss des Deutschen Monopolkapitals, doch war mir dies nicht bekannt. Die Vorstellung eines solchen Gremiums, das alle Handlungen Hitlers lenkte, hielt ich für naiv und lebensfremd. Immer mehr verfestigte sich meine Überzeugung, wonach der Faschismus nichts anderes sei als ein konterrevolutionäres Produkt der bürgerlichen Gesellschaft mit einer kleinbürgerlichen Massenbasis, auf die sich die Bourgeoisie dann in einer Wirtschaftskrise stützen kann, um ihre Verwertungsschwierigkeiten zu beheben. Dafür verzichtete sie notgedrungen auf die unmittelbare Herrschaftsausübung und übergab sie dem von Hindenburg so genannten „ böhmischen Gefreiten“. Mein Bericht missfiel Wilhelm Pieck. Er beschuldigte mich, „Thesen der Clique um Remmele und Neumann einschleusen zu wollen“. Fritz David erlebte den Anpfiff mit und erklärte dazu: “Du hast recht, aber schreib doch, was die Herren von dir verlangen. sonst bekommst du mit Sicherheit Schwierigkeiten“.
Am siebten Weltkongress der kommunistischen Internationale durfte ich nicht als Beobachter teilnehmen. Am 25. Juli, dem Auftakt des Weltkongresses, schickte mich die Komintern auf eine Datscha bei Moskau. Ich sollte für weitere Berichte zur Verfügung stehen und richtig Russisch lernen. Als Begleitung wurde mir Tanja mitgegeben. Sie sprach Deutsch und sollte für mich schreiben und mir gleichzeitig Russisch beibringen hatte. Der Kongress dauerte fast einen ganzen Monat. Das politische Hauptreferat hielt wie bereits oben beschrieben Georgi Dimitrow. Die Kommunistische Internationale brachte das Kunststück fertig, fast ohne jegliche Selbstkritik die politische Linie des sechsten Weltkongresses von 1928 auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen und dabei gleich das Kinde mit dem Bade auszuschütten. Vor allem Dimitrow propagierte die so genannte „ Volksfront“. Tanja übersetzte mir die Prawda, in der die komplette Rede Dimitrows abgedruckt war. Der Bulgare definierte Faschismus als „offen terroristische Diktatur der reaktionärsten, imperialistischsten und chauvinistischsten Elemente des Finanzkapitals“. Dagegen sollte eine Volksfront mit allen anderen Schichten aufgebaut werden. Also auch mit denjenigen Teilen der Bourgeoisie, welche sich mit der abstrakten Katalogisierung Dimitrows verbinden ließen. Die Parole „Klasse gegen Klasse“ war demzufolge Geschichte, die Kommunistische Internationale setzte auf ein Bündnis nicht nur mit dem Kleinbürgertum, sondern auch mit angeblich fortschrittlichen Teilen der Bourgeoisie. Tanja gegenüber bemerkte ich: „Das ist keine Dialektik, das ist Metaphysik und hat mit revolutionärer Politik nichts mehr gemein“. Meine Gesprächspartnerin in der einsam gelegenen Datscha lachte und sagte: “Ich wusste doch, dass ich mit einem kleinen Trotzkisten hier her befördert wurde“. Ich fragte sie direkt, ob sie im Auftrag des NKWD arbeitete. Sie schwieg einige Minuten und antwortete dann ehrlich und offen: „Ja, aber du bist mir sympathisch und ich werde dich nicht verpfeifen“. Die Frau hatte zu meinem Glück offensichtlich einen Narren an mir gefressen und das obwohl wir keinerlei engeren persönlichen Kontakt miteinander hatten. Einige Wochen nach dem Ende siebten Weltkongresses erhielt ich eine Aufforderung des Politbüros der KPD, mich nach Moskau zu begeben, um an der Vorbereitung des kommenden Parteitages mitzuarbeiten. Die Aufforderung war von Hermann Schubert unterschrieben, sowie von einem sowjetischen Organ abgezeichnet worden. Von diesem Parteitag erwartete ich nichts Gutes.
Der Brüsseler Parteitag der KPD
Nach meinem „Kuraufenthalt“ in der Nähe von Moskau empfingen mich Hermann Schubert und Fritz Schulte am Zentralbahnhof in Moskau. Umgehend begaben wir uns in die Wohnung von Hermann Schubert im Hotel Lux. Die beiden Genossen informierten mich darüber, dass am 3. Oktober eine zentrale Konferenz der KPD in Kunzewo bei Moskau stattfinden soll. Aus Gründen der Tarnung wurde die Konferenz als „Brüsseler Tagung“ angekündigt. Die beiden Mitglieder der zentralen Leitung hatten schwere Bedenken und Sorgen bezüglich des Treffens, welches faktisch ein Parteitag werden sollte. Hermann Schubert sagte: “Die wollen alle alten Kader abservieren, sowie die Politik unserer Partei grundsätzlich ändern. “Gegen eine Änderung der Linie hatte ich persönlich nichts einzuwenden. Ich teilte die Befürchtung, dass die Kommunistische Internationale eine Orientierung nach rechts hin befürwortete. Die beiden Genossen hingegen hatten kein alternatives Konzept, sondern sie beharrten stur auf der „Richtigkeit der bisherigen Linie“. Fritz Schulte war jedoch optimistisch bezüglich des Ausganges des Parteitages. Er meinte, einige Delegierte vom dem Land kämen würden auch unsere Linie vertreten. Zudem rechneten sie mit der Unterstützung von Franz Dahlem und Wilhelm Florin. Die Definition der Sozialdemokratie als Sozialfaschismus wollten sie nicht mehr aufrechterhalten. Ich stimmte dem zu, allerdings ohne mich allzu sehr zu offenbaren. Richtig spürbar war die Wut der beiden Genossen gegen Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und besonders gegen den „Provokateur“ Wehner. Sie informierten mich auch über den Versuch dieser „Clique“, den Nachrichtenapparat der KPD zu zerschlagen und Hans Kippenberger sowie Viktor eine „große Schuld an der Verhaftung Thälmanns zuzuweisen“. Der letzte Punkt erregte mich sehr. Ich wusste, wie viele illegale Quartiere vom Abwehrapparat für Thälmann organisiert worden waren. Mehrmals intervenierten in der jüngsten Vergangenheit Ulbricht, sowie Leute aus der Komintern-Spitze, die „Befreiungsaktion für Thälmann bleiben zu lassen“. Solche Aktionen waren stets akribisch vorbereitet. Dennoch wurden sie aus unverständlichen Gründen abgesagt. Als ich ihm das erzählte, war Hermann Schubert sehr empört und meinte: „Das ist ein neuerlicher Beleg dafür, wie sehr bestimmte Leute die Vergangenheit entsorgen wollen“. Schubert und Schulte wollten, dass ich die geplanten Referate bzw. für ihre Verteidigungsrede auf der Konferenz ausarbeite. Ich sagte zu, warnte allerdings: „Es ist durchaus möglich, dass einiges von dem, was ich schreibe euch nicht gefällt“. Die Genossen zeigten Verständnis. Im weiteren Gespräch, war ihnen besonders wichtig zu beweisen, dass es unmöglich sei, in der Deutschen Arbeitsfront innerhalb der Betriebe eigene getarnte Fraktionen zu entwickeln. Dieser Argumentation konnte ich folgen. Die die faschistische “Deutsche Arbeitsfront“, DAF, war streng von der Gestapo kontrolliert. Die Taktik Ulbrichts, sich als „Beefsteak Nazi“ auszugeben - außen braun und innen rot- war illusionär und konnte uns nur diskreditieren. Ulbrichts Oppositionstaktik musste scheitern. Grundsätzlicher waren jedoch die vorgeschlagenen Resolutionsentwürfe. Im Rahmen der Volksfronttaktik wurde nur noch am Rande vom Sozialismus gesprochen, ansonsten strotzen die Dokumente von Aussagen wie “Frieden, antifaschistische Demokratie, Bündnisse mit fortschrittlichen Teilen des Bürgertums“ usw.. Auch nach meinem Dafürhalten würde damit die Zielsetzung der 1919 gegründeten kommunistischen Internationale aufgegeben. Nichtsdestotrotz teilte ich den Optimismus der Schubert- Schulte Fraktion nicht, dass in Deutschland relativ schnell eine Revolution herbeigeführt werden könne. Ich wies daraufhin, dass viele unserer Genossen im Konzentrationslager säßen und Teile der Arbeiterklasse dankbar waren, jetzt zumindest wieder über eine Beschäftigung zu verfügen, nachdem sie in der Weimarer Republik jahrelang arbeitslos gewesen sind. Schulte machte mir einige Zugeständnisse und verwies auf die nach wie vor vorhandene „Festigkeit des Kernbestandes der Arbeiterklasse“. Dabei widersprach ich ihm nicht, betonte allerdings, dass dieser Kernbestand nur noch in den Großbetrieben vorhanden sei und eine Mischung aus linken Sozialdemokraten, einigen unserer Genossen sowie aus den vielen ausgeschlossenen Oppositionellen aus der KPD Geschichte sei. Die beiden entließen mich mit der Aufforderung, ihnen im Kampf gegen Ulbricht und seiner Marionette Wilhelm Pieck beizustehen. Ich sagte zu, denn Ulbricht und Pieck waren nichts weiter als gehorsame Befehlsempfänger, während Schulte und Schubert trotz aller widrigen Umstände noch auf ihrer eigenen Meinung bestanden. Dann machte ich mich auf den Weg zu Heinz Neumann, der ja auch im Hotel Lux wohnte. Heinz empfing mich wie immer sehr freundlich. Schnell waren wir beim bevorstehenden Parteikongress. Heinz wollte unbedingt wieder an der deutschen Parteiarbeit teilnehmen. Er machte sich auch gewisse Hoffnungen. Manuilski hatte nach Neumann dafür „ein offenes Ohr“. Mir erschien das etwas zu optimistisch. Es war deutlich zu spüren, wie sehr Neumann unter seiner Isolierung in Moskau litt. Die Übersetzungsarbeiten alleine befriedigten ihn nicht. Außerdem wollte er der Praxis der ständigen „Selbstanklagen“ in Moskau entkommen. Zu den Fraktionskämpfen vor dem Parteitag meinte er: „Das Hauptproblem ist Ulbricht. Der Typ will die Alleinherrschaft in der Partei. Immer riecht und schnüffelt er in der Komintern herum, um vorher zu wissen was angesagt ist, damit er seine Anklagen vorbereiten kann. Schubert und Schulte haben dagegen keine Chance.“ Es wurden immer deutlichere Anklagen gegen Kippenberger und Viktor fabriziert. Angeblich ist der M-Apparat Schuld an den großen menschlichen Verlusten der Partei in Deutschland. Dabei waren es doch Ulbricht und Konsorten, die im Januar einen Massenkampf vermieden hatten. Das war angeblich kein Desaster. Ulbricht selbst ordnete im Frühjahr 33 immer wieder Spontandemonstrationen an. Dabei liefen unsere Genossen offen der Gestapo ins Messer. Kein Mensch thematisiert das. Die Schuld wurde auf Kippenberger, Schubert und Schulte abgewälzt. Ich fragte Heinz noch, wie sein Brief an Remmele im Januar 33 zu verstehen sei, von dem in den internen Materialien nur ein bis zwei Zeilen zitiert wurden. Neumann antwortete konkret, dass die Masse der Betriebsräte in Deutschland im Januar 33 kampfbereit war. Die Basis der Gewerkschaften war links, ihre Führung rechts. Das Problem war, dass die Vertrauensleute und Betriebsräte in den einzelnen Betrieben nicht überregional vernetzt waren. Die Organisation im Reich wurde von gewerkschaftlichen Bürokraten und Angsthasen dominiert. Die KPD war eine Partei der Arbeitslosen. Aber durch bewaffneten militanten Widerstand hätte die Chance bestanden die gewerkschaftliche Basis mitzureißen und den „Reichsbanner“, der ebenfalls kampfbereit war. Ich war wieder Neumannianer geworden. Skeptisch beurteilte ich allerdings seine Aussichten in der „Kommunistischen Internationale“.
Begegnungen in Moskau
Eines Tages kurz vor dem später sogenannten „ Brüsseler Parteitag“ entdeckte ich in einer U- Bahn Station einen Herrn, der mir irgendwie bekannt vorkam. Ich fragte ihn ob er deutsch spreche. Daraufhin sagte er mit leichtem Grinsen: „ Aber sicher Genosse Quengel“. Es war Otto Pflug aus Berlin. Er war einst ein Aktivist in unserer Parteigruppe in Berlin Wedding. Mir fiel auf wie schlecht Otto aussah, er war ausgemergelt und hatte graues Haar bekommen. In Berlin war Otto Pflug über Jahre arbeitslos. Er hatte auch keine Chance auf eine Stelle, als Kommunist stand er auf der „ schwarzen Liste“ der Unternehmer. Im September 1932 fuhr der gelernte Maschinenschlosser dann nach Moskau. Dort hatte er eine Stelle als „Spezialist“ in einer Metallfabrik angenommen. Ich lud Otto in ein Restaurant ein. Er fragte mich direkt, ob ich noch sein Freund sei und ob er offen mit mir sprechen könne. Selbstverständlich sagte ich zu ihm. Zuerst wollte Otto allerdings sich richtig satt essen. Nachdem er eine Stunde genüsslich gespeist hatte, lächelte er entspannt. Dennoch machte dieser einst fröhliche und lustige Berliner Arbeiter einen recht depressiven Eindruck auf mich. Als ich ihn bat zu erzählen, wie es ihm ginge, verschob er den Mundwinkel und fragte nochmals, „du bist doch hoffentlich noch der alte Quengel und kein Denunziant der nach Privilegien strebt“. Wieder musste ich den Genossen beruhigen und stellte klar, dass ich ein Revolutionär geblieben sei. Kurz darauf begann Otto Pflug zu erzählen. Er schilderte den höllischen Arbeitsalltag speziell in den Jahren 1932 und 1933. Offen sagte Otto: „In Berlin hatte ich als Arbeitsloser mehr zu fressen als in dieser Zeit im Arbeiter- und Bauernstaat.“ Er berichtete von neu eingeführten Akkordsystemen und 31 verschiedenen Lohngruppen in den Betrieben. Für die Masse der Arbeiter und Arbeiterinnen bedeutete die Wiedereinführung des Rubels nur einen bedingten Fortschritt. Immer noch leiden sehr viele Arbeiter unter Kalorienmangel. Der „Aufbau des Sozialismus in einem Land“ erfolgt wesentlich durch die Entwicklung der Schwerindustrie und mit dem Versuch ein höllisches Arbeitstempo durchzuziehen. Dabei gibt es vor allem mit den jungen Arbeitern, die völlig unerfahren vom Land in die Fabriken verfrachtet wurden immer wieder Probleme. Das neue sowjetische Arbeitsgesetzbuch spottet jeglicher Beschreibung. Ein Tag unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz bedeutet die Deportation in ein Arbeitslager. Wer krank ist, bekommt von den ängstlichen Ärzten meist keine Krankschreibung. Zur gleichen Zeit ist die Produktivität weit hinter den Produktivitätszahlen in Europa, von den USA gar nicht zu reden. Otto spottete über den angeblich bereits erreichten Sieg des Sozialismus und meinte, dafür hätten wir als Arbeiter nicht gekämpft. Bestürzt fragte ich den intelligenten Arbeiter aus Berlin, „ob er glaube, dass die Sowjetunion ein kapitalistisches Land sei“. Otto verneinte und versuchte mir darzulegen, dass es sich bei der Sowjetgesellschaft um eine Mangelgesellschaft handle. „Die Krise hier“, sagte Otto, „ist eine Krise des Mangels sowie der Rückständigkeit“. Er betonte, wie sehr sich die Krise in der Sowjetunion von den Krisen im kapitalistischen Westen unterschiedet. Dort entstehen Krisen, nicht weil es zu wenig Güter, sondern weil es angeblich zu viel davon gibt. Das entscheidende Problem war nach Otto, die Existenz einer abgehobenen bürokratischen Kaste, welche die Arbeiter entmündigte und übervorteilte. Mir fiel in diesem Tischgespräch ein, dass in sowjetischen Statistiken der Bevölkerungsanteil der Intelligenz mit 14,1 % angegeben wird. Nach der Meinung Ottos ist das die Bürokratie, die die sowjetischen Arbeiter herumkommandiert und gleichzeitig nach Automobilen und einem Harem strebt. Das Gespräch mit Otto erinnerte mich an das mit Leo Sedow einst in Berlin. Vielleicht hatte Trotzki doch recht. Der einfache, gescheite Arbeiter Otto Pflug wiederholte aufgrund seiner elementaren Lebenserfahrung die Argumente Trotzkis ohne dessen Texte zu kennen. Am Schluss versuchte ich Otto noch einige Rubel zuzustecken. Zuerst wollte er nicht, aber dann nahm er doch das Geld, weil er eine Frau und ein kleines Kind hatte. Wir verabschiedeten uns, er gab mir seine Adresse und wir versprachen in Kontakt zu bleiben. In der Nacht nach dem Gespräch konnte ich nur sehr schwer einschlafen. Es gab meiner Meinung nach eine massive Ablehnung Stalins durch die einfachen Arbeiter. Diese Ablehnung musste sich bei bestimmten Personen und Gruppen innerhalb der kommunistischen Partei Russlands widerspiegeln. Immer deutlicher erschlossen sich mir die Säuberungen sowie die permanenten Repressionswellen innerhalb der kommunistischen Internationale. Die letzte oppositionelle Gruppe war die um den ehemaligen Parteisekretär von Moskau unter dem Namen „Erklärungen der Marxisten-Leninisten zur Lage in der Sowjetunion“. Dieses Dokument hat weite Verbreitung im Apparat und bei den alten Bolschewiki innerhalb der KP gefunden. Der Hauptverfasser war mittlerweile inhaftiert, auch Sinowjew war wieder einmal im Gefängnis. Das einzige, was mich an noch an der Sowjetunion hielt, war meine Gegnerschaft zum deutschen Nationalsozialismus.
Beginn der Brüsseler Konferenz
Am 3. Oktober begann in Kunzewo die Brüsseler Konferenz der KPD. Ich wurde als Gast gegen den Widerspruch Wehners zugelassen. Allerdings wurde mir das Rederecht verweigert. Die Hauptreferate hielt Pieck und Wilhelm Florin. Mich wunderte das Referat Florins, denn er war ja bis vor kurzem in der Politbüromehrheit gegen Ulbricht und Pieck. Das Referat Piecks war eine bloße Wiederholung der Kernaussagen des siebten Weltkongresses der kommunistischen Internationale. Der Referent beklagte das Sektierertum in den eigenen Reihen und forderte eine entschiedene Kurskorrektur. In den Debatten konzentrierte sich das Feuer auf Hermann Schubert und Fritz Schulte, sowie auf das ZK-Mitglied Hans Kippenberger. Besonders bösartig waren dabei die Beiträge von Wehner und Ulbricht. Ein Delegierter kritisierte besonders die Arbeit von Otto Wahls als Vertrauensmann Schuberts in Berlin. Schubert und Schulte verteidigten sich nicht ungeschickt. Immer wieder verwiesen sie auf Reden und Artikel von Pieck und Ulbricht bis Februar 1934. Sie stellten in Abrede, dass es in Deutschland um etwas anderes ginge als um die sozialistische Revolution. Sie lehnten nicht nur die Orientierung auf das so genannte demokratische Bürgertum ab, sondern faktisch auch die Volksfront-Konzeption. In der Tat hatte ich dazu Schubert und Schulte Material zusammengestellt aus dem hervorging, dass es zwar einzelne katholische und evangelische Pastoren gebe, mit denen man zusammenarbeiten könne, aber das Bürgertum als solches, die Zentrumspartei, als organisiertes Oppositionszentrum sei verschwunden. Meine Materialien über den ehemaligen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer unterlegten dies. Adenauer ist jetzt Kleingärtner in seinem Haus bei Bonn. Von einer organisiert tätigen katholischen Opposition könne nicht mehr gesprochen werden. In protestantischen Gebieten des Reiches hatten jedoch schon lange vor 1933 die Nazis sehr starke Ergebnisse bei den Wahlen eingefahren. In einem Redebeitrag sagte Hermann Schubert: “Ihr bezieht euch die ganze Zeit auf das Abkommen zwischen der Bezirksleitung der SPD in Berlin und unserer Bezirksleitung. Dabei wisst ihr ganz genau, dass das eine Mogelpackung ist. Durch die Verhaftungswelle bei den Sozialdemokraten rückte unser Mitarbeiter Paul Laufer in den Vorstand der Berliner SPD auf. Dann wurde ein Abkommen geschlossen, das faktisch ein Abkommen zwischen KPD und KPD ist.“ Die Ausführungen Schuberts wurden immer wieder durch Zwischenrufe unterbrochen. Auch der Vertreter der kommunistischen Internationale äußerte sich abfällig über Hermann Schubert und Fritz Schulte. Er vergaß dabei völlig die Rolle des EKKI. Die auch meiner Meinung nach zu recht kritisierte ultralinke Politik der KPD wurde 1928 beschlossen und von der Kommunistischen Internationale gegen die verschiedensten Widerstände in den nationalen Parteien durchgepeitscht. Schubert und Schulte waren jetzt die Sündenböcke der Komintern für ihre eigenen Fehler. Einige Teilnehmer konnten es nicht unterlassen, ständig vom Versagen des Apparates von Hans Kippenberger zu fabulieren. Beklagt wurde die mangelnde Verbindung in die Reichswehr, in die NSDAP, in die SS und in die Gestapo hinein. Bei fast allen Kritikern hatte ich den Eindruck, dass sie noch nie geheimdienstlich konspirativ gearbeitet hatten. Sie brauchen eine Legende für die ungeheuren Opfer unserer Partei in Deutschland. Alle sollten schuld sein, nur nicht die Führung der Komintern und die angedachte neue Führung der KPD. Bei diesen Anklagereden lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Wenn diese Anklagen so beschlossen wurden, war auch ich fällig. Denn ich hatte ja die Kontakte in die oberste Reichswehrführung, sowie zur SA Führung um Röhm. Aber alle waren tot und ich persönlich war aufgeflogen. In einer Konferenzpause fragte mich Ulbrich direkt „ wie ist es denn möglich, dass wir keinerlei Verbindungen mehr in die Reichswehrführung haben.“ Ich verweigerte ihm gegenüber jegliche Auskunft und ließ ihn mit der Bemerkung stehen, er möge sich doch an Kippenberger wenden. Ulbricht rief mir auf dem Gang bösartig hinterher: „Der ist eh schon erledigt“. Die Konferenz ging weiter. Die Referate von Walter Ulbricht und Anton Ackermann bewegten sich ganz auf der Linie, die Manuilski als Vertreter des EKKI vorgab. Ulbricht kam sich originell vor, als er die Taktik von „Beefsteak-Nazi“ begründete. Alle unsere Betriebsgenossen sollten Mitglieder der „Deutschen Arbeitsfront“ DAF werden, außen braun, innen rot. Meiner Meinung nach wurden die Möglichkeiten innerhalb dieser Naziorganisation zu arbeiten völlig überschätzt. Die meisten unserer Genossen waren bekannt. Auch die „Deutsche Arbeitsfront“ wurde intensiv kontrolliert - durch die Kapitalisten, die als Betriebsführer galten und durch die Gestapo. Die Arbeiter in der DAF wurden als Gefolgschaft behandelt und der jeweilige Chef als ihr Führer. Die Einwürfe von Schubert und Schulte gegen dieses Konzept wurde abgeschmettert. Dennoch lagen auch diese beiden nicht richtig, denn sie unterschätzen nach wie vor die elementare Niederlage, welche die deutsche Arbeiterbewegung erlitten hatte. Auf der anderen Seite der Medaille versuchen Wilhelm Pieck, Franz Dahlem, sowie der von Schubert und Schulte abgefallene Wilhelm Florin, eine erfolgreiche neue Taktik zu begründen. Gegen das Konzept der Arbeitereinheitsfront hatten auch Schubert und Schulte keine Einwände. Aber nach wie vor vertraten sie die Taktik der Einheitsfront von unten und nicht von oben her. Diese Taktik war vor 1933 katastrophal. Nicht ganz zu Unrecht wies Hermann Schubert daraufhin, dass „die sozialdemokratischen Arbeiter sich von ihren bankrotten Führen gelöst hatten und in Richtung „revolutionärem Sozialismus“ marschierten. In der Tat, nach den Februarkämpfen 1934 in Österreich hatten die sozialdemokratischen Spitzenfunktionäre keinen Einfluss mehr auf wesentliche Teile der österreichischen Arbeiterschaft. Die Masse der „Schutzbund“ Leute rechneten nicht mehr mit Otto Bauer, sondern formierten sich als Revolutionäre Sozialisten im Untergrund. Alle Einwände von Schubert und Schulte wurden abgelehnt und der Vertreter aus dem Land, welches die Argumentation der beiden teilte als Provokateure dargestellt. Besonders bösartig waren die Interventionen und Zwischenrufe von Herbert Wehner. Gegen Ende der Brüsseler Konferenz am 15. Oktober musste ein neues Zentralkomitee und ein neues Politbüro gewählt werden. Vorher wurde noch der Militärapparat aufgelöst. Hans Kippenberger wurde nicht mehr ins Zentralkomitee gewählt. Den scheinbar neu geschaffenen Nachrichtenapparat leitete ab jetzt Hermann Nuding, der direkt der operativen Leitung der KPD in Prag, also Ulbricht und Dahlem, unterstellt wurde. Schubert und Schulte wurden aus dem Politbüro und dem Zentralkomitee entfernt, ihre Anhänger kaltgestellt. Willi Münzenberg erhielt aufgrund seiner internationalen Rolle erneut ein ZK Mandat, obwohl er auf der Konferenz nicht zugegen war. Einige Tage nach der Konferenz traf ich mich mit Hans Kippenberger in einem Moskauer Restaurant. Kippenberger hatte jede Selbstsicherheit, sowie jegliches Lächeln verloren. Er teilte mir mit, dass er ab jetzt in einer Moskauer Metallfabrik arbeiten müsse. Ziemlich deprimiert gestand er mir, dass ihm die Komintern mitgeteilt hatte, dass für ihn „keinerlei Verwendung mehr bestünde“. Hans hatte keine Angst vor körperlicher Arbeit, aber eigentlich hätte er nach seiner anstrengenden Tätigkeit einen Erholungsurlaub nötig gehabt. Nach ca. zwei Stunden verabschiedeten wir uns. Ich ahnte nicht, dass ich Hans an diesem Tag zum letzten Mal gesehen hatte. Lange drückte er mir die Hand und sagte, ich solle dafür sorgen irgendwie aus dem „Vaterland der Werktätigen“ herauszukommen. Nachdem ich bis Anfang Januar 1936 in Moskau faktisch beschäftigungslos in der mir zur Verfügung gestellten Wohnung herumlungerte, kam die Rettung durch Willi Münzenberg. Münzenberg forderte mich bei der Komintern an, um ihm journalistisch bei der Herausgabe der „Neuen Arbeiter Illustrierten Zeitung“ in Paris zu helfen. Schließlich hatte Oskar Quengel“ ja jahrelang als Journalist für ihn in Berlin gearbeitet. Es dauerte noch einige Wochen bevor mir der alte Bolschewik Pjatnitzki, die nötigen Papiere ausstellte. Pjatnitzki gab mir einen guten neuen Pass auf den Namen Ernst Müller. Geboren war ich angeblich in einem Nest in der Nähe von Straßburg und somit französischer Staatsbürger. Ich freute mich ungeheuer auf den Abreisetermin mit dem Schiff von Leningrad über Oslo nach Calais. Die Wochen vor der Reise verbrachte ich häufig mit Heinz Neumann. Zusammen mit dem ehemaligen Versöhnler Heinrich Süßkind erörterten wir an langen Abenden die Lage. Entschieden und deutlich kritisierte Heinz Neumann die beschlossene „Volksfront Politik“. Immer wieder verwies er darauf, dass in den Beschlüssen der Brüsseler Konferenz der „Sozialismus nur noch als Randphänomen vorkommt“. Das angestrebte Bündnis mit dem Bürgertum war auch meiner Meinung nach völlig daneben. Diese Politik konnte nur zu einem neuen Verrat an den Interessen der Arbeiter führen. Spitz fragte Neumann immer wieder nach, „wo denn die demokratischen Elemente innerhalb des deutschen Großbürgertums zu finden seien“ mit denen Ulbricht ein Bündnis schließen wollte. „Höchstens mit dem Schatten der Bourgeoisie sei dies möglich“ lautete meine Antwort. Aber dieses Schattenbündnis wird dazu führen sozialistische Möglichkeiten, die bestimmte Genossen für Frankreich prognostizieren, zu eliminieren. Seine Frau Margarete verfolgte unsere Debatte teilweise mit Argwohn. Es war ihr anzumerken, wie sehr sie es mir gönnte aus Russland herauszukommen und wie sehr sie zugleich darunter litt, dass Heinz und sie in Moskau bleiben müssten. Heinz erzählte mir noch wie schwer, „die Moskauer Atmosphäre zu ertragen sei“. Er war dabei, spanisch und portugiesisch zu lernen, weil er Andeutungen zufolge eventuell für die Komintern nach Brasilien gehen sollte, um zusammen mit Arthur Ewert, den dortigen Aufstand zu unterstützen. Ironisch bemerkte dazu Margarete, “das wäre gar nicht einmal so schlecht, denn auch die Legenden umwobene Olga Benario ist jetzt mit einem brasilianischen Revolutionsgeneral liiert. Ich muss mir also keine Sorgen um Heinz machen“. Ganz nebenbei erfuhr ich wie die Anforderung von Willi Münzenberg zustande kam. Irgendwie hatte Heinz doch noch Beziehungen.
Bei Willi Münzenberg in Frankreich
Fast zwei Wochen war ich von Moskau aus unterwegs, zuerst mit dem Zug nach Leningrad, dann mit dem Schiff nach Oslo und von dort aus weiter mit einem französischen Dampfer nach Calais. Endlich in Paris angekommen, bezog ich in einer Pension im Zentrum der Stadt ein größeres Zimmer mit Bett, Schrank und einer Waschgelegenheit. Das Zimmer, das zweifellos nicht zur gehobenen Kategorie gehörte, vermittelte mir neuerlich, wie rückständig Russland noch war. Bett und Stühle im kapitalistischen Frankreich waren besser und bequemer als Einrichtungsgegenstände in vergleichbaren Moskauer Zimmern. Nur die Bürokraten in Moskau lebten besser als untere französische Kleinbürger. Die Datscha von Manuilski, auf der ich zu Gast gewesen war, um mich befragen zu lassen war ziemlich luxuriös und hätte bei dem einen oder anderen Kleinbürger im Westen durchaus Neidgefühle erwecken können. Erst in ein paar Tagen sollte ich mich bei Willi Münzenberg in seinen Redaktionsräumen melden. Demzufolge schlenderte ich durch die Stadt und genoss das turbulente Straßenleben in Paris und die hübsch anzusehenden Frauen. Auch die Arbeiterfrauen legten im Paris ziemlichen Wert auf ihr Aussehen. Dies war nicht verwunderlich, Paris hatte ja immer schon den Ruf der Eleganz.
Eines Tages besuchte ich das Café Tournon. Meine Pension nannte sich nebenbei gesagt Hotel Foyot und lag gegenüber dem Touron. Das unscheinbare Café gefiel mir, es war etwas geschnitten und hatte viele Tische. Plötzlich entdeckte ich am Ende des Ganges den deutsch-österreichischen Schriftsteller Joseph Roth. Schon in Berlin hatte ich mit Begeisterung und Hingabe seine Romane gelesen. Joseph Roth war er 1933 vor den Nazis geflüchtet. Zudem war er Jude. Ziemlich forsch trat ich an seinen Tisch und begrüße ihn mit „ Hallo Herr Roth“. Er sah mich aus glasigen Augen an, fragte mich, wer ich denn sei“ und lud mich ein mit ihm etwas zu trinken. Ich stellte mich mit meiner französischen Identität vor. und lehnte höflich aber bestimmt alkoholische Getränke ab. Roth wollte wissen, woher ich ihn denn kenne. „Von einer Autorenlesung in Berlin in den zwanziger Jahren von Ihnen, an der ich teilnahm.“ Schnell konnte ich Roth überzeugen, dass ich kein Nazi sei, sondern ein Bewunderer seiner literarischen Kunst. Tatsächlich hatte ich fast alle seine Romane gelesen. Mir imponierte besonders seine Fähigkeit den Untergang der Donaumonarchie literarisch umzusetzen. Tiefen Eindruck hatten seine Schriften zum Ostjudentum, besonders sein Roman „Hiob“ bei mir hinterlassen. Roth schilderte reale Zeitgeschichte. Ich zog ihn turmhoch bestimmten Schriftstellern aus der Sowjetunion vor, die von Stalin besonders gefördert wurden. Im Gespräch tischte ich ihm meine Legende auf und bekannte mich zum Antifaschismus. Joseph Roth nickte, schenkte Cognac in seinen Kaffee und nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Verdammt dachte ich mir, dieser talentierte Mensch ist verzweifelt und zum voll Alkoholiker mutiert. Dann kam Willi Münzenberg in das Lokal. Obwohl er schon ziemlich viel getrunken hatte, erkannte Joseph Roth Willi Münzenberg sofort. Die beiden begrüßten wie gute alte Bekannte. Willi nahm sich einige Minuten Zeit für Joseph Roth. Willi Münzenberg betonte wie sehr er sich „freue einen alten Freund wieder zutreffen“. Er hatte nichts von seinem Charme im Umgang mit Intellektuellen verloren. Joseph Roth meinte mit einem Kopfnicken zu mir, „da bin ich ja in eine schöne Gesellschaft von Kommunisten geraten“. Das sagte er mit einem schiefen Grinsen und schenkte sich neuerlich einen Schnaps ein. Münzenberg trank genauso wie ich Kaffee. Joseph Roth verriet, dass er an einem neuen Werk mit dem Titel “Die Legende vom heiligen Trinker“ arbeite. Willi und ich nickten und dachten beide dasselbe. Ganz offensichtlich schrieb Joseph Roth gerade über sich selbst. Zum Schluss erklärte er uns noch, dass er katholisch geworden sei und sich mit dem Thronfolger Otto von Habsburg verbunden habe. Wir verabschiedeten uns freundlich und suchen ein anderes Café in der Nähe auf. Dort begann Willi tacheles zu reden. Er fragte mich zum Brüsseler Parteitag aus. Es war ihm anzumerken, wie wenig er mit der Schuldzuweisung bezüglich der Niederlage in Deutschland an Schubert und Schulte, sowie bezüglich Kippenberger, etwas anzufangen wusste. Er gratulierte mir zu meiner erfolgreichen Abreise in Moskau und sagte: „Glück gehabt“. Mein Eindruck war, dass Willi Münzenberg keinerlei Illusionen mehr in Stalin hatte. Dann berichtete er von der Arbeit an der neuen „Arbeiter Illustrierten Zeitung“ in Paris sowie über seine Aktivitäten zur Schaffung einer deutschen Volksfront in der französischen Hauptstadt. Willi schimpfte besonders über Ulbricht, der sich immer wieder einzumischen versuche, aber keine Erfahrung im Umgang mit bürgerlichen Intellektuellen habe. Zudem beherrsche der „arrogante Walter“ noch nicht einmal die deutsche Sprache richtig.
Mein Aufgabengebiet sei, Berichte aus dem Reich zu fabrizieren. Willi war meinem Eindruck nach nicht wirklich von der „neuen Linie“ überzeugt. Aber als treuer Parteisoldat tat er alles, um sie halbwegs erfolgreich zu gestalten. Unermüdlich ließ er eine Broschüren oder „Tarnschriften“ erstellen und verhandelte mit Sozialdemokraten, Künstlern und bürgerlichen Dissidenten für eine seiner unzähligen Komitees. Münzenberg brauchte Informationen speziell über die Lage in den Betrieben. Er wollte von mir eine Reportage über die Lage der Arbeiter im Ruhrgebiet. Mein gefälschter Pass war ja in Ordnung. Ich war in Straßburg bei einem französischen Genossen als Untermieter gemeldet. In Paris hielt ich nur aus „geschäftlichen Gründen“ auf. Münzenberg stattete mich mit jeder Menge Berichte unseren illegalen Betriebszellen des Ruhrgebietes aus, die er von dem ZK Mitglied Paul Merker erhalten hatte. Den März über sollte ich noch in Paris bleiben und die Dokumente studieren. Außerdem dauerte es noch etwas mit einem sicheren Quartier in Solingen. Dazu meinte ich: Ich kann doch völlig legal in einem Hotel in Solingen absteigen“ Münzenberg nickte aber er wies mich daraufhin, dass die „Genies“ um Dünow und Wollweber noch etwas bräuchten um die Kontakte zu den Betriebsgenossen zu organisieren. Außerdem wies mich Münzenberg an, ihn nicht in einem seiner Büros zu besuchen. „Wir haben hier jede Menge Gestapo Spitzel und deine Tarnung könnte auffliegen.“ Dann zog Münzenberg von dannen. Die nächsten Tage studierte ich die Betriebsberichte und schlenderte durch Paris. Plötzlich rief eine Frau aus einem Bistro heraus meinen Namen. Ich wollte schon weitergehen, aber ich kannte die markante Stimme. Es war die Stimme von Ruth Fischer, unserer ehemaligen Politbüro-Leiterin 1924/25. Sofort ging ich in das kleine Bistro. Ruth Fischer war zusammen mit ihrem Lebensgefährten Arkadi Maslow. Bekanntlich waren die beiden 1926 aus der Partei wegen „ultralinker Abweichungen“ aus der Partei geflogen. Letztendlich aber wegen ihrer Solidarisierung mit der „ Leningrader Opposition“ gegen Stalin. Ruth war immer noch eine attraktive Frau. Die Verbindung von Eros und Politik war Mitte der zwanziger Jahre bei den Berliner Arbeitern sehr verbreitet. Wenn Ruth Fischer auf einer KPD Kundgebung angekündigt wurde, sagten die Kollegen: „ Komm heute gehen wir Ruth schauen“. Ruth Fischer war sich dieser Wirkung durchaus bewusst. Auf einer Kundgebung in Berlin hing einmal an ihrer drallen Brust ein großer Sowjetstern. Von mir wollten die zwei wissen, ob ich immer noch bei der „ Bande sei“. Ich bejahte, doch Maslow erkannte sofort, dass ich Probleme mit der Linie hatte. Beide hielten mir einen Vortrag über die Fehler der KPD. Ich fragte nach Leo Sedow, von dem ich wusste, dass er auch in Paris weilte. Maslow versprach mit Sedow zu reden und ein Treffen zu arrangieren. Beide waren auf die Initiative Trotzkis hin Mitglieder der internationalen Leitung der trotzkistischen Parteien und Gruppen. Die deutsche Sektion nannte sich nicht mehr „Linke Opposition der KPD“ sondern IKD (Internationale Kommunisten Deutschlands). Trotzki hatte sich von der Idee verabschiedet, die KPD und die Komintern zu reformieren. Er rief seit 1933 zur Gründung selbständiger Parteien auf, aus denen eine 4. Internationale entstehen sollte. Ruth Fischer wollte noch einiges über den „Brüsseler Parteitag“ der KPD wissen. Durch meine ausführlichen, nicht unkritischen Antworten auch bezüglich des Schicksals von Hans Kippenberger, gewann ich das Vertrauen der beiden. Wir vereinbarten, uns jeden Donnerstag um 17 Uhr in diesem Bistro zu treffen. Am nächsten Donnerstag erschien Ruth Fischer mit einem jungen Mann. Es war nicht etwa ein Verehrer von Ruth, sondern Leo Sedow. In seiner Begleitung war ein junger Deutscher, der sich mit dem Namen Walter Held vorstellte.
Fast hätte mich Sedow rekrutiert
Der Sohn von Trotzki erkannte mich sofort wieder. Er kam mir überarbeitet vor und war sehr mager. Sofort waren wir in einer intensiven politischen Debatte. Sedow erklärte, wieso die Beschlüsse des 7. Weltkongresses der Komintern seiner Meinung nach falsch waren. Wörtlich sagte Sedow: “Diese ganze Volksfront hat nur das Ziel den revolutionären Kampf der Arbeiter zu unterbinden. Anstatt auf die Einheit der Arbeiter im Kampf gegen Faschismus und Kapitalismus zu setzen, wird jetzt ein Bündnis mit der Bourgeoisie angestrebt. Diese Politik ist fast noch verkehrter als die verheerende ultralinke Politik vor 1933.“ Dem konnte und wollte ich nichts entgegensetzen. Sedow meinte, die Komintern und die KPD sei tot. Das stieß mir sauer auf. Ich erinnerte Sedow an die vielen Opfer in Deutschland und die immer noch existierende illegale Arbeit im Land. Etwas arrogant meinte Ruth Fischer, „dann musst du halt den Rest der Kämpfer für unsere Organisation gewinnen“. Leo Sedow merkte, dass Ruth zu weit ging und beruhigte die impulsive Ruth. Heute weiß ich, wie mich Sedow damals einschätzte. Er ging davon aus, dass ich das in der deutschen Arbeiterbewegung sehr weit verbreitete konservative Organisationsverständnis hatte. Ziemlich witzig bemerkte er: „Klar, man tritt als junger Mann in die KPD ein, ärgert sich und stirbt dann“. Wir alle mussten lachen auch Walter Held, der sich fast komplett aus der Debatte heraushielt. Dann wollte Sedow etwas über das „Moskauer Klima“ wissen. Ich berichtete ihm von dem wohligen Leben der russischen Spitzenbürokraten. Gleichfalls wies ich ihn darauf hin, wie viele Leute im Kominternapparat zwei Meinungen hatten. Eine offizielle und eine inoffizielle, die nur im engsten Kreis geäußert wurde. Die Angst regiert mit. Stalin hat den Kominternapparat mit dem NKWD durchsetzt. Gewissenlose Leute beschäftigen sich Tag und Nacht damit Konkurrenten und persönliche Rivalen anzuschwärzen. Bei der Auswahl der KP-Spitze legt Stalin Wert darauf, Menschen mit mittelmäßigen Fähigkeiten zu fördern. Andere werden auf Eis gelegt, ihrer Funktionen enthoben usw. Zum Schluss sagte ich noch: „ Aber es gibt eine weit verbreitete Unzufriedenheit. Stalin weiß das, deshalb wird es in nächster Zeit zu einer großen Säuberung kommen.“ Wie diese „Provokation“ (Sedow) aussehen wird, wusste ich auch nicht. Ich riet aber zur Vorsicht. „Gebt auf euch acht“. Anschließend fragte Ruth Fischer noch nach dem Befinden von Heinz Neumann und Hermann Remmele. Meine Mitteilung, dass Neumann „kominterniert“ sei, überraschte Ruth Fischer nicht, war sie doch 1925/26 in Moskau festgehalten worden. Die Ausreisegenehmigung nach Deutschland erwirkte sie mittels eines „melodramatischen Auftritts“. In der heutigen Lage würden solche gespielte Nervenzusammenbrüche nicht mehr helfen.
Sedow war überrascht, als ich ihm von der Distanz von Willi Münzenberg zur russischen Führung berichtete. Er meinte, dass man davon nichts merke. Ruth Fischer erklärte dazu „Münzenberg ist schon seit Jahren ein Einzelgänger, aber Moskau braucht ihn noch eine bestimmte Zeit als Propagandisten:“ Faktisch hatte ich mich an diesem Tag wieder in einen Doppelagenten verwandelt, diesmal zugunsten der Trotzkisten. Das machte mir aber nichts aus, denn diese Leute sprachen aus, was ich seit Jahren dachte. Mitglied der trotzkistischen Organisation wurde ich nicht. Irgendwie schlummerte noch der „Heinz Neumann“ in mir
Nach Berlin statt zu den Arbeitern ins Ruhrgebiet
Anfang April tauchte eines vormittags eine hübsche Frau in meiner Pension auf. Sie sagte, ich solle sie Clara nennen und sie käme im Auftrag von Herman Nuding, dem neuen „ Nachrichtenchef“ der KPD, der mich gegen 15 Uhr in meiner Pension in der Kaffeebar treffen wolle. Sie zwinkerte mir beim Abschied zu und ließ mir noch „warme Grüße“ von Leo Flieg und irgendwas von „Viktor mit C ausrichten“. Damit wusste ich, Flieg ist der Alte geblieben - in Treue aber auch in Distanz zu Moskau. Mir war bereits bekannt, dass Flieg für das KPD Sekretariat in Paris arbeitete. Wie es der blasse Flieg, zu so einer hübschen Sekretärin brachte, war mir ein Rätsel.
Von dem Treffen mit Hermann Nuding nachmittags im Hotels erwartete ich, in meinen Auftrages für das Ruhrgebiet eingeweiht zu werden. Doch schnell wurde mir klargemacht, dass ich statt zu den Bergarbeitern und Stahlkumpels des Ruhrgebietes nach Berlin musste. „Sie sind doch ein ausgesprochen guter Agent“ sagte Nuding zu mir. Mein Auftrag lautete zu einer Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen engen Kontakt herzustellen und nach drei Monaten Nuding Bericht zu erstatten. Zuerst musste ich mir mittels schriftlicher Berichte über meine Partner in Berlin ein Bild machen. Meine Abreise wurde auf Ende April 1936 festgelegt. Als Geschäftsmann, der hochwertigen französischen Wein anbot, sollte ich nach Deutschland reisen. Die nötigen Unterlagen eines französischen Großweinhändlers wurden mir besorgt. Gerade noch rechtzeitig erwischte ich am 30. April den Zug von Paris nach Berlin. Natürlich reiste ich 1. Klasse mit Schlafwagen und allem drum und dran. Auf der Fahrt ging ich nochmals im Kopf meine Informationen über die Widerstandsgruppe durch. Harro Schulze Boysen kam von nationalistischen Pfaden ab und entwickelte sich zum überzeugten Anhänger der Sowjetunion sowie des Kommunismus. Bis 1933 gab er die überparteiliche Zeitung „Der Gegner“ heraus. Die Zeitung orientierte sich an planwirtschaftlichen Modellen und lehnte die kapitalistische Marktwirtschaft ab. Die Leute um Arvid Harnack und Schulze Boysen wollten eng mit Russland zusammenarbeiten. Im April 1933 wurde Schulze Boysen von der SA inhaftiert. Er wurde schwer misshandelt und musste mit ansehen, wie ein jüdischer Häftling neben ihm getötet wurde. Nachdem er aus der Haft entlassen war, erhielt der ausgebildete Pilot eine wichtige Stelle im Reichsluftfahrtministerium. Zusammen mit seiner Frau Libertas sammelte er wichtige Informationen. Genossen von ihm arbeiteten an wichtiger Stelle im Reichswirtschaftsministerium. Gleichzeitig gab die Gruppe Flugblätter heraus und hatte Kontakte zu Intellektuellen und aber auch zu kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeitern. In meinem Kopf arbeitete es, die Gruppe erschien mir eine gewagte Mischung aus wichtigen Informanten, Agenten und Parteigängern zu sein. Dieses Zwitterwesen offenbarte mir den desolaten Zustand der KPD. Offensichtlich gab es keine funktionierende Inlandsleitung und keine arbeitende Bezirksleitung mehr, so dass kommunistische Einzelkämpfer im Bündnis mit „Wehrmachtsadjutanten“ den Widerstand fortsetzten.
Bei der Einreise nach Deutschland hatte ich keine Probleme, meine Papiere waren gut und ich grüßte die deutschen Grenzer mit einem zackigen „Heil Hitler“. Im Speisewagen setzte sich eine gewagt gekleidete Dame an meinen Tisch. Sie sagte, sie sei die Gattin des damaligen Nazibotschafters in Paris, Johannes Bernhard Graf von Welczeck. Die Dame schwärmte vom „ Dritten Reich“ und vom „ Führer“. Gleichzeitig fiel mir die Geilheit in ihrem Gesicht auf. Ursprünglich wollte ich nur einen Kaffee trinken, aber jetzt überlegte ich, was ich mit dieser „germanisch geilen Walküre“ anfangen sollte. Den ursprünglichen Reflex sofort zu verschwinden, unterdrückte ich. Vielleicht eine lohnende und informative Beziehung dachte ich mir. Im Laufe des Gespräches gestand sie mir einen „ kleinen Schwindel“. Sie war nicht die Frau des Botschafters sondern seine Sekretärin und Vorzeigedame. Das hatte ich mir gedacht, diese Barbara Heinze war höchstens Mitte 30 und der Botschafter seit 1910 verheiratet. Was für ein leichtlebiges geiles Ding, dachte ich mir. gibt sich erst als Frau Botschafterin aus und erzählt im nächsten Moment ihre wahre Geschichte. Die Nazis hatten doch nicht alles unter Kontrolle. Mitten am Tag landeten wir in meinem Abteil im Bett. Das war nicht übel. Kurz vor Berlin tauschten wir unsere Adressen in Berlin und Paris aus. Sie gab mir die Telefonnummer ihrer Eltern in Berlin Wilmersdorf. Dann fuhr ich mit einem Taxi ins Hotel Savoy mitten im Bezirk Charlottenburg. Schließlich hatte man als „Weinhändler“ standesgemäß zu wohnen. Das Hotel Adlon war mir zu gefährlich. Vielleicht arbeiteten dort noch Kellner, die mich von meinen Treffs mit General von Schleicher her kannten. Außerdem verkehrte dort die gesamte Naziprominenz, angefangen mit Göring selbst.
Treffen mit Harro Schulze Boysen
Elegant gekleidet erschien Harro Schulze Boysen am vereinbarten Treff in der Cafeteria des Hotels. Als Erkennungszeichen saß ich am Tisch in weißem Hemd und blauer Krawatte. Das Jackett war über die Stuhllehne gelegt. Harro setzte sich zu mir und begrüßte mich wie einen alten Freund. Klar ein Pilot im Reichsluftfahrministerium konnte – unauffällig - einen deutschstämmigen französischen Weinhändler treffen. Am Anfang sprachen wir nur über die verschiedenen Weinsorten, welche er zu bestellen gedachte. Ziemlich nahe bei uns saß ein dicker schwerfälliger Geschäftsmann aus Stuttgart. Laufend versuchte er sich in unsere Gespräch im breitesten schwäbischen Dialekt über Weine einzuschalten. Um besser reden zu können schlug Harro einen Spaziergang vor. Er trug die Uniform eines Flugoffiziers. Stramm marschierten wir in den zoologischen Garten in der Nähe. An einem Kiosk ließen wir uns nieder und warteten auf den Freund, den Harro Schulze Boysen ankündigte. Nach einiger Zeit setze sich ein Herr zu uns, der sich als Arvid Harnack vorstellte. Den gelehrten Nationalökonomen sah man Harnack, Regierungsrat im Reichswirtschaftsministerium, durchaus an, auch wenn er nicht zum Ambiente in der Gartenrestauration passte. Arvid Harnack war illegal Mitglied meiner Partei, aber er spielte nach außen hin den nur Fachmann, der die Regierung unterstützt. Irgendwie war mir nicht klar, um was es sich eigentlich bei der von Ihnen genannten Gruppe handelt. Sie erzählten von illegalen Flugschriften und Flugblättern, die sie verbreiteten und dass sie Kontakte zu Arbeitergenossen hätten. Immer deutlicher wurde im Lauf des Gespräches, dass die eigentliche KPD keine gewählte politische illegale Leitung mehr hatte, sondern von getarnten Fachleuten in den Ministerien, sowie von Regierungsadjutanten geleitet wurde. Das hinterließ bei mir einen niederschmetternden Eindruck. Die beiden Herren spielten in vielerlei Hinsicht mit ihrem Leben, sie waren äußerst sympathisch und ihre Gegnerschaft gegen den Hitler Faschismus war echt - außerdem hielt ich sie für Mitarbeiter der sowjetischen Aufklärung. Arvid Harnack hatte für mich Dokumente zum Vierjahresplan, der nach Göring benannt war, dabei. Das war nicht geplant und es stellte sich die Frage, wie diese Dokumente außer Landes zu bringen seien. Auf meine Frage zur Lage der Arbeiter meinte Harnack: „Der Reallohn bewegt sich unterhalb der Reallöhne von 1929. Aber die Arbeitslosigkeit ist aufgrund der Hochrüstung und der Autobahnbauten fast verschwunden. Viele ehemalige Arbeitslose stehen dem Regime zwar nicht positiv gegenüber, aber wer jahrelang ohne Arbeit und Brot war, hält die Schnauze.“ Das hatte ich selbst so in Moskau formuliert. Harnack erläuterte exakt die wirtschaftliche Situation, er berichtete auch über weiterhin existierende illegale Widerstandsorganisationen in den Betrieben. Auf meine Nachfragen hin meinte er allerdings: „Die meisten dieser illegalen Zellen in Betrieben sind keine kämpfenden Organe, sondern Zellen denen es um ihr Überleben geht. Eine wirklich oppositionelle Arbeit innerhalb der „Deutschen Arbeitsfront“ kann nicht stattfinden.“ Harro Schulze Boysen war bezüglich der Lage etwas optimistischer und meinte, dass es im entscheidenden Moment zu einem Bündnis aus revolutionärer Jugend und Arbeitern kommen würde. Sie hatten Kontakte zu Schriftstellern und Intellektuellen, aber auch zu sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterfamilien, zum Beispiel über Hans und Hilde Coppi. Dann fielen noch die Namen Lautenschläger, Nattenrodt und sowie Heinrich Scheel. Diese Namen waren mir als alter „ Berliner“ bekannt. Abend setzten wir unseren Spaziergang fort. Arvid und Harro brachten mich ins Hotel. Harro Schulze Boysen lud mich ein, ihn noch privat zu besuchen, was ich aus Sicherheitsgründen ablehnen musste. Meine Tarnung war zwar gut, aber nicht perfekt. Mir schien, die Beiden fühlten sich zu sicher. Am Abend lass ich mir die Dokumente von Harnack durch. Mit den Dokumenten konnte die Kommunistischen Internationale, sowie für die Parteiführung der KPD sicher viel angefangen werden, weniger Hermann Nuding. Aus den Papieren ging klar hervor, wie stark die Nazis auf einen Krieg hinarbeiten. Die gesamte Wirtschaft des Landes wird auf Kriegsproduktion umgestellt, die Produktion von Konsumgütern ist nur noch ein Nebenaspekt. Die Hochrüstung ist real betrachtet schuldenfinanziert, diese Schulden mussten eines Tages beglichen werden. Ohne Krieg und „fette Beute“ war dies unmöglich. Aus den Papieren von Arvid Harnack ging übersetzt in konkrete Zahlen deutlich der reale Kaufkraftverlust in den Arbeiterfamilien hervor. Die Kaufkraft lug unter der Kaufkraft in den zwanziger Jahren. Die Reallöhne waren unter dem Stand von 1930, allerdings bei schnell sinkender Arbeitslosigkeit. Im Hotel übersetzte ich die Papiere ins französische, photographierte und vernichtete sie. Eine Kontrolle an der Grenze war immer möglich. Herman Nuding hatte mir keine illegale Transportadresse gegeben. Dennoch waren auch Filmrollen ein Risiko. Die ganze Nacht lag ich wach, mir spuckten die „Eckpunkte des Göringschen Vierjahresplanes“ durch den Kopf. Gegen drei Uhr Nachts fertigte ich nochmals eine Niederschrift, einem Konspekt der Dokumente auf Französisch an. Der Bericht sollte an Willi Münzenberg gehen. Vielleicht auch an das „ Pariser Tagblatt“ an dem viele bekannte linksliberale Politiker, Intellektuelle, sowie viele bekannte Schriftsteller, wie Heinrich Mann mitarbeiteten.
Der Vierjahresplan
Gegenwärtig läuft die ökonomische Vorbereitung auf den Krieg wesentlich unter der Verantwortung von Reichswirtschaftsminister Dr. Schacht. Die Nazis planen allerdings eine stärkere und gezieltere Aufrüstung, unter der Aufsicht von Hermann Göring. Ab Herbst wird Göring eine Art von kapitalistischer Planwirtschaft zur Vorbereitung des Krieges betreiben. Alle Papiere von Harnack belegen, dass die Nazis in vier Jahren kriegsfähig sein wollen. Der Krieg mit der Sowjetunion gilt als unvermeidlich. Mit den Westmächten setzt man auf einen Ausgleich. In ökonomischer Hinsicht bedeutet dies konkret: Rohstoffkontingentierung, gezielte Investitionen, sowie Lenkung des Arbeitseinsatzes. Unter anderem war es das Ziel, die Autarkie der deutschen Wirtschaft mit Hilfe der unrentablen Erzeugung synthetischer Rohstoffe, synthetischen Benzins, Buna, Sprengstoff und Dünger zu erreichen. Die Armee wird enorm aufgerüstet, was speziell den Stahlkonzernen nützt. Sie Stahlkonzerne werden so saniert und die IG- Farben erhält hohe Zuschüsse für das unrentable synthetische Benzin. Ab Herbst wird Deutschland ganz offiziell auf Kriegswirtschaft umgestellt. Der Öffentlichkeit wird man dies als Sicherung der „ Ernährungsbasis“ verkaufen. Gleichzeitig wird die Propaganda vom fehlenden Lebensraum durch Goebbels intensiviert werden.“ Gegen fünf Uhr ging ich zu Bett. Endlich konnte ich schlafen.
Barbara Heinze
Gegen Mittag des 5. Mai dachte ich an die Sekretärin des deutschen Botschafters in Paris, an mein schönes Erlebnis mit ihr. Sie hat mir die Telefonnummer ihrer Eltern in der Dubliner Straße zugesteckt. Ohne groß nachzudenken rief ich sie an. Die Heinzes hatten einen der wenigen Telefonanschlüsse in der Straße. Am Telefon meldete sich eine ältere Frau mit breitem Berliner Dialekt. Ich riss mich zusammen und fragte ohne in den Dialekt zu verfallen nach Fräulein Barbara. „Ach sind sie die nette Bekanntschaft aus dem Zug“, sagte die freundliche Berlinerin. „Kommen Sie doch einfach vorbei. Ich mache Kaffee und hab noch Kuchen im Haus. Barbara ist in einer Stunde zurück. Auch wir würden uns freuen „sagte Frau Heinze. „So so“, dachte ich mir, sie hat gleich von mir erzählt. Wohl eine der typischen Arbeiterfamilien in Berlin. Die Frauen sind alles andere als spröde weder die Jungen noch die Alten. Gegen 14 Uhr erschien ich mit Blumen, Anzug und Krawatte in der Wohnung der Heinzes. Herzlich wurde ich von Frau Heinze empfangen. Barbara fiel mir gleich um den Hals. In der „guten Stube“ erhob sich ein älterer Berliner Arbeiter, der Vater von Barbara, Karl. Er schüttelte mir die Hand und meinte etwas scherzhaft: „So sieht also ein französischer Weinhändler aus. Bitte nehmen Sie in meinem etwas bescheidenen Arbeitersalon Platz.“ Der Vater hatte Humor. Er war etwas über sechzig und Frühpensionär. Natürlich wurde zunächst nur geplaudert. Frau Heinze erzählte mir, dass ihr Mann seit drei Jahren nicht mehr bei Siemens arbeiten konnte. Sein rechter Arm war gelähmt. Höflich erkundigte ich mich, ob es ein Arbeitsunfall war. Als Antwort bekam ich zu hören: „Ja, so kann man es nennen, es war etwas außerhalb des Betriebes.“ Damit war meine Neugier geweckt. Irgendwie schienen sich hier unverhoffte Möglichkeiten zu ergeben. Mutter Heinze sagte: „Tja, das waren die Sturmabteilungen deines jetzigen Arbeitgebers meiner Tochter“. Betroffen blickte Barbara zu Boden. Der Dialog wurde spannend als Barbara erwiderte: „Aber Mutter, ich bin kein Nazi.“ „Aber du „arbeitest für sie“, sagte Mutter Heinze. Vater Karl merkte, dass die Debatte gefährlich werden konnte, ich war ja ein Unbekannter. Er versuchte ins unpolitische abzulenken. Deutlich forderte er mich auf mit seiner Tochter doch etwas spazieren zugehen. Ich willigte ich ein und ging mit Barbara in einen nahegelegenen Park. Auf einer Parkbank verlangte sie, nachdem sie mich geküsst hatte, eine Zigarette. „Hör mal Barbara, eine deutsche Frau raucht doch nicht“ meinte ich scherzhaft. „Ach lass mich mit dem Naziquatsch in Ruhe“ erwiderte Sie, „so was muss ich mir jeden Tag anhören“. Ich versicherte ihr, dass ich kein Nazi bin. Sie antwortete „ich dumme Pute hab mich sofort in dich verliebt und jetzt bin ich in deiner Hand. Ich hoffe das du nicht lügst.“ Dann sagte ich ihr etwas was gegen alle konspirativen Methoden verstieß. Mit klaren Worten machte ich Ihr klar, dass ich Kommunist sei, aus Berlin komme und gegen die Nazis arbeite. Sie hörte mir erstaunt zu. Meine Ortskenntnisse und mein jetzt breiter Berliner Dialekt überzeugten Barbara: „Jetzt bin ich absolut in deiner Hand. Ich hab meinen Kopf unter das Schafott gelegt, weil ich dich liebe“. Sie weinte und küsste mich. Dann gingen wir händchenhaltend zurück zu ihren Eltern. Der Vater musterte mich misstrauisch. Offensichtlich hatte er seiner unvorsichtigen Frau den Marsch geblasen. Nach zwei Stunden ging ich, zuvor beruhigte ich den nun misstrauischen Vater. Ich sagte ohne Vorwarnung: „Keine Angst Herr Heinze meine Mutter im Elsass ist Jüdin. Ich hasse die Nazis.“ Bis auf den letzten Satz war alles gelogen, aber Herr Heinze verabschiedete mich, ohne auf meine Bemerkung einzugehen, sehr freundlich an der Türe. Am nächsten Tag verbrachte ich Stunden voller Liebe und Leidenschaft mit Barbara. Sie erzählte mir in den Liebespausen: „Mein Vater war Leiter einer Einheit der „ Eisernen Front“. Er wollte 1933 kämpfen. Auch die Belegschaft in seiner Abteilung bei Siemens stand hinter ihm, dann aber wurde ja jeglicher Kampf abgesagt. Nach dem Reichstagsbrand wurde Papa abgeholt, in einen SA-Keller verschleppt und dort fast zu Tode geprügelt. Nach vier Monaten Haft kam er aus Oranienburg zurück abgemagert mit einem steifen Arm.“ Genau wollte ich von Barbara wissen wie sie an den Posten beim deutschen Botschafter in Paris gelangt sei? „Nun“ sagte Sie, „ich hab mich immer nur am Rande für Politik interessiert“ Sie berichtete wie intensiv sie in der Schule Stenographie und Schreibmaschine gelernt habe. Schließlich war Sie im Außenministerium als Schreibkraft gelandet und lernte dazu die französische Sprache. Nach 1933 hatte sie sich offiziell von ihrem Vater distanziert, um Geld für sich und die Familie zu haben. Immer wieder erzählte sie davon wie „ widerlich“ es in der Botschaft in Paris zuging. „Der Herr Botschafter betrachtet mich weniger als Sekretärin sondern mehr als seine Vorzeigedame“. Besonders interessant waren ihre Berichte über die Kontakte der Botschaft zu französischen Industriellen und Faschisten. Sie erzählte mir, dass es in Paris eine eigene Gestapo-Niederlassung zur Beobachtung der Emigranten gebe. Diese Gestapo-Dependenz war außerhalb der Botschaft als Handelsunternehmen getarnt. Sie nannte mir die Adresse. Immer wieder fiel in der Botschaft der Name Münzenberg, wenn es um Kommunisten ginge. Faktisch hatte ich Barbara als Agentin gewonnen, zudem war ich in sie verknallt. Am 10 Mai reisten wir beide nach Paris zurück. Sie nahm meinen Film mit den Dokumenten von Harnack mit. Sie war mit einem Diplomatenpass ausgestattet. In Paris steckte sie mir am Bahnhof die Filmrolle zu und ich gab ihr meine Adresse. Im Zug hatten wir aus Sicherheitsgründen keinen Kontakt.
Rapport bei Nuding und Wehner in Paris
Einige Tage nach meiner Rückkehr hatte ich zum Rapport bei Hermann Nuding in einem Bistro in der Nähe meines Hotels zu erscheinen. Hermann Nuding brachte zum Treffen den mir persönlich verhassten Herbert Wehner mit. Zuerst taten die beiden Genossen so als ob sie sich für meine Arbeit und meine Resultate interessierten. Bald hatte ich jedoch das Gefühl, dass mich der Nachrichtendienst der KPD nicht mehr sonderlich schätzte. Nuding kritisierte, dass ich zu wenig über die Arbeit der Partei in Berlin zu berichten wüsste. Erregt schmetterte ich ihm entgegen: „In meinem Bericht steht nichts anderes als die Wahrheit“. Herbert Wehner beruhigte den aufgebrachten Nachrichtenboss, was mich etwas überraschte. In der Tat, es gab nur noch vereinzelte illegale Zellen in Berlin aber keine funktionierende Leitung mehr. Viele Genossen befinden sich passiv in der inneren Emigration. Typischerweise macht dann Nuding den alten M-Apparat und speziell Kippenberger und Leo Roth dafür verantwortlich. Mir wurde wieder einmal deutlich, wie wenig sich diese Leute um die Realität scherten. Ihr Hauptinteresse gilt Bekämpfung ihrer innerparteilichen Gegner. Herbert Wehner machte sich ausführlich Notizen und fand bezüglich des Materials von Harnack und Schulze Boysen sogar einige lobende Worte für mich. Nuding hingegen meinte: „Das ist doch alles nur etwas für die Propaganda von Münzenberg und vielleicht für die sowjetische Auslandsaufklärung“. Dem entgegnete ich: “Letzteres ist ja auch nicht ganz nutzlos“. Eigentlich wollte ich den beiden etwas über den Kontakt in die deutsche Botschaft über Barbara Heinze erzählen. Aber das verkniff ich mir. Zum Schluss des Gespräches meinte Herbert Wehner dann wieder bekannt bösartig: “Dein Freund Kippenberger arbeitet in Russland in der Produktion, was er sich redlich verdient hat“. Diese Leute waren mir zuwider. Ich ging fest davon aus, dass meine Tage im Nachrichtendienst der KPD gezählt waren, obwohl ich doch viele nützliche und wichtige Informationen zur Analyse der Lage im Land sowie zum Zustand unserer Partei gebracht hätte. Einige Tage später traf ich meinen Freund Leo Flieg in Paris. Leo war wie immer freundlich, sehr aufmerksam und hatte kluge Ratschläge. Er nahm die von mir verfassten Artikel für die „Neue Arbeiter Illustrierte Zeitung“ von Willi Münzenberg entgegen. Mein Bericht über das Treffen mit Nuding und Wehner überraschte ihn nicht. Am Ende des Gespräches meinte Leo: “In Frankreich, in Spanien und Russland braut sich etwas zusammen. Wir gehen spannenden Zeiten entgegen.“ Leo Flieg erzählte ich auch von meinen Kontakten zur deutschen Botschaft über Barbara Heinze. Er notierte sich die Adresse des getarnten Gestapo Quartiers in Paris und fragte mich, warum ich den beiden anderen nichts davon erzählt hatte, worauf ich antwortete: “Ich trau den beiden nicht. Sie wollen alle alten Apparat-Leute von Hans Kippenberger abservieren. Am Schluss behaupten sie noch, ich hätte Kontakte zur Gestapo, sowie zur deutschen Botschaft.“ Leo Flieg nickte und gab mir zu verstehen, wie gut er mich verstünde. Er wollte Willi Münzenberg darüber informieren und Leute aus seinem Umfeld mit Fotoapparaten vor dem so genannten Geschäft, der Gestapo-Anlaufstelle positionieren Dann erhielt ich eine Nachricht überbracht von einer jungen Französin. In dem Brief wurde ich zu einem Treff mit Leo Sedow in einer Pariser Arbeiter Wohnung. eingeladen. Den Namen des französischen Genossen habe ich leider vergessen. Pünktlich gegen 19:00 Uhr klingelte ich an der Wohnungstür in einem typischen französischen Arbeiterquartier. Leo Sedow war bereits anwesend. Wie üblich sah er überarbeitet und angespannt aus. In seiner Begleitung befand sich ein gewisser Mark Zborowskis („Etienne“). Ich wunderte mich, dass Leo Sedow so wenig konspirativ vorging. Unumwunden sagte er mir: „Etienne ist mein bester Freund und Genosse, du kannst frei sprechen.“ Letzteres tat ich nicht. Grundsätzlich erzählte ich nur weniger wichtige Dinge vor Unbekannten. Ich stellte mich als Hans Müller vor, was Sedow stillschweigend akzeptierte. Der Russe oder was immer er auch gewesen sein mag, machte mich skeptisch. Er war mir schlicht zu freundlich und zu neugierig. Die im Werden begriffene 4. Internationale war von Spaltungen und Zwistigkeiten gekennzeichnet. Besonders die französische Gruppe hatte sich in drei Teile zerlegt. Ein Teil folgte den Vorschlägen Trotzkis, kurzfristig „Entrismus“ in der „Sozialistischen Partei“ zu betreiben, ein anderer Teil lehnte das entristische Manöver ab. Verschiedene Einzelpersonen konnten nicht miteinander. Aus diesem Grund hatte sich Alfred Rosmer weitgehend aus der Arbeit zurückgezogen. Auch im „Internationalen Büro“ gab es Auseinandersetzungen, speziell meine alten Bekannten aus Berlin, Ruth Fischer und Maslow, waren wieder einmal dabei ihre eigene Gruppe zu gründen. All diese Umstände machten die Trotzkisten zu einem relativ leichten Ziel für Agenten, Wichtigtuer und Provokateure. Im Lauf des Gespräches steckte ich Leo Sedow einen Zettel zu. Auf dem Zettel stand, dass ich nur mit ihm alleine über wichtige Dinge sprechen wollte. Sedow las den Zettel, während „Etienne“ beim pinkeln war. Er nickte meinte aber. ich könne „Etienne“ ruhig trauen. Meine Antwort war: „Ich traue niemandem mehr außer mir selbst“. Wir vereinbarten einen Termin in drei Wochen am selben Ort.
Spaniens Himmel
Spanien war 1936 zerfetzt von Klassengegensätzen. Am 16. Februar 1936 gewann die sogenannte Volksfront die Wahlen, aber die bürgerliche Opposition erkannte ihren Sieg nicht an. Die Parteien der Volksfront bekamen im ersten Wahlgang 4.654.116 Stimmen, diejenigen der faschistisch reaktionäre Nationalen Front 4.503.505 Stimmen und sonstige Parteien (darunter Zentrum, baskische Nationalisten und der Partido Republicano Radical) 562.651 Stimmen. Dies führte nach dem zweiten Wahlgang am 1. März zur Bildung der Regierung Azaña. Durch den Sieg der Volksfront hatte für Teile der bürgerlichen Rechten die Republik aufgehört zu existieren. Die Arbeiter sowie die landlosen Bauern forderten nicht nur bürgerliche Reformen. Es kam zu spontanen Landbesetzungen, ein Streik in den Betrieben folgte auf den anderen. Massive Straßenkämpfe zwischen den Banden der faschistischen Falange und den Arbeitern, speziell in Barcelona waren an der Tagesordnung. Der Terror der Falange wurde vom Staat, der Exekutive Spaniens toleriert. Die Rechten beschworen das kommunistische Gespenst, obwohl die spanische KP schwach war. Ganz im Gegenteil, die KP beteiligte sich nicht an Land- und Betriebsbesetzungen. Getreu der Volksfrontpolitik beschwor sie das Bündnis mit der bürgerlichen Regierung, in der sich kein einziges sozialistisches Mitglied befand. Dennoch wollten die radikalen Arbeiter und Bauern entschiedene sozialistische Veränderungen. Das Land stand vor einem Entscheidungskampf. Die braven liberalen Minister ignorierten die Hinweise auf einen Putsch des Militärs, mit ihrem zivilen Ableger der Falange. Leo Sedow erklärte mir bei einem nächtlichen Spaziergang an der Seine die Haltung der Trotzkisten. Ich stimmte ihm völlig zu. Die Haltung „Sozialismus oder Barbarei“ bzw. „permanente Revolution oder vollständige Konterrevolution“ war logisch. Die deutsche Emigration ignorierte weitgehend die sich zuspitzende Situation in Spanien. Walter Ulbricht sagte mir: „Mach dir keine Sorgen um Spanien, das Bündnis mit den fortschrittlichen bürgerlichen Kräften ist richtig.“ Mein Hinweis auf die sich verschärfende Situation ignorierte der „Weltpolitiker aus Sachsen“. Dann kam Mitte Juli 1936.der Putsch Francos gegen die bürgerliche Republik Spaniens. Im August reagierte die Kommunistische Internationale. Sie rief zur Bildung von „ Internationalen Brigaden“ zur „ Verteidigung der Republik“ gegen Franco auf. Die Putschisten wurden von kämpfenden Arbeitern und Bauern aufgehalten. Gleichzeitig gingen die Arbeiter speziell in Katalonien dazu über Betriebe zu besetzen. Die Landarbeiter und Kleinbauern enteigneten spontan die Großgrundbesitzer, speziell den Grund und Boden der katholischen Kirche. Tausende eilten nach Spanien, um gegen den Faschismus zu kämpfen. Franco wurde von Hitler und Mussolini unterstützt. Die Sowjetunion erklärte sich nicht für neutral. Sie stellte militärische Hilfe in Aussicht gegen bare Münze in Form der spanischen Goldreserven. England und Frankreich erklärten sich für neutral und wollten sich nicht einmischen. Völlig zutreffend kritisierte Sedow bei einem Treffen in Paris die Politik der Komintern. Er sagte: „Die russischen Bürokraten schicken Kommissare des Privateigentums nach Spanien. Sie bekämpfen jeden Übergang zur permanenten Revolution. Sie bekämpfen nur bedingt Franco. Sie werden die Arbeiter, welche den Kampf gegen Franco mit dem Kampf um den Sozialismus kombinieren wollen, als angebliche Agenten des Faschismus darstellen, mit schrecklichen Konsequenzen für die spanische Revolution. Ihre Etappentheorie ist ein Wahnsinn. Die landlosen Bauern werden vom Kampf gegen Franco abfallen, denn die Frage Demokratie oder Faschismus interessiert sie nur bedingt. In den Städten werden die Stalinisten die Revolutionäre bekämpfen und foltern.“ Sedow riet mir davon ab nach Spanien zu gehen. Er verwies darauf, dass die Komintern dort unliebsame Kräfte ungestört liquidieren könne oder absichtlich Opponierende zu „ Helden“ macht. Einige Tage später sagte mir Münzenberg, durch die Blume dasselbe. Münzenberg erklärte mich in Paris für unabkömmlich. Ich sollte weder nach Spanien noch nach Moskau, den nach Münzenberg ist Moskau gegenwärtig eine „Schlangengrube in der der NKWD zubeißt“. Münzenberg begann sich innerlich endgültig von der Komintern zu lösen, obwohl er offiziell noch die Kominternlinie propagierte. In Moskau spielten sich tatsächlich entsetzliche Dinge ab.
Der Prozess gegen das „“trotzkistisch-sinowjewistische terroristische Zentrum“
Der am 19 August 1936 begonnene Prozess gegen das sogenannte “trotzkistisch-sinowjewistische terroristische Zentrum“ war für mich ein tiefer Schock. Auf der Anklagebank saßen lauter alte Revolutionäre wie die einstigen Mitglieder des Politbüros Grigorij E. Sinowjew und Lev B. Kamenew und mit Sinowjew der ehemalige Vorsitzende der Komintern. Insgesamt 16 Angeklagte bespuckten sich selbst. Grigorij E. Sinowjew und Lev B. Kamenew nannten sich selbst Faschisten. Auch der mir gut bekannte Deutsche Fritz David, war unter den Angeklagten. Angeblich sei er von der Gestapo und von Trotzki angewiesen worden, „Stalin zu erschießen“. Ausgerechnet Fritz David, der dem „Parteiführer“ Pieck die Reden schrieb und viele Artikel in der legalen Zeit in Deutschland in der KP Presse publizierte. Der Hauptangeklagte waren allerdings Leo Trotzki und sein Sohn Leo Sedow, beide nicht anwesend. Seltsamerweise waren alle Angeklagten geständig. Sie bezichtigten sich selbst der schlimmsten Verbrechen ohne Beweise durch die Anklage. Am 24. August wurden alle zum Tod verurteilt und kurz darauf erschossen. „Was hat der NKWD nur mit diesen Leuten gemacht“, schoss es mir durch den Kopf. Welche Art von Folter, Erpressung und Versprechungen hatte Stalin sich in seinem Büro ausgedacht. Natürlich machte ich Stalin direkt für dieses terroristische Schmierenstück verantwortlich. Sedow sah ich in diesen Tagen nicht. Wahrscheinlich war er untergetaucht. Kurz darauf bestellte mich Franz Dahlem, Mitglied des Politbüros in sein Quartier in Paris. Er beschwerte sich bei mir über die „unzureichende Entlarvung der trotzkistischen Agenten in der Presse von Willi Münzenberg“. Ich entgegnete ihm, dass diese Geschichte nicht besonders zieht bei den Leuten mit denen Münzenberg verkehrt. Erregt wies mich Dahlem zurecht und fragte provozierend: „Ihr haltet wohl nichts vom Kampf gegen das trotzkistische Geschwür. Vorsicht Genosse. Die Angeklagten waren doch alle geständig. Der Herr Trotzki selbst hat aus Norwegen auch nichts zu sagen. Ihr scheint vor Breitscheid und Victor Adler zu kapitulieren. Das wird nicht geduldet.“ Dem entgegnete ich nichts mehr. Resigniert zog ich von dannen. Bei Münzenberg angelangt erzählte ich von Dahlems Auftritt. Münzenberg nickte und fragte ob ich nicht einen Artikel gegen den „enttarnten Trotzkismus“ schreiben könne. Das verneinte ich. Münzenberg blickte mir tief in die Augen und meinte, er wisse nicht wie lange er mich noch schützen könne. „Hau ab, versteck dich, die wollen dir ans Leder, du stehst als Kippenberger-Mann auf der Liste, zudem eignest du dich aufgrund deiner einstigen Nachrichtenarbeit bei General von Schleicher ganz ausgezeichnet für Konstrukte“. Dann führte mich Münzenberg zur Türe und sagte zum Abschied: „Wir sollten uns so schnell nicht wiedersehen. Wir treffen uns wieder, wenn der Spuk vorbei ist“. Aber der Spuk ging nicht vorbei. Auf der Straße bekam ich plötzlich keine Luft mehr. Ich zitterte am ganzen Körper. Ein einfacher französischer Arbeiter schleppte mich zum nächsten Arzt. Der Doktor verabreichte mir, nachdem er mich untersucht hatte, eine Valiumspritze. Ich bat ihn darum bei ihm zu telefonieren. Der Doktor nickte freundlich nachdem ich ihn gut bezahlt hatte. Er gab mir den Rat, meine Nerven zu schonen und ans Meer zu reisen. Dann wählte ich die Durchwahl zu Barbara in der deutschen Botschaft. Als angeblicher Gynäkologe, der Internist hatte eine Praxisgemeinschaft mit einem Gynäkologen, „bat ich sie mich noch heute aufzusuchen weil es eine erfreuliche Nachricht gäbe“. Barbara verstand sofort. Gegen 18 Uhr erschien sie in meinem Hotelzimmer. „ Wie schlecht siehst du denn aus“ meinte meine Geliebte. In der Tat, der Prozess in Moskau und die Intrigen in der deutschen Partei hatten mich fertig gemacht. Trotz Valium im Blut war mir klar, dass ich die nächsten Tage verschwinden musste. Barbara wollte alles wissen. Ausführlich berichtete ich ihr über meine Situation. Dringlich benötigte ich einen Pass, Geld, sowie eine neue Unterkunft. Barbara wies mich darauf hin, dass ich am geschicktesten jetzt im Herbst für einige Wochen oder Monate irgendwo ans Mittelmeer reisen sollte. Sehr schnell benötigte ich Geld für einen neuen Pass und den konnte ich mir nur bei verschiedenen französischen Händlern gegen entsprechende Knete beschaffen. Barbara sagte ohne lange zu überlegen: “Das mit dem Geld ist Morgen gebongt. Morgen hast du genug Knete. Fahr dann bitte für einige Wochen ans Mittelmeer. Ich komm dann nach, ich,habe noch drei Wochen Urlaub.“ Nach unserem Abschied versank ich im Bett und schlief bis zum nächsten Morgen gegen 10:00 Uhr. In ihrer Mittagspause erschien Barbara, sie steckte mir in einem Kuvert, die erstaunliche Summe von 10.000 Francs zu. Sie wollte mir partout nicht sagen, wie sie an das Geld gekommen sei. Nach einiger Zeit hörte ich auf, sie danach zu fragen und begann mir Gedanken zu machen, welchen Händler ich heute Nachmittag aufsuchen sollte. Einige dieser dunklen Gestalten waren mir bekannt. Der Pass in der Spelunke kostete nur 500 Francs. Am nächsten Tag holte ich ihn mir ab, ab jetzt hieß ich Paul Legrant. Mein in solchen Dingen geübtes Auge erkannte, wie gut der Pass gefälscht war. Wieder war ich im Elsass geboren, so dass ich mit meinem Dialekt nicht auffiel. Ich besorgte mir einen Reiseführer für die französische Riviera. Meine Wahl fiel auf das kleine Fischerdorf Saint-Jean-Cap-Ferrat, telefonisch bestellte ich ein Zimmer im Hotel La Fregate. Am 24. September reiste ich mit dem Zug nach Nizza. Von dort ging es weiter mit einem kleinen Autobus, der mich direkt vor dem Hotel absetzte. Das Zimmer mit Bad war einfach, mit einem wunderschönen Blick auf das Meer. Als besonderer Luxus stellte sich ein Radioapparat im Zimmer heraus. Hier beschloss ich einige Zeit zu bleiben. Alle Gedanken zu ordnen. Ich war mir sicher hier keinen KP oder Kominternagenten, sowie auch keinen von der Gestapo zu treffen. Dringlich war mein Ruhe- und Erholungsbedürfnis.
Wie du weißt, lieber Vater, ist dein Sohn immer empfindlich und nervlich labil gewesen. Im Herbst 1936 war die Auszeit dringend geboten. Am 1. Oktober gegen Abend kam Barbara aus Paris angereist. Sie hatte sich drei Wochen Urlaub genommen und ausdrücklich erklärt, dass sie nicht Nachhause fährt, sondern an die französische Riviera, um sich Land und Leute anzuschauen. Sie sagte in der Botschaft, sie hätte keine Lust auf ihre Eltern, die zwar jetzt treue Untertanen seien, aber immer noch keine richtigen Nationalsozialisten. Der Urlaub wurde gewährt mit dem Hinweis sich nicht vom französischen Schöngeistern verführen zu lassen. Endlich, endlich kam Barbara zu mir. Ich sehnte mich nicht nur nach ihren Küssen sondern vor allen Dingen auch noch Neuigkeiten aus Paris und Deutschland. Im Ort gab es nur kleine Provinzzeitungen und hin nun wieder die Parteizeitung der französischen KP. All dies konnte mein wieder erwachtes Informationsbedürfnis nicht befriedigen. Außerdem interessierten mich Dinge, die normalerweise nicht in der Zeitung standen. Die Zeit mit Barbara war schön. Wir badeten, machten lange Spaziergänge und liebten uns. Barbara berichtete mir, dass es in der Botschaft bekannt sei, dass Willi Münzenberg nach Moskau beordert wurde. Der Botschafter persönlich meinte, „hoffentlich kommt der Kerl nicht zurück“. Mir wurde dadurch deutlich mit welcher Schadenfreude die Nazis den Terror in Moskau beobachteten. Sie waren der Meinung, dass ihnen Stalin die Arbeit abnahm. Kurz vor ihrer Abreise vereinbarte ich mit Barbara, „sie solle über eine Bekannte von mir Kontakt zu Münzenberg herstellen, wenn er denn aus Moskau zurückkäme. Monika Gruber war Emigrantin in Paris aus dem alten Kippenberger- Apparat. Sie sollte ebenfalls nach Moskau kommen, was sie aber immer wieder hinausschob. Die Grußformel war wieder „Grüße von Viktor mit C“. Barbara gab mir wieder Geld. Woher Sie es hatte, wusste ich nicht. Ich spielte im Hotel den Schriftsteller, der Ruhe und ein gutes Klima benötigte.
Treffen mit Monika und Arbeit für das „Bulletin der Opposition“
Ende November stand plötzlich Monika Gruber in der Hotelrezeption. Monika war eine robuste Mittvierzigerin. Sie hatte einige Jahre direkt als Sekretärin von Hans Kippenberger gearbeitet. Sie erkannte mich kaum, denn ich hatte mir einen Schnauzer zugelegt, auch meine Haare waren länger. Ich spielte ja den Künstler und Romanschriftsteller. „Gut siehst du aus“ sagte Monika. „wie ein typisch französischer Boheme“. Wir gingen in das einzige Bistro in der Nähe des Hotels. Unterwegs fiel mir ihre Erregung auf. Sofort erzählte mir Monika was passiert ist: „Hans Kippenberger wurde in Moskau verhaftet, einen öffentlichen Prozess wagten sie nicht. Er wurde in einem Geheimprozess zum Tode verurteilt. Die Informationen hab ich von Herrmann Nuding. Er versuchte mich in Paris zu verhören. Dabei erzählte er mir von dem Schicksal von Hans Kippenberger. Er sagte, ich solle offen und ehrlich gegenüber der Partei sein. Angeblich war Kippenberger ein „Reichswehragent“. Alle seine Mitarbeiter müssen überprüft werden. Um meine Treue zur Partei zu beweisen, soll ich dringlich nach Moskau kommen. „Ich fahr aber nicht, ich geh nicht freiwillig zur Schlachtbank“. Auch Leo Roth (Viktor) wurde verhaftet. Die Hexe Grete Wilde spielt offensichtlich die Hauptangeberin in Moskau. Viktor wurde am 22 November vom NKWD in Moskau verhaftet. Zu den Vorwürfen gegen ihn gehörte, er habe die Militär-Attachés der englischen, französischen und tschechoslowakischen Botschaften in Berlin, auch über Interna der KPD informiert und dafür regelmäßig Geld erhalten. Das ist doch der pure Wahnsinn. Das alles hat mir Nuding in Paris beim Verhör erzählt“ sagte Monika. Glück hat Marie-Therese von Hammerstein. Sie ist ja nach Japan emigriert. Dort lebt sie sicherer als in Frankreich oder gar Moskau.“ Ich war sehr blass geworden. Aber Monika war noch nicht am Ende. Aus der Tasche zog sie eine Ausgabe der illegalen „ Roten Fahne“. „Da lies!“ Die Partei gab meinen Parteiausschluss bekannt und warnte vor mir als Trotzkisten und Gestapo Spitzel. Meine sämtlichen Tarnnamen, genauso wie mein richtiger Name wurden genannt. Im Blatt befand sich noch eine Fotografie von mir. Zum Glück war das Foto etwas alt und hatte mit meinem jetzigen Aussehen wenig gemein. Mein jetziger Name war der Partei nicht bekannt. Sie rief dazu auf mich zu suchen und die Partei über meinen Aufenthaltsort zu unterrichten. Jetzt stand ich auf der Abschussliste, auch in Frankreich arbeiteten Mörder des NKWD in den Reihen der französischen und deutschen KP. Gleichfalls musste ich damit rechnen, dass die Gestapo nach mir suchte. Alte meine Kontakte im Reich waren gefährdet. Vor allen Dingen, die Menschen, die mit dem „Weinhändler aus dem Elsass“ zu tun hatten. Ich fragte Monika, wie sie ihre Reise zu mir getarnt hatte. Anschließend dankte ich ihr. Dann stellte sie die Frage wie es mit dem Kommunismus weitergeht? Freimütig sagte ich ihr, dass eine neue Internationale aufgebaut werden müsste. Lächelnd gab sie mir eine Broschüre mit dem Titel „ Rotbuch über den Moskauer Prozess“. Der Autor war Leo Sedow. Erfreut nahm ich die Broschüre. Sie meinte: „Darin findest du sämtliche Antworten zu dem Wahnsinn in Moskau“. Die Broschüre hatte sie von einem gewissen Rudolf Klement erhalten. Klement war Mitglied der KPD bis zu seinem Ausschluss im Jahr 1932. Dann arbeitete er einige Zeit als Sekretär Trotzkis in Prinkipo. Jetzt lebt der gebürtige Hamburger hier in Frankreich. Offensichtlich hatte Monika schon einige Zeit Kontakte zu Klement, der nach ihren Angaben ein ehrlicher Revolutionär war. Dann beichtete sie mir offen über ihre Kontakte zu Sedow. Zum Abschied sagte sie: „Ich gebe Klement deine Adresse, vielleicht können, die ja einen ordentlichen Journalisten brauchen.“ Als alter „Geheimdienstler“ wies ich sie darauf hin, dass sie nur Klement meine Adresse geben sollte mit dem Versprechen, dass er sie nicht weitergibt. „Ich glaube Sedow hat in seiner unmittelbaren Umgebung einen NKWD Agenten. Ich traue diesem Mark nicht. Er hat Verwandte in Russland“. Wir verabschiedeten uns herzlich. Monika wollte in die USA emigrieren. Sie hatte dort zum Glück einen „ reichen Onkel“. Ich wartete bis Ende Dezember auf Klement und schrieb lange Artikel zur Verteidigung Kippenbergers.
Treffen mit Rudolf Klement
Nach Weihnachten kam Rudolf Klement in mein Hotel. Der junge Mann aus Hamburg machte auf mich einen sehr guten Eindruck. Wie Leo Sedow merkte man ihm sofort den asketischen Lebenswandel an. Im örtlichen Bistro wurden wir freundlich vom Wirt begrüßt. Klement richtete mir Grüße von Sedow aus. Meine Artikel zur Verfolgung der deutschen Kommunisten durch Stalin bezeichnete er als sehr wichtig. Die Artikel schickte ich an Klement, über einen französischen Kleinbauern, ohne meinen Namen zu nennen. Dann erläuterte mir Klement, warum es so schien, als schweige Trotzki zu den Moskauer Prozessen. Trotzki war von der norwegischen Regierung faktisch interniert. Fast jeder Kontakt zur Außenwelt war ihm verboten. Alle Briefe wurden zensiert und kontrolliert. Die Sowjetunion hatte nachgeholfen. Der norwegische Außenhandel mit Fisch war ein wichtiger ökonomischer Faktor. Den Fischhandel zwischen Norwegen und der Sowjetunion benutzte Stalin dazu Norwegen nahezulegen Trotzki zum Schweigen zu bringen. Aber Klement berichtete mir, dass Trotzki ein Visum für Mexiko erhalten habe. „Dann wird die Feder wieder zuschlagen“ sagte Klement. Er wollte von mir wissen, ob deutsche Kommunisten im nächsten Prozess gegen Radek, Pjatakow und andere auftreten würden. Das verneinte ich. Die deutschen Kommunisten würden weggesperrt und erschossen. Sie schienen Stalin nicht wichtig genug zu sein. Außerdem hatten sie im Gegensatz zu vielen alten Bolschewiki noch keine Orgie der „Selbstbezichtigungen“ und Erniedrigung hinter sich. Meine Argumente überzeugten Klement. Er wollte von mir noch wissen, wie es Heinz Neumann gehe und wie Münzenberg einzuschätzen sei. Von Heinz Neumann hatte ich nur die Information, dass er in Moskau festsitze. Er setzt darauf nach Brasilien zu kommen, „er hat ein entsprechendes Angebot von Pjatnitzki“. Klement wollte wissen, wie ich an diese Info gekommen sei? Indirekt sagte ich ihm, dass eine alte Mitarbeiterin von Kippenberger mir diese Information geliefert hätte. Sie traf einen Willi Münzenberg in Paris an, welcher gerade noch aus Moskau herauskam. Togliatti setzte sich für Münzenberg „wegen Spanien ein“. Klement meinte: „Klar, die brauchen ihn vorläufig noch als Propagandisten“. Für Neumann sah Klement schwarz. Dann berichtete ich noch von meinem wiederhergestellten Kontakt zu Münzenberg. „Willi hat mit der Komintern abgeschlossen, auch Leo Flieg“. Wohin sie sich allerdings entwickeln werden, vermochte ich nicht zu sagen. Leo Flieg hat das Problem, dass er als Kassenwart der KPD nicht offen mit der Partei brechen wird. Nach meiner Meinung befürchtet Flieg, bei einem Bruch eine Propagandakampagne gegen ihn in „finanziellen Fragen“. Aus diesem Grund wird er auch nach Moskau fahren und sich bewusst opfern. Besonders wichtig fand Klement meine Einschätzung des gegenwärtigen KPD Sekretariats. Nach meinen Worten hatte„ „Ulbricht das Sagen, Pieck ist eine Galionsfigur und Wehner (Funk) ein rücksichtsloser Intrigant“. Alle talentierten und bekannten Kader der KPD in Moskau sind verhaftet oder warten auf ihre Verhaftung. Stalin benötigt Ja-Sager und Intriganten. Die engsten Mitarbeiter Thälmanns, wie die Redakteure Birkenhauer und Hirsch sind schon weg oder sie befinden sich auf er Abschussliste. Thälmann selbst lässt man im Naziknast verrotten. Interessiert hörte Klement zu als ich ihm berichtete, wie erfolgversprechende Befreiungsversuche von Thälmann durch unseren Apparat auf höheren Befehl hin immer wieder gestoppt und abgesagt wurden. Dann sprachen wir noch über den bevorstehenden zweiten Moskauer Prozess. Das Amalgam wird weiter aufgeführt. Wir vereinbarten meine redaktionelle Mitarbeit für die Presse der Opposition. Allerdings bestand ich darauf, nur an die Postadresse von Klement unter falschem Namen zu schreiben. Auch sollte ich Kontakt zu Münzenberg halten. Klement wollte wissen, warum ich nur zu ihm Kontakt halten wollte. Freimütig sagte ich ihm: „Meine Erfahrung und mein Instinkt sagt mir, dass es bei euch Agenten gibt. Besonders in der Nähe von Sedow. Leo Sedow ist dankbar, wenn er scheinbar zuverlässige Mitarbeiter hat. Aber Vorsicht, die Zuverlässigen betreiben oft ein falsches Spiel. Sedow muss aufpassen“. Dann verabschiedete sich Klement von mir.
Der zweite Moskauer Prozess
Der Horror in Moskau ging in die nächste Runde. Der Prozess vom 23. bis zum 30. Januar 1937 gegen Pjatakow, Radek und Andere, war eine schmierige Inszenierung. Eigentlich war der Prozess dazu da, um von den wirtschaftlichen Problemen in der Sowjetunion abzulenken. Die Arbeiter mussten immer noch nach Brot anstehen. Der Schauprozess hatte die Funktion den „Baumeister des Sozialismus - Stalin“ von allen Problemen freizusprechen. Der Prozess war kein einfaches Verfahren gegen den Trotzkismus, sondern die Inszenierung richtete sich gegen das Kommissariat für Schwerindustrie, dessen Leiter, Ordschonikidse, am 18. 1. 1937 offiziell „unglücklich verstarb“. Georgi Pjatakow, sein Stellvertreter, war Parteimitglied seit 1910. Er war neben Karl Radek der Hauptangeklagte im Prozess. Pjatakow gilt als der eigentliche Organisator der Schwerindustrie. Als ehemaliges Mitglied der „linken Opposition“ eignete er sich besonders als „Sündenbock“ für die ökonomischen Verwerfungen. Die Trotzkisten wurden beschuldigt die Wirtschaft zu sabotieren, Morde zu begehen und vorzubereiten. Im Prozess nannte der Staatsanwalt, ein ehemaliger Menschewik, Radek den „Hauptataman Trotzkis in der UDSSR“. Täglich standen die Prozessberichte in der Tageszeitung der französischen KP. Natürlich gestanden die 17 Angeklagten alles. Es schien wie am Schnürchen zu klappen. Aber dann stieß ich auf eine Aussage von Radek. Mir war Radek von Berlin her bekannt. Er war ein glänzender Journalist und hatte lange Jahre in der deutschen Sozialdemokratie gewirkt. Radek verstand aber auch viel von Ironie. In einer Passage machte er den ganzen Prozess lächerlich. Er erklärte: „In der westlichen Presse wird behauptet, wir seien gefoltert worden. Das Gegenteil ist richtig, wir folterten durch unser hartnäckiges Schweigen in der Voruntersuchung die Ermittlungsbehörden“. Ein typischer Radek, dachte ich mir. Dadurch ist der Prozess als Farce entlarvt. In seinem Schlusswort, in dem sich Radek natürlich für schuldig bekannte, wies er noch daraufhin, „dass der ganze Prozess auf den Aussagen und Geständnissen der Angeklagten beruhe“. Klar es gab keinen einzigen Beweis außer den Geständnissen. Zudem fand ich heraus, dass das Hotel Bristol in Kopenhagen, in dem sich Pjatakow, angeblich mit Trotzki getroffen hatte, seit 1912 nicht mehr existierte. Die Anklage hat mit einem alten Reiseführer gearbeitet. Pjatakow gestand ein Treffen mit Trotzki in einem nicht mehr existierendem Hotel. Ich schickte ich meine Recherche an Klement. Aber auch andere hatten das schon herausgefunden. Welch ein Wahnsinn. In diesen Tagen des Irrsinns sehnte ich mich nach Barbara. Ich rief sie bei ihrer Zimmerwirtin an und sagte „Victor kommt in drei Tagen nach Paris. Bist du da.“ – „Natürlich Victor“ war die erfreute Antwort. Außerdem wollte ich Münzenberg treffen.
Barbara und Willi Münzenberg
Mitte März schrieb ich Willi Münzenberg einen Brief mit dem Poststempel von Monaco ohne Namen an seine Adresse in Paris. Darin bat ich ihn um ein Treffen in seiner Pariser Wohnung. Unterschrieben war der Text wie üblich „Viktor mit C“. Schon einige Tage später brachte mir mein Bauer die Antwort von Willi Münzenberg. Er wollte sich mit mir treffen und versicherte mir, dass das Treffen absolut konspirativ stattfinden würde. Von Monaco rief ich die deutsche Botschaft an und verlangte Barbara Heinze. Bei dem Gespräch gab ich mich wieder als Ihr Gynäkologe aus, der die nächsten Tage wieder in Paris sei. Ich wurde verbunden und merkte wie mühsam Barbara ihre Freude unterdrückte. Als Treffpunkt gab ich den Park Monceau an. Wir verabredeten uns für den 28. März um 14:00 Uhr vor der Statue von Guy de Maupassant. Weil das Gespräch wahrscheinlich abgehört wurde, verwies ich auf ein nahe gelegenes Café, in dem ich ihr eine erfreuliche Mitteilung zu machen hätte. Barbara verstand und sagte: „Ach ja, die französischen Doktoren haben die Neigung schöne Dinge einem so mitzuteilen“. Pünktlich am 20. März fand ich mich an der Statue ein. Barbara stürmte mir von hinten auf mich zu, riss mich herum und küsste mich innig. Dann schlenderten wir durch den Park. Für den nächsten Tag verabredeten wir uns in einem kleinen Hotel im Zentrum. Am Abend musste ich zu Willi Münzenberg. Als Münzenberg die Wohnungstür öffnete, trat er irritiert einen Schritt zurück. “Quengel, du gehst ja ohne weiteres als französischer Boheme durch.“ Wir tranken Wein und erörterten die Lage. Im Lauf des Gespräches wurde deutlich, wie stark Münzenberg gegen die KPD-Clique in Paris und gegen Moskau eingestellt war. Er sprach davon, mit wie viel Glück er aus Moskau wieder zurückgekommen sei. Aber jetzt gehe man daran, ihn „ab zu servieren“. Wörtlich sagte er: „Heinz Neumann wird wahrscheinlich bald verhaftet werden. Der intrigante Wehner im Zusammenspiel mit Ulbricht liefern die Vorlage für die Vernichtung aller wichtigen Kader, die wir einst hatten.“ Worauf er die Entwicklung in Moskau zurückführte, blieb mir allerdings etwas schleierhaft. Die Moskauer Prozesse hielten wir in unserer Debatte, die bis 4:00 Uhr morgens dauerte, für eine “grobe Fälschung“. Münzenberg deklarierte: „Ich bin nur noch in der Komintern und ich hoffe, dass das in Spanien doch noch positiv ausgeht“. Mit meiner trotzkistischen Kritik an den Ereignissen in Spanien konnte er nur bedingt etwas anfangen. Offensichtlich hielt Münzenberg, wenn das in Spanien schiefginge, den Kommunismus für lange Zeit für erledigt. Mein Eindruck war, Münzenberg wollte nur noch kulturelle Errungenschaften und bürgerlich demokratische Freiheiten verteidigen. Er widersprach meinen Ausführungen nicht, aber er schien mittlerweile doch sehr stark von dem bürgerlich demokratischen Milieu in Paris beeinflusst zu sein, wo er sich vielleicht auch eine neue Führungsrolle erhoffte. Am frühen Morgen versuchte er aber dennoch, mich, den „Geächteten“, für einen Artikel und Rechercheauftrag zu gewinnen. Münzenberg hatte mir einem Presseausweis der bürgerlichen französischen Zeitung Le Figaro beschafft. Der Ausweis war gut und so gemacht, dass ich nur noch meinen Namen auf dem Ausweis eintragen musste. Münzenberg forderte mich auf, für ihn in das Sudetenland zu fahren und einen Artikel über die Ziele und Führungsfiguren der „Sudetendeutschen Partei“ unter Konrad Henlein zu schreiben. Die Aufgabe reizte mich sehr. Endlich würde ich meiner Einsiedlerexistenz am Meer entkommen. Am Ende gab mir Münzenberg Geld und sagte: “Schreibe einen guten Artikel, die jetzigen Experten bringen darüber nichts lobenswertes zu Stande“. Der Auftrag war nicht ohne Risiko, aber reizvoll.
Barbara erzählte von Schellenberg
Die nächsten Tage verbrachte ich mit Barbara im Bett, in Parks und Boulevards. Sie erzählte viel und berichtete mir über, wie zufrieden man in der deutschen Botschaft über die Säuberungen in Russland war. Immer wieder wurden Witze gerissen wie Stalin doch in Spanien und Moskau mit „alten Bekannten von uns aufräumt“. Besonders interessant fand ich die Geschichte über Walter Schellenberg. Dieser junge und schneidige SS-Offizier weilte einige Wochen in der deutschen Botschaft. Dabei machte er in einer so genannten „Herrenrunde“, an der Barbara teilnehmen durfte, Sprüche bezüglich einer Bombe, die Heydrich Moskau liefern würde. Ihrem „Verehrer“ Schellenberg entlockte Barbara noch die Mitteilung, dass es um die „Ausschaltung hoher sowjetischer Generäle ginge“. Mir war sofort klar, was gespielt wurde. Offensichtlich benutzte SD-Chef Heydrich die Moskauer Turbulenzen, um einen Schlag gegen das sowjetische Militär zu führen. Es war davon auszugehen, dass der SD der sowjetischen Führung gefälschtes Material über die sowjetische Armeeführung zuspielen würde oder schon zugespielt hatte. Es war Stalin durchaus zuzutrauen, diese Provokation als Anlass zu nehmen, um die sowjetische Armee zu enthaupten. Diese Information spielte ich Klement zu, den ich ebenfalls in Paris traf. Mit Barbara verabredete ich, dass wir uns Ende April in Reichenberg wiedersehen würden. Per Telegramm hatte ich bereits eine Hotelbuchung, in einem Hotel Brosch vorgenommen. Das kleine Hotel lag im Zentrum der Stadt.
Sudetenland
Ende April befand ich mich in Reichenberg im Sudetenland. Komisch als wirklicher Trotzkist, angeblicher Faschist und echter Kommunist suchte ich als seriöser französischer Journalist, um ein Gespräch in der Parteizentrale der pronazistischen SDP „über die Lage im Sudetenland“ nach. Eine freundliche Empfangsdame meinte: „In einer halben Stunde hat der Herr Dr. Walter Brand für sie Zeit“. Brand war der Adjutant und außenpolitische Beauftragte von Konrad Henlein. Kurz darauf empfing mich der knapp 30 jährige Mann. Voller Inbrunst beklagte er das Leid der Sudetendeutschen. Wohlwollend lobte er dabei meine guten „Deutschkenntnisse“. Brand war Mitglied des Kameradschaftsbundes innerhalb der SDP. Ziemlich deutlich gab er mir seinen ausgeprägten Katholizismus zu verstehen. Angeblich wolle die SDP gar nicht „Heim ins Reich“, sondern nur „autonome Rechte“. Wie weit diese Rechte gehen sollten, darüber ließ sich Brand nicht näher aus. Nachdem ich ihm erzählt hatte, dass ich Schriften von Professor Othmar Spann gelesen hatte, geriet er ins Schwärmen. Er bekannte sich offen zum Ständestaat sowie zum Austrofaschismus. Mir schien die Begeisterung von Brand für den Ständestaatstheoretiker Spann größer als seine Begeisterung für Alfred Rosenbergs „Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts“. Natürlich wollte Brand nichts von Internationalismus oder gar vom Klassenkampf wissen. Ausführlich erzählte er mir von den bolschewistischen Gruppen im Sudetenland und meinte: „Nur noch hier in Reichenberg und in Gablonz verfügen die Kommunisten über etwas Einfluss.“ Der Mann war nicht dumm. Es war ihm auch zu glauben, dass die SDP vor allen Dingen in den ländlichen Gebieten und in den Kleinstädten des Sudetenlandes dominierte. Allerdings verschwieg er mir, dass dort der Propaganda noch Terror hinzugefügt wurde. In zwei Tagen sollte ich einen Termin mit ihm, Henlein und Karl Hermann Frank haben. Erfreut sagte ich zu. Mein Artikel für Münzenberg war schon halb fertig. In der Tat, in Reichenberg sah man nicht nur die weiß bestrumpften Henleinbanditen sondern auch Parolen der KP und der dortigen Sozialdemokratie. Der Kern der traditionellen Arbeiterbewegung war auch im Sudetenland noch intakt.
Henlein- Frank- Brand
Der französische Journalist wurde empfangen wie ein zusätzlicher Heilsbringer zugunsten der SDP. Henlein sah tatsächlich aus wie ein Turnlehrer. Der Mann war groß, immer noch dynamisch, aber mit Sicherheit kein großes Licht. Henlein wußte nur oberflächliche Dinge zu artikulieren. Kein Wunder, dachte ich mir, dass ihm der klug- biedere Intellektuelle Brand, die Reden und Artikel schrieb. Karl Herrmann Frank tat sich schwer in Konversation. Er war der Einzige in der Runde, dem die Brutalität ins Gesicht geschrieben stand. Gehörte er doch zum „Aufbruch Kreis“, der offen den Hitlerfaschismus verherrlichte. Nach dem Gespräch notierte ich für meinen Artikel: „Henlein wird alles tun, was Hitler befiehlt. Dies tarnt er unter der Maske des Biedermannes. Frank macht offen Nazipropaganda und Brand wird sich, wenn auch wiederwillig. fügen“. Die SDP war für mich eine Mischung aus Nazipartei und „Deutschnationaler Volkspartei“. In dem Artikel schrieb ich: „ Wenn der Hitlerfaschismus das Sudetenland annektiert wird Henlein einen mittelhohen Posten bekommen. Der eigentliche Boss wird Karl Hermann Frank sein und Dr. Brand wird man entsorgen. Das tschechische Volk und die Arbeiterbewegung werden die Zeche bezahlen“.
Warten auf Barbara
Am 15 Mai sollte Barbara in Reichenberg aus Berlin kommend eintreffen. Sie kannte meine Adresse, aber Barbara kam nicht. Vorher ging ich einige Tage nicht aus dem Hotel. Aus Paris erreichte mich ein Telegramm von Münzenberg unter seinem Pseudonym Bodo. Darin stand: „Heinz wurde Zuhause am 27. April verhaftet.“ Jetzt befand sich Heinz Neumann in der Lubjanka. Es warf mich fast um. Warum war er damals nicht in der Schweiz geblieben oder verduftete wie es ihm Münzenberg schon Ende 1934 geraten hatte. Er der disziplinierte Kader konnte und wollte mit der Komintern nicht brechen. Außerdem war er immer schon ein „hoffnungsloser Optimist“. Geschlagene drei Tage wartete ich auf Barbara. Nichts, keine Nachricht kein Telefonat kein Telegramm. Ich beschloss die Initiative zu ergreifen. Mein Pass und mein Presseausweis waren gut. Zudem bat ich Walter Brand noch um ein Empfehlungsschreiben “für den französischen Journalisten“. Über Reichenberg fuhr ich nach Dresden. An der Grenze wurde ich zwar kontrolliert, aber spätestens mein Empfehlungsschreiben für das „ Amt Rosenberg“ machte mich völlig unverdächtig. Von Dresden aus fuhr ich durch bis Berlin Mitte. Der Wohnung der Heinzes konnte ich mich aber nicht so einfach nähern.
Gespräch mit Frau Heinze
In der Dubliner Straße, in der die Wohnung der Heinzes lag, konnte ich nicht einfach auftauchen. Drei lange Tage ging ich durch die Dubliner Straße, um jemanden aus der Familie zu erwischen. Drei bange Tage in dieser Straße, drei Tage in diversen Bierlokalen. Endlich entdeckte ich eine etwas ältere Frau vor einem Lebensmittelladen. Es war die Mutter von Barbara. Flugs trat ich an sie heran und fragte sie nach einer Straße, in der Nähe. Das Gesicht der Frau war verhärmt und traurig. Sie erkannte mich trotz meiner Haartracht und dem Bart. „Was ist los, wo ist Barbara?“. Sie deute an, ich solle ihren Korb tragen, denn sie wolle reden. Frau Heinze erzählte auf der Straße: „Barbara ist in Haft in Plötzensee. Vorgeworfen wird ihr Diebstahl in der Botschaft und Kontakt mit Kommunisten. Meine Tochter werd ich wohl nicht wiedersehen. Roland Freisler persönlich forderte die Todesstrafe. Morgen darf ich sie ein letztes Mal besuchen. Meine Barbara wird hingerichtet und mein Mann sitzt wieder im KZ. So jetzt wissen sie alles. Bitte hauen sie ab. Ich werde überwacht.“ Trotz des Schocks verabschiedete ich mich formvollendet mit einem Handkuss. An der nächsten Straßenecke hielten mir zwei Zivilisten ihre Gestapo-Ausweise hin. „ Mitkommen“ sagte der eine. Entschieden protestierte ich, zeigte meinen Presseausweis und erzählte etwas von einem Termin beim französischen Botschafter in einer halben Stunde. Die Herren ließen mich los. Sie fragten nur noch, was ich von der „älteren Dame“ wollte. „Wir Franzosen sind Kavaliere auch älteren Damen gegenüber“. Daraufhin lachten die Beiden, man ließ mich gehen. Völlig zerstört erreichte ich meine kleine Pension am Kurfürstendamm. Angekommen im Bett fing ich an zu heulen und machte mir schwere Vorwürfe. Für mich hatte Barbara irgendwie Geld und Wertsachen gestohlen. Für mich fälschte sie Papiere. Wenigstens war mein jetziger Pass aus der französischen Unterwelt gut. Den Presseausweis hatte der gute Willi organisiert.
Dunkelheit
Hilflos und verzweifelt lief ich durch Berlin. Nichts aber auch gar nichts konnte ich für Barbara tun. Ich war ein allseits Geächteter. Vor der Humboldt-Universität setzte ich mich auf eine Bank. Mir wurde übel, dann schlug ein Blitz in meinem Kopf ein. Es wurde dunkel. Ein zwei Tage später wachte ich in einem Krankenzimmer auf. Eine Krankenschwester rief nach einem Arzt. Ein Dr. Müller saß dann auf meiner Bettkante und sagte: „Sie haben einen Schlaganfall erlitten. Ihr linker Arm und ihr linkes Bein sind taub. Sagen sie mir, wie sie heißen. Ich will testen ob ihr Kopf noch funktioniert.“ Ich erzählte meine Legende, von dem Gesagten stimmte nur mein Geburtsjahr 1890. „Na noch mal Glück gehabt“ meinte der Arzt. „Sie bleiben aber noch mindestens zwei Wochen. Wir nehmen auch Franc“. So lag ich zwei Wochen in der Charité. Plötzlich am Morgen sah mich die Krankenschwester Inga scharf an. „ Sie sind mir ja ein schöner Franzose. Heute Nacht haben Sie im perfekten Berliner Dialekt mit ihrer Mutter gesprochen. Ihre Mutter hatte auch keinen französischen Namen. Sie heißen Oskar Quengel.“ Mir wurde eiskalt. Ich rechnete fest damit, dass sie mich an die Gestapo verriet. Aber Inga konnte Gedanken lesen. Keine Angst ich hab mit der Nazibrut nichts am Hut. Ich werd doch niemand verpfeifen. Mein Fritz war im KZ. Er hatte was mit einer Gruppe namens „Neu-Beginnen“ am Hut. Aber passen sie vor dem Doktor auf. Er ist ein typischer Schädelvermesser. Verlangen Sie ein schwereres Schlafmittel. Mit Valium spricht man normalerweise nicht“. Dankbar ließ ich mich von Inga füttern. Dann warnte sie mich noch vor Oberschwester Berta. Nach Inga war diese Person ein absolutes „Naziweib“. Vom Doktor bekam ich Valium. Meine Gehübungen im Krankenhaus führte ich mit Schwester Inga durch.
Im Sanatorium
Schwester Inga brachte mich Ende Mai in eine „Klinik am See“ in Rüdersdorf bei Berlin. Dr. Müller empfahl mir einen gewissen Dr. Krüger in dem Sanatorium ganz besonders. Er vergas nicht hinzuzufügen: „4 bis 8 Wochen kosten natürlich, aber er wird sie wieder halbwegs funktionstüchtig machen“. Schwester Inga brachte mich hin und erzählte mir von ihrem Fritz. Fritz war nach Inga noch in „irgendwelche illegalen Sachen“ verwickelt. Ich bat sie, Fritz von mir zu grüßen und bat um einen Besuch. Sie sollte meinen wirklichen Namen nennen, denn wenn er wirklich zu den konspirativen Abenteurern von „Neu- Beginnen“ gehörte, dürfte ihm der Name Quengel etwas sagen. Diese Gruppe hatte sich Ende der Weimarer Republik gegründet und versuchte mittels illegaler Arbeit in KPD und SPD die Einheitsfront zu verwirklichen. Inga lieferte mich bei Dr. Krüger ab. Er untersuchte mich und stellte fest: „Sie werden Ihre linke Hand nur noch bedingt nutzen können. Auch Ihr Bein wird steif bleiben. Aber wir bekommen Sie soweit hin, dass Sie wieder nach Hause können. Normales Arbeiten wird allerdings nicht mehr möglich sein.“ Ich bezahlte im Voraus für vier Wochen. Dabei hatte ich ein schlechtes Gewissen. Meinen „Reichtum“ musste Barbara mit dem Leben bezahlen. Die Therapie bestand aus Bädern, Massagen und Tabletten. Aber ich konnte mich nicht beschweren. Einzelzimmer mit Blick auf einen kleinen See. Immer wieder warnte mich Dr. Krüger vor nervlichen Belastungen. Einmal sagte er: „Bleiben Sie immer ruhig, ein zweiter Schlaganfall wird ihr Gehirn ausschalten“. Der Doktor hatte leicht reden. Wie kann man in dieser Zeit nervliche Belastungen vermeiden? Mitte Juli kam ein gewisser Fritz Schatz, um mich zu besuchen. Es war der Freund von Schwester Inga. Endlich wieder Kontakt zu einem vernünftigen Menschen. Er hatte sich über mich kundig gemacht. Stundenlang unterhielten wir uns täglich eine Woche lang etwas außerhalb der Klinik auf einer Parkbank. Es ging schon wieder los mit der Politik. Im Fokus unserer Debatten stand der Schlag gegen Marschall Tuchatschewski und andere hohe Militärs in Russland.
Debatten über Stalins Terror gegen die Rote Armee
Am 12. Juni 1937 erfuhr das sowjetische Volk aus einer "Tass"-Meldung, Tuchatschewski und sieben Generale der Roten Armee seien zum Tode verurteilt worden, weil sie "staatsfeindliche Beziehungen zu führenden militärischen Kreisen einer ausländischen Macht unterhielten, die eine der UdSSR feindliche Politik betreibe. Die Angeklagten arbeiteten für den Spionagedienst dieser Macht." Meiner Meinung nach und der von Fritz Schatz war dies eine groß angelegte Provokation. Stalin vernichtete die Perlen der Roten Armee. Interessant fand Schatz meinen Hinweis auf den SS-Agenten Schellenberg, der in Paris in der deutschen Botschaft von seinem „genialen Heydrich“ in Zusammenhang mit Marschall Tuchatschewski schwärmte. Nach meiner Einschätzung lieferte der SD gegen die Führung der Roten Armee gefälschte Dokumente. Fritz fragte mich, warum Stalin darauf einging, dazu sagte ich: „Schon 1931 erzählte mir Heinz Neumann, von einer negativen Bemerkung von Kaganowitsch über Tuchatschewski. Kaganowitsch nannte Tuchatschewski „unseren potentiellen Napoleon“. In der Tat, die Rote Armee wusste nur zu gut, wie wenig Stalin von militärischen Dingen verstand, außerdem war die Armee immer noch eine Bauernarmee. Nur Tuchatschewski konnte weitere Schläge gegen die alten Bolschewiki verhindern. Das Interesse Hitlers bestand darin, die Rote Armee zu schwächen. Nur in diesem Kontext war das objektive Zusammenspiel von Hitler und Stalin erklärbar. Lebendig war in meinem Gehirn noch ein Gespräch zwischen General Hammerstein und General von Schleicher. Damals meinte Schleicher: „Tuchatschewski ist unser gefährlichster Gegner in Osten. Er setzt auf die Panzerwaffe im Gegensatz zu den Laien Woroschilow und dem Reitergeneral Budjonny. Die denken immer noch, mit der Kavallerie etwas zu bewirken.“ Fritz nickte und fragte, woher ich das wisse? Gerade regte ich mich wieder auf, was ich nach Meinung von Dr. Krüger vermeiden sollte. Dann fragte ich Fritz ob seine Gruppe noch über „sichere Verbindungen“ nach Frankreich verfügte. Fritz bejahte. Bis zum kommenden Sonntag schrieb ich Briefe an Münzenberg und Leo Sedow. Ich warnte Sedow, nochmals vor Agenten in seiner Nähe. An Münzenberg schrieb ich, dass es mich noch gebe, aber nicht mehr lang. Ich wünschte ihm alles Gute und versicherte ihm, dass mein Ableben etwas mit meiner Gesundheit zu tun hatte. Tatsächlich, mein Gehirn legte immer häufiger kurze Pausen ein. Immer wieder verspürte ich kleine Stromschläge im Gehirn. Dr. Krüger warnte mich. Zuletzt registrierte ich noch mit welcher Häme die Nazipresse den Schlag gegen Tuchatschewski kommentierte. Ohne Fritz etwas von meiner Absicht zu sagen, gab ich ihm die Post für Münzenberg und Sedow.
Aus
Ich sitze am See und denke an euch, Vater und Mutter. Ihr habt mir das Leben geschenkt. Das Leben war wild und gefährlich. Leider gab es zu wenig Glücksmomente. Ich sehe die kleine Pille in meiner Hand. Schwester Inga verschaffte sie mir für den Fall, dass die Gestapo kommt. Es droht aber der nächste Schlaganfall. Jetzt hör ich auf zu schreiben. Es tut mir leid. Gleich wird es aus sein.
In Liebe Oskar Quengel
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Benutzte Bücher und Literatur
Theodor Bergmann Gegen den Strom: Die Geschichte der KPD (Opposition)Taschenbuch VSA Verlag – 2001
Bilderlesebuch „ Die wilden Zwanziger“ Elefanten- Press 1986
Hans Magnus Enzensberger „Hammerstein oder Der Eigensinn - Eine deutsche Geschichte“ Suhrkamp 2009
Arkadi Maslow „Die Tochter des Generals“ 2011 bebra. Verlag., 2011.
Ruth Fischer „ Stalin und der deutsche Kommunismus „ Band 1 und Band 2 Dietz Verlag Berlin 1991
Hermann Weber, Bernhard H. Bayerlein (Hrsg.): Der Thälmann-Skandal. Geheime Korrespondenzen mit Stalin. Aufbau-Verlag, Berlin 2003,
Hermann Weber „ Die Wandlung des deutschen Kommunismus“ EVA 1969
Herman Weber „ Deutsche Kommunisten Biografisches Handbuch“ Dietz Verlag Berlin 2004
Bernd Kaufmann ( Leitung) „ Der Nachrichtendienst der KPD Dietz Verlag Berlin 1993
Herbert Wehner Zeugnis Bastei Lübbe 1982
Rosa Meyer Levine „ Im inneren Kreis Fischer Taschenbuch 1982
Karl Rezlaw „ Erinnerungen eines Parteiarbeiters“ „ Verlag Neue Kritik 1983
Margarete Buber Neumann „ Von Potsdam nach Moskau Stationen eines Irrweges“ FISCHER Taschenbuch 2015
Manes Sperber Wie eine Träne im Ozean dtv Verlag 1980
Leo Sedow „ Rotbuch über den Moskauer Prozess 1936. Trotzkis Sohn klagt an“ Neuer ISP Verlag 1988
Leo Trotzki „Schriften über Deutschland“ Syndikat Ausgabe in der Europäischen Verlagsanstalt (1971)
Reinhard Müller Die Akte Wehner - Moskau 1937 bis 1941 rororo Taschenbuch 1994
Rüdiger Zimmermann „ Der Leninbund Linke Kommunisten in der Weimarer Republik“ Verlag“ Droste 1978
Oskar Hippe „Und unsere Fahn' ist rot“ Junius-Verlag: Hamburg 1979
Georg Jungclas „Von der proletarischen Freidenkerdjugend im Ersten Weltkrieg zur Linken der siebziger Jahre: (1902-1975). Eine politische Dokumentation. Mit einem Vorwort von Ernest Mandel, Hamburg:Junius 1980
Willi Münzenberg „Propaganda als Waffe.“ Ausgewählte Schriften 1919–1940. Hrsg. v. Til Schulz, März Verlag bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1972.
Babette Gross „Willi Münzenberg. Eine politische Biographie. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1967.
Dieter Schiller „Willi Münzenberg und die Intellektuellen.“ Die Jahre in der Weimarer Republik. In Jahrbuch für die Erforschung der Arbeiterbewegung“ .Heft III/2013.
Reinhard Müller: Heinz Neumanns Bußrituale – auch ein Nachtrag zum Protokoll der „Brüsseler Konferenz“ der KPD. In: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2008, S. 319–328.
Mario Frank „ Walter Ulbricht eine deutsche Biographie“ Siedler Verlag, Berlin 2001
Georgi Dimitroff „Tagebücher“ Dietz Verlag 2001
Georgi Dimitroff Arbeiterklasse gegen Faschismus: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampfe für die Einheit der Arbeiterklasse gegen Faschismus Taschenbuch Verlag Das freie Buch 1976
Reinhard Opitz „Faschismus und Neofaschismus: Der deutsche Faschismus bis 1945 - Neofaschismus in der Bundesrepublik“ Pahl Rugenstein Verlag 1996
Ernst von Salomon „ Der Fragebogen“ Rowohlt, Reinbek 1951.
Richard Scheringer Das große Los, mit einem Vorwort von Ernst von Salomon Rowohlt, Hamburg 1959
Richard Scheringer „Grüner Baum auf rotem Grund“, Neuss-München 1983
Marcel Bois: Kommunisten gegen Hitler und Stalin. Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik. Klartext-Verlag, Essen 2011
Armin Mohler Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932: Ein Handbuch Taschenbuch – 2005 ARES Verlag; Auflage: 6
Erwin Lewin, Elke Reuter, Stefan Weber, Marlies Coburger, Günther Fuchs, Marianne Jentsch, Rosemarie Lewin (Hrsg „Protokoll der Brüsseler Konferenz der KPD“ 1935.Reden, Diskussionen und Beschlüsse, Moskau vom 3. - 15. Oktober 1935. de Gruyter Saur, München u 1997
Wolfgang Michalka und Gottfried Niedhart „ Die ungeliebte Republik“ DTV Taschenbuch 1980
Kurt Pätzold „ Die Geschichte der NSDAP 3 Auflage PapyRossa Verlag; Auflage: 3 (1. März 2009)
Willman Heinz Geschichte der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung 1921 bis 1938. [Durchgehend illustriert, viele Reprint-drucke. Beiliegend "AIZ" vom Mai oder Juni 1934 als Faksimile.] Berlin (DDR). Dietz Verlag 1975.
Ludwig Weichselbaumer: Walter Brand (1907–1980). „Ein sudetendeutscher Politiker im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Anschluss.“ Sudetendeutscher Verlag München 2008.
Zum Autor
Der Autor wurde am 24.09.1957 in Altötting geboren. Er arbeitet und lebt als freier Journalist in München. Max Brym ist Dozent für Philosophie und Geschichte an mehreren nationalen und internationalen Bildungseinrichtungen. Viele Jahre arbeitete er als Gastdozent an der öffentlichen Universität Prishtina in Kosovo. Der Autor schreibt regelmäßig u.a. für jüdische Zeitungen Vom Autor erschienen viele Artikel, speziell zur Geschichte der Arbeiterbewegung in unterschiedlichen Zeitungen.
Dokumentation aus dem " Burghauser Anzeiger" Burghausen
Auf der Suche nach dem Burghauser Widerstand
Den NS-Gegnern ein Gesicht geben – das will Max Brym mit seinem neuen Buchprojekt
09.08.2020 | Stand 09.08.2020, 16:34 Uhr